Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.Wucher verdammen und das Jubeljahr der Jsraeliten verkünden hörte, wo Stephan Seligmann, ein katholischer Kaplan, wollte es dem Entwichenen Luthers Abhandlungen und Glaubenssätze fanden nun in Tirol selbst unter Wucher verdammen und das Jubeljahr der Jsraeliten verkünden hörte, wo Stephan Seligmann, ein katholischer Kaplan, wollte es dem Entwichenen Luthers Abhandlungen und Glaubenssätze fanden nun in Tirol selbst unter <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0164" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283517"/> <p xml:id="ID_493" prev="#ID_492"> Wucher verdammen und das Jubeljahr der Jsraeliten verkünden hörte, wo<lb/> alle Knechte frei, alle Schulden aufgehoben, und jeder wieder zugelassen<lb/> würde zu den verkauften Erbgütern, mag es ihm wie himmlische Musik<lb/> geklungen haben. Auf Missionen und an Feiertagen begleiteten den geliebten<lb/> Prediger 30—40 Personen, andere hielten vor seiner Wohnung aus Argwohn<lb/> gegen die Geistlichen Wache. Als ihm dann in der Fasten 1S22 zwei Kapläne<lb/> auf offener Straße eine Vorladung des Bischofs zustellen wollten, wäre es bald<lb/> zu Aufruhr und Gewaltthat gekommen; zuletzt trat noch die Regierung da¬<lb/> zwischen und nöthigte ihn zur Abreise. Der Unwille erhob sich aber gegen die<lb/> Priesterschaft, die sich hinter die Herren zu Innsbruck gesteckt.</p><lb/> <p xml:id="ID_494"> Stephan Seligmann, ein katholischer Kaplan, wollte es dem Entwichenen<lb/> nachthun, allein seine Predigten mißfielen den Bürgern so sehr, daß er sich ge¬<lb/> nöthigt sah, auf seine Pfründe zu verzichten. An seiner Stelle wurde der<lb/> Karmeliter Dr. Urban Negius vorgeschlagen und vom Bischof bestätigt. Ob-<lb/> schon ein Schüler Johann Ecks neigte er sich doch gleich seinen Ordensbrüdern<lb/> in Augsburg zur lutherischen Lehre, seine strenge Moral war aber nicht das¬<lb/> jenige was die Haller zu hören wünschten. Um so leichter gelang es dem<lb/> Bischof, bei den Regenten zu Innsbruck seine Ausweisung zu erwirken, und er<lb/> durfte froh sein, der von jenem verlangten Verhaftung zu entkommen.</p><lb/> <p xml:id="ID_495" next="#ID_496"> Luthers Abhandlungen und Glaubenssätze fanden nun in Tirol selbst unter<lb/> dem einheimischen Klerus Anhänger. Mathias Messerschmied, Chorherr zu<lb/> Innichen, verbreitete dort und im Thale Villgraten lutherische Tractätlein, und<lb/> als er auf Befehl des Bischofs eingezogen wurde, versuchte es sein Küster, in<lb/> gleichem Sinne auf die Gemeinde einzuwirken, was dann als Empörung erklärt<lb/> wurde. Ein Cisterzienser zu Stams, der Frühmesser zu Heiterwang, ein Geist¬<lb/> licher im Zillerthal und ein Franziskaner zu Hall verkündeten in ihrer Um¬<lb/> gebung die vom Papste mit dem Bann belegte Lehre, in letzterer Stadt ver¬<lb/> kaufte man öffentlich lutherische Bücher, gleichwohl gewannen in Tirol eigentlich<lb/> nur die Wiedertäufer Anhang und Verbreitung. Ganz im Geiste dieser<lb/> Schwärmer dingte sich jener Franziskaner als Knappe zu schwatz ein, unfein<lb/> Brod nach dem Gebote Gottes im Schweiße seines Angesichts zu essen. Schon<lb/> im Jahre 1523 zählte man daselbst nach Sperges Bergwerksgeschichte 800<lb/> Wiedertäufer, und einer jener drei, die als solche 1624 zu Innsbruck hinge¬<lb/> richtet wurden, war beschuldigt, 400 Seelen zum Irrthum verführt zu haben.<lb/> Der träumerische, blos d«r inneren Stimme vertrauende Glaube sagte dem<lb/> Gemüth des einsamen Bergbewohners mehr zu als die scharfe Dialektik des<lb/> gelehrten Reformators zu Wittenberg, die Gemeinschaft der Güter unter den<lb/> Brüdern des tausendjährigen Reiches befreite den gemeinen Mann von den<lb/> schweren Lasten der Scholle, und das Ideal der Gleichheit aller vernichtete die<lb/> mittelalterlichen Privilegien. Sache der Geistlichkeit wäre es gewesen, diesen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0164]
