Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.sichtigung verlangt, so wird er diese Forderung am schnellsten befriedigen; denn sichtigung verlangt, so wird er diese Forderung am schnellsten befriedigen; denn <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0182" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283535"/> <p xml:id="ID_528" prev="#ID_527" next="#ID_529"> sichtigung verlangt, so wird er diese Forderung am schnellsten befriedigen; denn<lb/> vorzugsweise den Handzeichnungen sind die Schränke des ersten, des rothen, Saals<lb/> eingeräumt, in welchem wir uns befinden, ausschließlich ihnen die der hin¬<lb/> tern Hälfte seines Raums, die durch eine leichte Barriere von der vordem<lb/> geschieden ist, während letztere hauptsächlich Stichen nach solchen Meistern vor¬<lb/> behalten wurde, welche erfahrungsmäßig als die allerbekanntesten am häu¬<lb/> figsten zum Befehlt begehrt werden: Rafael (die 18—20 Bände kleinerer Blätter),<lb/> A. Dürer, Rembrandts Radirungen, Chodowiecki u. a. Stand unser Sinn<lb/> nach indischen) persischen, japanischen und chinesischen Malereien, Drucken und<lb/> Zeichnungen (von denen, zumal den japanischen, unsre ostasiatische Expedition<lb/> dem Cavinet eine Menge der interessantesten, oft genug durch ihre zuvor<lb/> bei uns nicht geahnte Vortrefflichkeit Staunen erregenden Proben zugeführt<lb/> hat), so wird der Beauftragte den niedern Schrank in dem engen Durch¬<lb/> gangszimmer öffnen, welches zwischen unserm ersten, dem rothen Saal,<lb/> und dem nächsten, dem grünen, liegt. Die den Blicken des hier Passirenden<lb/> durch eine bis zur Decke gehende Holztäfelung verdeckte, größere, tiefe und<lb/> schmale Abtheilung dieses Durchgangs birgt in riesigen Regalen einen künstleri¬<lb/> schen Schatz der eigenthümlichsten Art. der unter allen hier bewahrten vielleicht<lb/> am seltensten von der Neugierde des dilettantischen wie des Künstlerpublikums,<lb/> welches das Cabinet besucht, aus seiner verstaubten Ruhe gestört, aus seiner fried¬<lb/> lichen Lage gerissen wird. Es ist das die unter allen existirenden umfangreichste<lb/> Sammlung geschnittener Holzstöcke von den Meistern des Zeichenstists, des<lb/> Stichels und Messers seit drei bis vier Jahrhunderten. Da stehen die großen<lb/> und kleinen köstlichen Blöcke, ihre dem Laienauge so völlig unverständliche, räth¬<lb/> selhaft roh erscheinende, hier tief ausgegrabne, dort in tausend Lagen leicht<lb/> geritzte Oberfläche, in welche so viel Genie der Erfindung, so viel Kunst, Geschick '<lb/> und treuer ausdauernder Fleiß der beseelten Hand ihren unverlöschlichem Stempel<lb/> prägten, von dickem grauem Papier sorglich umhüllt, da stehen sie aufgespeichert<lb/> bis zur Decke und der Nützlichkeitsmensch könnte fragen, wem zu Liebe und<lb/> Lust, wem zu Gebrauch und Lehre? Im Grunde wohl um ihrer selbst willen;<lb/> denn die, welche ihnen vor allen jene beiden entgegenbringen, diese beiden bei<lb/> ihnen suchen und finden müßten, die heutigen Holzschneider, denken nicht daran,<lb/> es zu thun, in der handwerkenden Tagesarbeit und in dem eiteln Bewußt¬<lb/> sein von ihrer eignen Vollkommenheit und Unverbesserlichkeit, in welche sie mehr<lb/> wie alle andern Künstler versunken sind. Aber wie viele Abtheilungen von<lb/> Bibliotheken und Sammlungen sind nicht in dem gleichen Fall, wie diese Holz¬<lb/> stöcke, und doch wollen wir uns immerhin freuen, daß Regierungen, unbeirrt<lb/> von engen Nützlichkeitsprincipien, in deren Begründung, Vermehrung und sorg¬<lb/> lichen Hütung „um ihrer selbst willen" eine Art von idealer Pflicht sehen, der<lb/> sie genügen zu müssen glauben: „thu das Gute und wirfs ins Meer, sieht es</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0182]
