Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.fremden, das alte verständige Programm verließen und damit einen Riß Und nun, bei alledem, im Volke weit und breit fröhlichstes Hurrahrufen Daneben zahllose kleinere festliche Zusammenkünfte, überall Gesang und In der That, die Noth muß nicht groß sein, bei der man so vergnügt sein fremden, das alte verständige Programm verließen und damit einen Riß Und nun, bei alledem, im Volke weit und breit fröhlichstes Hurrahrufen Daneben zahllose kleinere festliche Zusammenkünfte, überall Gesang und In der That, die Noth muß nicht groß sein, bei der man so vergnügt sein <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0204" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283557"/> <p xml:id="ID_570" prev="#ID_569"> fremden, das alte verständige Programm verließen und damit einen Riß<lb/> zwischen sich und den Treubleibenden veranlaßten, welcher die Organisation zu<lb/> sprengen droht. Endlich die außerhalb der nationalen Bewegung Stehenden<lb/> durch eine Kluft geschieden, die seit Jahren nicht so weit geöffnet war wie<lb/> heute, wo der Grimm des Particularismus gegen Preußen an den Höfen wie<lb/> in den Bevölkerungen den Gipfel des Möglichen erreicht hat und nur die Macht<lb/> fehlt, um ihn in Waffen gegen die Gehaßten auftreten zu lassen. Alle Ursache,<lb/> so scheint uns, über die Gegenwart bekümmert zu sein und an die Zukunft mit<lb/> Sorge zu denken.</p><lb/> <p xml:id="ID_571"> Und nun, bei alledem, im Volke weit und breit fröhlichstes Hurrahrufen<lb/> und Fahnenschwenker. Singen und Trinken, als ob uns die Sonne nie Heller<lb/> und verheißungsvoller geschienen hätte und die deutsche Welt nie gesünder,<lb/> freier und ihres Gedeihens sicherer gewesen wäre. Alle Tage des Monats im<lb/> Kalender roth angestrichen, und von nichts als Festlichkeiten die Rede. An den<lb/> Bahnhöfen schwärmt es von Hüten mit Festkarten, Bändern und Eichenlaub.<lb/> Tag für Tag schleppen keuchende Locomotiven Züge fideler Festbesucher nach Ost<lb/> und West, ziehen Paraden und Processionen von solchen durch bekränzte und<lb/> beflaggte Städte, malen die Zeitungen den patriotischen Schwung und Jubel,<lb/> der sich bei derartigen Gelegenheiten kund gegeben. Heute knallt am Ausfluß<lb/> der Weser das große Fest der grauen Schützenjoppen; über acht Tage singen am<lb/> mittleren Lauf der Elbe fünfzehntausend Sängerkehlen die unvermeidliche Frage<lb/> nach dem deutschen Vaterland so vergnügt in die Welt hinein, als ob sie die<lb/> Antwort nicht blos wüßten, sondern auch schon in gediegenster Verwirklichung<lb/> vor sich hätten, und wer damit noch nicht zufrieden gestellt ist, der mag in<lb/> weiteren drei Wochen nach der Saale reisen, wo sie das fünfzigjährige Jubi-<lb/> läum der Burschenschaft begehen werden und den Tag, wo man den hessischen<lb/> Zopf verbrannte, ohne sein und andrer in jener Zeit gekürzter Zöpfe Nach¬<lb/> wachsen verhindern zu können.</p><lb/> <p xml:id="ID_572"> Daneben zahllose kleinere festliche Zusammenkünfte, überall Gesang und<lb/> Tvastiren, Böllerkiiall. Musik und Gläsertlingen, lustiges Gespräch und heitere<lb/> Gesichter. Fürwahr, wie das bayerische Bier sich im Laufe der letzten Jahre<lb/> unsern Norden erobert hat, so scheint ein anderes süddeutsches Product, die den<lb/> Wienern, wie man sagt, abhanden gekommne Gemüthlichkeit den gleichen Weg<lb/> angetreten und gleich wohlwollende Aufnahme gefunden zu haben. Im Wesen<lb/> des Norddeutschen lag davon bisher wenig, und ein Todter dieses Stammes<lb/> aus der strengen, dürftigen, freudlosen Zeit der zwanziger und dreißiger Jahre<lb/> würde, wiederkommend und vor eine dieser freudenreichen Festhalten, einen dieser<lb/> Schützentempel, einen dieser Sängerchöre geführt, schweren Zweifeln unterliegen,<lb/> ob er wirklich zu Hause sei oder etwa im Phäakenlande.