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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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Die Landschaft hatte den Erzherzog ersucht, ihre Beschwerden anzuhören,
und als sich dieser hierauf am 22. Juni in Begleitung seiner Gemahlin, der
Botschafter der bayerischen Herzoge und des schwäbischen Bundes in ihre Mitte
begab, las ihm der Bürgermeister von Innsbruck jene 106 meraner Artikel
vor, mit der Bitte, sie entweder allein oder gemeinschaftlich mit den Gesandten
in Erwägung zu ziehen, nur die Einmischung des Kaisers wollte man beseitigt
wiesen. Am Ende trug er noch mündlich auf Vergebung alles Geschehenen
an. So unterwürfig auch dies alles lautete, die Gemüther waren deshalb nicht
weniger aufgeregt, und man konnte schon von den Bauern hören, daß sie bei
einer abschlägigen Antwort auf die Entfernung der mit Salamanca einverstan¬
dener Räthe dringen und im Verweigerungsfalle einige Gerichte aufbieten und
sie festsetzen würden. Gleichwohl ließ sich der Erzherzog, den der Klerus nicht
umsonst seine "einzige Zuflucht" nannte und mit Bitten bestürmte, in seiner
am 27. Juni der Landschaft vorgelesenen Antwort in einem sehr strengen Tone
vernehmen. Er warf den Städten und Gerichten vor, daß sie trotz der An¬
nahme des jüngsten Landtagsabschiedes und der aus Meran erfolgten Zusage,
nichts Unbilliges zu begehren, in seine fürstlichen Hoheitsrechte eingreifen, einen
neuen Gerichtszwang einführen und alle Stände gleich machen wollten, woraus
eine unsägliche Zerrüttung entspränge. Am meisten schmerzte ihn, daß der ganze
geistliche Stand, der seit Menschengedenken mit den andern so treuliches Mitleid
getragen, nebst allen alten Stiftungen abgethan, und wider deren Güter und
Freiheiten, wofür sie von seinen Vorfahren Brief und Siegel erhalten, ge¬
handelt werden sollte; ohne Vorwissen des Kaisers könne er, da er blos Gu-
bernator sei, keine neuen Statuten und Ordnungen machen. Die Hebung der
Mängel und Gebrechen der Geistlichen, wenn sie auch etwas größer als in
anderen Ständen, sei nicht Sache eines einzigen Landes, der Bischof von
Trient so wie jener von Brixen sei ein Fürst des Reiches, der Graf von Tirol
ihr Schirmvogt, die auswärtigen geistlichen Fürsten , Prälaten und Gotteshäuser,
die hier Güter besäßen, ständen unter dem Schutz des Kaisers, auch widerst ehe
es dem heiligen Evangelium, jemanden seines Besitzes mit Gewalt zu entsetzen.
Er rieth daher, die Ankunft des Kaisers abzuwarten oder eine Botschaft an
ihn zu senden und sich mit dem Adel auszugleichen. Eine allgemeine Amnestie
stellte er zuletzt mündlich erst dann in Aussicht, wenn man die aufrührerischen
Bündnisse ausgegeben, ihre Hauptleute sich unterworfen, die Feindseligkeiten
eingestellt und die eingenommenen Schlösser und Güter geräumt wären.

Die Stände dankten in ihrer Erwiderung für den gnädigen Nachlaß der
Strafe, meinten aber, durch den letzten Abschied seien von ihren Beschwerden
noch viele unerledigt geblieben. Die Abstellung dieser könne man um so eher
vom Erzherzog erwarten, als er in vielen Landessachen sich als Gubernator
so benommen, daß jene wohl in seiner Macht liegen müsse. Die Unterthanen


Die Landschaft hatte den Erzherzog ersucht, ihre Beschwerden anzuhören,
und als sich dieser hierauf am 22. Juni in Begleitung seiner Gemahlin, der
Botschafter der bayerischen Herzoge und des schwäbischen Bundes in ihre Mitte
begab, las ihm der Bürgermeister von Innsbruck jene 106 meraner Artikel
vor, mit der Bitte, sie entweder allein oder gemeinschaftlich mit den Gesandten
in Erwägung zu ziehen, nur die Einmischung des Kaisers wollte man beseitigt
wiesen. Am Ende trug er noch mündlich auf Vergebung alles Geschehenen
an. So unterwürfig auch dies alles lautete, die Gemüther waren deshalb nicht
weniger aufgeregt, und man konnte schon von den Bauern hören, daß sie bei
einer abschlägigen Antwort auf die Entfernung der mit Salamanca einverstan¬
dener Räthe dringen und im Verweigerungsfalle einige Gerichte aufbieten und
sie festsetzen würden. Gleichwohl ließ sich der Erzherzog, den der Klerus nicht
umsonst seine „einzige Zuflucht" nannte und mit Bitten bestürmte, in seiner
am 27. Juni der Landschaft vorgelesenen Antwort in einem sehr strengen Tone
vernehmen. Er warf den Städten und Gerichten vor, daß sie trotz der An¬
nahme des jüngsten Landtagsabschiedes und der aus Meran erfolgten Zusage,
nichts Unbilliges zu begehren, in seine fürstlichen Hoheitsrechte eingreifen, einen
neuen Gerichtszwang einführen und alle Stände gleich machen wollten, woraus
eine unsägliche Zerrüttung entspränge. Am meisten schmerzte ihn, daß der ganze
geistliche Stand, der seit Menschengedenken mit den andern so treuliches Mitleid
getragen, nebst allen alten Stiftungen abgethan, und wider deren Güter und
Freiheiten, wofür sie von seinen Vorfahren Brief und Siegel erhalten, ge¬
handelt werden sollte; ohne Vorwissen des Kaisers könne er, da er blos Gu-
bernator sei, keine neuen Statuten und Ordnungen machen. Die Hebung der
Mängel und Gebrechen der Geistlichen, wenn sie auch etwas größer als in
anderen Ständen, sei nicht Sache eines einzigen Landes, der Bischof von
Trient so wie jener von Brixen sei ein Fürst des Reiches, der Graf von Tirol
ihr Schirmvogt, die auswärtigen geistlichen Fürsten , Prälaten und Gotteshäuser,
die hier Güter besäßen, ständen unter dem Schutz des Kaisers, auch widerst ehe
es dem heiligen Evangelium, jemanden seines Besitzes mit Gewalt zu entsetzen.
Er rieth daher, die Ankunft des Kaisers abzuwarten oder eine Botschaft an
ihn zu senden und sich mit dem Adel auszugleichen. Eine allgemeine Amnestie
stellte er zuletzt mündlich erst dann in Aussicht, wenn man die aufrührerischen
Bündnisse ausgegeben, ihre Hauptleute sich unterworfen, die Feindseligkeiten
eingestellt und die eingenommenen Schlösser und Güter geräumt wären.