sichtigung verlangt, so wird er diese Forderung am schnellsten befriedigen; denn
vorzugsweise den Handzeichnungen sind die Schränke des ersten, des rothen, Saals
eingeräumt, in welchem wir uns befinden, ausschließlich ihnen die der hin¬
tern Hälfte seines Raums, die durch eine leichte Barriere von der vordem
geschieden ist, während letztere hauptsächlich Stichen nach solchen Meistern vor¬
behalten wurde, welche erfahrungsmäßig als die allerbekanntesten am häu¬
figsten zum Befehlt begehrt werden: Rafael (die 18—20 Bände kleinerer Blätter),
A. Dürer, Rembrandts Radirungen, Chodowiecki u. a. Stand unser Sinn
nach indischen) persischen, japanischen und chinesischen Malereien, Drucken und
Zeichnungen (von denen, zumal den japanischen, unsre ostasiatische Expedition
dem Cavinet eine Menge der interessantesten, oft genug durch ihre zuvor
bei uns nicht geahnte Vortrefflichkeit Staunen erregenden Proben zugeführt
hat), so wird der Beauftragte den niedern Schrank in dem engen Durch¬
gangszimmer öffnen, welches zwischen unserm ersten, dem rothen Saal,
und dem nächsten, dem grünen, liegt. Die den Blicken des hier Passirenden
durch eine bis zur Decke gehende Holztäfelung verdeckte, größere, tiefe und
schmale Abtheilung dieses Durchgangs birgt in riesigen Regalen einen künstleri¬
schen Schatz der eigenthümlichsten Art. der unter allen hier bewahrten vielleicht
am seltensten von der Neugierde des dilettantischen wie des Künstlerpublikums,
welches das Cabinet besucht, aus seiner verstaubten Ruhe gestört, aus seiner fried¬
lichen Lage gerissen wird. Es ist das die unter allen existirenden umfangreichste
Sammlung geschnittener Holzstöcke von den Meistern des Zeichenstists, des
Stichels und Messers seit drei bis vier Jahrhunderten. Da stehen die großen
und kleinen köstlichen Blöcke, ihre dem Laienauge so völlig unverständliche, räth¬
selhaft roh erscheinende, hier tief ausgegrabne, dort in tausend Lagen leicht
geritzte Oberfläche, in welche so viel Genie der Erfindung, so viel Kunst, Geschick '
und treuer ausdauernder Fleiß der beseelten Hand ihren unverlöschlichem Stempel
prägten, von dickem grauem Papier sorglich umhüllt, da stehen sie aufgespeichert
bis zur Decke und der Nützlichkeitsmensch könnte fragen, wem zu Liebe und
Lust, wem zu Gebrauch und Lehre? Im Grunde wohl um ihrer selbst willen;
denn die, welche ihnen vor allen jene beiden entgegenbringen, diese beiden bei
ihnen suchen und finden müßten, die heutigen Holzschneider, denken nicht daran,
es zu thun, in der handwerkenden Tagesarbeit und in dem eiteln Bewußt¬
sein von ihrer eignen Vollkommenheit und Unverbesserlichkeit, in welche sie mehr
wie alle andern Künstler versunken sind. Aber wie viele Abtheilungen von
Bibliotheken und Sammlungen sind nicht in dem gleichen Fall, wie diese Holz¬
stöcke, und doch wollen wir uns immerhin freuen, daß Regierungen, unbeirrt
von engen Nützlichkeitsprincipien, in deren Begründung, Vermehrung und sorg¬
lichen Hütung „um ihrer selbst willen" eine Art von idealer Pflicht sehen, der
sie genügen zu müssen glauben: „thu das Gute und wirfs ins Meer, sieht es
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