</p><lb/> <p xml:id="ID_573" next="#ID_574"> In der That, die Noth muß nicht groß sein, bei der man so vergnügt sein</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0204]
fremden, das alte verständige Programm verließen und damit einen Riß
zwischen sich und den Treubleibenden veranlaßten, welcher die Organisation zu
sprengen droht. Endlich die außerhalb der nationalen Bewegung Stehenden
durch eine Kluft geschieden, die seit Jahren nicht so weit geöffnet war wie
heute, wo der Grimm des Particularismus gegen Preußen an den Höfen wie
in den Bevölkerungen den Gipfel des Möglichen erreicht hat und nur die Macht
fehlt, um ihn in Waffen gegen die Gehaßten auftreten zu lassen. Alle Ursache,
so scheint uns, über die Gegenwart bekümmert zu sein und an die Zukunft mit
Sorge zu denken.
Und nun, bei alledem, im Volke weit und breit fröhlichstes Hurrahrufen
und Fahnenschwenker. Singen und Trinken, als ob uns die Sonne nie Heller
und verheißungsvoller geschienen hätte und die deutsche Welt nie gesünder,
freier und ihres Gedeihens sicherer gewesen wäre. Alle Tage des Monats im
Kalender roth angestrichen, und von nichts als Festlichkeiten die Rede. An den
Bahnhöfen schwärmt es von Hüten mit Festkarten, Bändern und Eichenlaub.
Tag für Tag schleppen keuchende Locomotiven Züge fideler Festbesucher nach Ost
und West, ziehen Paraden und Processionen von solchen durch bekränzte und
beflaggte Städte, malen die Zeitungen den patriotischen Schwung und Jubel,
der sich bei derartigen Gelegenheiten kund gegeben. Heute knallt am Ausfluß
der Weser das große Fest der grauen Schützenjoppen; über acht Tage singen am
mittleren Lauf der Elbe fünfzehntausend Sängerkehlen die unvermeidliche Frage
nach dem deutschen Vaterland so vergnügt in die Welt hinein, als ob sie die
Antwort nicht blos wüßten, sondern auch schon in gediegenster Verwirklichung
vor sich hätten, und wer damit noch nicht zufrieden gestellt ist, der mag in
weiteren drei Wochen nach der Saale reisen, wo sie das fünfzigjährige Jubi-
läum der Burschenschaft begehen werden und den Tag, wo man den hessischen
Zopf verbrannte, ohne sein und andrer in jener Zeit gekürzter Zöpfe Nach¬
wachsen verhindern zu können.
Daneben zahllose kleinere festliche Zusammenkünfte, überall Gesang und
Tvastiren, Böllerkiiall. Musik und Gläsertlingen, lustiges Gespräch und heitere
Gesichter. Fürwahr, wie das bayerische Bier sich im Laufe der letzten Jahre
unsern Norden erobert hat, so scheint ein anderes süddeutsches Product, die den
Wienern, wie man sagt, abhanden gekommne Gemüthlichkeit den gleichen Weg
angetreten und gleich wohlwollende Aufnahme gefunden zu haben. Im Wesen
des Norddeutschen lag davon bisher wenig, und ein Todter dieses Stammes
aus der strengen, dürftigen, freudlosen Zeit der zwanziger und dreißiger Jahre
würde, wiederkommend und vor eine dieser freudenreichen Festhalten, einen dieser
Schützentempel, einen dieser Sängerchöre geführt, schweren Zweifeln unterliegen,
ob er wirklich zu Hause sei oder etwa im Phäakenlande.
In der That, die Noth muß nicht groß sein, bei der man so vergnügt sein
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