Die Stände dankten in ihrer Erwiderung für den gnädigen Nachlaß der
Strafe, meinten aber, durch den letzten Abschied seien von ihren Beschwerden
noch viele unerledigt geblieben. Die Abstellung dieser könne man um so eher
vom Erzherzog erwarten, als er in vielen Landessachen sich als Gubernator
so benommen, daß jene wohl in seiner Macht liegen müsse. Die Unterthanen


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[0194] Die Landschaft hatte den Erzherzog ersucht, ihre Beschwerden anzuhören, und als sich dieser hierauf am 22. Juni in Begleitung seiner Gemahlin, der Botschafter der bayerischen Herzoge und des schwäbischen Bundes in ihre Mitte begab, las ihm der Bürgermeister von Innsbruck jene 106 meraner Artikel vor, mit der Bitte, sie entweder allein oder gemeinschaftlich mit den Gesandten in Erwägung zu ziehen, nur die Einmischung des Kaisers wollte man beseitigt wiesen. Am Ende trug er noch mündlich auf Vergebung alles Geschehenen an. So unterwürfig auch dies alles lautete, die Gemüther waren deshalb nicht weniger aufgeregt, und man konnte schon von den Bauern hören, daß sie bei einer abschlägigen Antwort auf die Entfernung der mit Salamanca einverstan¬ dener Räthe dringen und im Verweigerungsfalle einige Gerichte aufbieten und sie festsetzen würden. Gleichwohl ließ sich der Erzherzog, den der Klerus nicht umsonst seine „einzige Zuflucht" nannte und mit Bitten bestürmte, in seiner am 27. Juni der Landschaft vorgelesenen Antwort in einem sehr strengen Tone vernehmen. Er warf den Städten und Gerichten vor, daß sie trotz der An¬ nahme des jüngsten Landtagsabschiedes und der aus Meran erfolgten Zusage, nichts Unbilliges zu begehren, in seine fürstlichen Hoheitsrechte eingreifen, einen neuen Gerichtszwang einführen und alle Stände gleich machen wollten, woraus eine unsägliche Zerrüttung entspränge. Am meisten schmerzte ihn, daß der ganze geistliche Stand, der seit Menschengedenken mit den andern so treuliches Mitleid getragen, nebst allen alten Stiftungen abgethan, und wider deren Güter und Freiheiten, wofür sie von seinen Vorfahren Brief und Siegel erhalten, ge¬ handelt werden sollte; ohne Vorwissen des Kaisers könne er, da er blos Gu- bernator sei, keine neuen Statuten und Ordnungen machen. Die Hebung der Mängel und Gebrechen der Geistlichen, wenn sie auch etwas größer als in anderen Ständen, sei nicht Sache eines einzigen Landes, der Bischof von Trient so wie jener von Brixen sei ein Fürst des Reiches, der Graf von Tirol ihr Schirmvogt, die auswärtigen geistlichen Fürsten , Prälaten und Gotteshäuser, die hier Güter besäßen, ständen unter dem Schutz des Kaisers, auch widerst ehe es dem heiligen Evangelium, jemanden seines Besitzes mit Gewalt zu entsetzen. Er rieth daher, die Ankunft des Kaisers abzuwarten oder eine Botschaft an ihn zu senden und sich mit dem Adel auszugleichen. Eine allgemeine Amnestie stellte er zuletzt mündlich erst dann in Aussicht, wenn man die aufrührerischen Bündnisse ausgegeben, ihre Hauptleute sich unterworfen, die Feindseligkeiten eingestellt und die eingenommenen Schlösser und Güter geräumt wären. Die Stände dankten in ihrer Erwiderung für den gnädigen Nachlaß der Strafe, meinten aber, durch den letzten Abschied seien von ihren Beschwerden noch viele unerledigt geblieben. Die Abstellung dieser könne man um so eher vom Erzherzog erwarten, als er in vielen Landessachen sich als Gubernator so benommen, daß jene wohl in seiner Macht liegen müsse. Die Unterthanen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/194>, abgerufen am 15.01.2025.