Wucher verdammen und das Jubeljahr der Jsraeliten verkünden hörte, wo
alle Knechte frei, alle Schulden aufgehoben, und jeder wieder zugelassen
würde zu den verkauften Erbgütern, mag es ihm wie himmlische Musik
geklungen haben. Auf Missionen und an Feiertagen begleiteten den geliebten
Prediger 30—40 Personen, andere hielten vor seiner Wohnung aus Argwohn
gegen die Geistlichen Wache. Als ihm dann in der Fasten 1S22 zwei Kapläne
auf offener Straße eine Vorladung des Bischofs zustellen wollten, wäre es bald
zu Aufruhr und Gewaltthat gekommen; zuletzt trat noch die Regierung da¬
zwischen und nöthigte ihn zur Abreise. Der Unwille erhob sich aber gegen die
Priesterschaft, die sich hinter die Herren zu Innsbruck gesteckt.
Stephan Seligmann, ein katholischer Kaplan, wollte es dem Entwichenen
nachthun, allein seine Predigten mißfielen den Bürgern so sehr, daß er sich ge¬
nöthigt sah, auf seine Pfründe zu verzichten. An seiner Stelle wurde der
Karmeliter Dr. Urban Negius vorgeschlagen und vom Bischof bestätigt. Ob-
schon ein Schüler Johann Ecks neigte er sich doch gleich seinen Ordensbrüdern
in Augsburg zur lutherischen Lehre, seine strenge Moral war aber nicht das¬
jenige was die Haller zu hören wünschten. Um so leichter gelang es dem
Bischof, bei den Regenten zu Innsbruck seine Ausweisung zu erwirken, und er
durfte froh sein, der von jenem verlangten Verhaftung zu entkommen.
Luthers Abhandlungen und Glaubenssätze fanden nun in Tirol selbst unter
dem einheimischen Klerus Anhänger. Mathias Messerschmied, Chorherr zu
Innichen, verbreitete dort und im Thale Villgraten lutherische Tractätlein, und
als er auf Befehl des Bischofs eingezogen wurde, versuchte es sein Küster, in
gleichem Sinne auf die Gemeinde einzuwirken, was dann als Empörung erklärt
wurde. Ein Cisterzienser zu Stams, der Frühmesser zu Heiterwang, ein Geist¬
licher im Zillerthal und ein Franziskaner zu Hall verkündeten in ihrer Um¬
gebung die vom Papste mit dem Bann belegte Lehre, in letzterer Stadt ver¬
kaufte man öffentlich lutherische Bücher, gleichwohl gewannen in Tirol eigentlich
nur die Wiedertäufer Anhang und Verbreitung. Ganz im Geiste dieser
Schwärmer dingte sich jener Franziskaner als Knappe zu schwatz ein, unfein
Brod nach dem Gebote Gottes im Schweiße seines Angesichts zu essen. Schon
im Jahre 1523 zählte man daselbst nach Sperges Bergwerksgeschichte 800
Wiedertäufer, und einer jener drei, die als solche 1624 zu Innsbruck hinge¬
richtet wurden, war beschuldigt, 400 Seelen zum Irrthum verführt zu haben.
Der träumerische, blos d«r inneren Stimme vertrauende Glaube sagte dem
Gemüth des einsamen Bergbewohners mehr zu als die scharfe Dialektik des
gelehrten Reformators zu Wittenberg, die Gemeinschaft der Güter unter den
Brüdern des tausendjährigen Reiches befreite den gemeinen Mann von den
schweren Lasten der Scholle, und das Ideal der Gleichheit aller vernichtete die
mittelalterlichen Privilegien. Sache der Geistlichkeit wäre es gewesen, diesen
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