Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Besetzung des Schwurgerichts nach dem heutigen und
dem neuentworfenen Preußischen Strasprozeßrecht.

Einen der wichtigsten Punkte bei Beurtheilung der Bedeutung der Schwur¬
gerichte bildet die Zusammensetzung, die Besetzung derselben mit Geschwornen,
die Art, wie die Urlisicn aller zum Geschwornendienst fähigen Einwohner eines
bestimmten Bezirkes und die aus jenen gezogenen engeren Listen der Geschwor¬
nen für eine bestimmte Schwurgcrichtsperiode des einzelnen Gerichtsortes ge¬
bildet werden. Hier ist der AnHall für Staatsanwalte, Richter und Laien,
welche fort und fort über den Mangel der zureichenden geistigen Ausbildung,
logischen Schärfe und Consequenz bei den Geschwornen klagen und deshalb
das Institut ganz verwerfen möchten; hier ist der Anhalt für eine feudale Re¬
gierung und ihre Parteimänner, die parteiische Ausübung der hochwichtigen
Geschwornenpflichten, zumal in politischen und Preßvergehen und Verbrechen
zu rügen und deshalb das Institut für jene Fälle zu beschränken und solche
Vorschriften in die Strafproceßordnung einzureihen, welche diese Parteiwirkung
unmöglich machen, vielleicht aber auch der Negierung Mittel an die Hand
geben, ihren eigenen Parteieinfluß bei der Bildung der Schwurgerichte geltend
zu machen.

Die Systeme über die Besetzung der Schwurgerichte unterscheiden sich
je nach der verschiedenen Auffassung dieser Gerichte, je nachdem man den
Geschwornendienst als staatsbürgerliche Last oder als Urwählerrecht oder als
Ehrenamt ansteht; serner je nachdem die Regierung das Schwurgericht mit Ver-
trauen oder Mißtrauen betrachtet. Letzteres war der Hauptgrund, weshalb man in
Frankreich seit 1796 die Gesetzgebung über die Bildung der Schwurgerichtslisten
elfmal geändert hat. Man unterscheidet aber vornehmlich zwei Grundrichtungen
dieser Bildung. Nach dem ersten System werden schon die Urlisten (d. h.
die Listen aller zum Geschwornendienst in einem bestimmten Landesbezirke
fähigen Einwohner) mit solcher Sorgfalt gebildet, daß in dieselben nur Ge¬
schworne mit voller präsumtiver Intelligenz und Unabhängigkeit aufgenommen
werden, so daß dem Loose überlassen werden kann, hieraus'die Geschwornen der
Dienstliste (d. h. der Liste aller für eine bestimmte Schwurgerichtsperiode eines
Gerichtsorts designirter Geschwornen) zu ziehen. Diesem System folgte die
Strafproceßordnung Nordamerikas und Braunschweigs. Nach dem zweiten
System wird die Urliste auf einer breiten Grundlage entworfen, zur Bildung
der Dienstlisten hieraus muß aber dann eine erhebliche Sorgfalt verwendet
werden. '


Die Besetzung des Schwurgerichts nach dem heutigen und
dem neuentworfenen Preußischen Strasprozeßrecht.

Einen der wichtigsten Punkte bei Beurtheilung der Bedeutung der Schwur¬
gerichte bildet die Zusammensetzung, die Besetzung derselben mit Geschwornen,
die Art, wie die Urlisicn aller zum Geschwornendienst fähigen Einwohner eines
bestimmten Bezirkes und die aus jenen gezogenen engeren Listen der Geschwor¬
nen für eine bestimmte Schwurgcrichtsperiode des einzelnen Gerichtsortes ge¬
bildet werden. Hier ist der AnHall für Staatsanwalte, Richter und Laien,
welche fort und fort über den Mangel der zureichenden geistigen Ausbildung,
logischen Schärfe und Consequenz bei den Geschwornen klagen und deshalb
das Institut ganz verwerfen möchten; hier ist der Anhalt für eine feudale Re¬
gierung und ihre Parteimänner, die parteiische Ausübung der hochwichtigen
Geschwornenpflichten, zumal in politischen und Preßvergehen und Verbrechen
zu rügen und deshalb das Institut für jene Fälle zu beschränken und solche
Vorschriften in die Strafproceßordnung einzureihen, welche diese Parteiwirkung
unmöglich machen, vielleicht aber auch der Negierung Mittel an die Hand
geben, ihren eigenen Parteieinfluß bei der Bildung der Schwurgerichte geltend
zu machen.

Die Systeme über die Besetzung der Schwurgerichte unterscheiden sich
je nach der verschiedenen Auffassung dieser Gerichte, je nachdem man den
Geschwornendienst als staatsbürgerliche Last oder als Urwählerrecht oder als
Ehrenamt ansteht; serner je nachdem die Regierung das Schwurgericht mit Ver-
trauen oder Mißtrauen betrachtet. Letzteres war der Hauptgrund, weshalb man in
Frankreich seit 1796 die Gesetzgebung über die Bildung der Schwurgerichtslisten
elfmal geändert hat. Man unterscheidet aber vornehmlich zwei Grundrichtungen
dieser Bildung. Nach dem ersten System werden schon die Urlisten (d. h.
die Listen aller zum Geschwornendienst in einem bestimmten Landesbezirke
fähigen Einwohner) mit solcher Sorgfalt gebildet, daß in dieselben nur Ge¬
schworne mit voller präsumtiver Intelligenz und Unabhängigkeit aufgenommen
werden, so daß dem Loose überlassen werden kann, hieraus'die Geschwornen der
Dienstliste (d. h. der Liste aller für eine bestimmte Schwurgerichtsperiode eines
Gerichtsorts designirter Geschwornen) zu ziehen. Diesem System folgte die
Strafproceßordnung Nordamerikas und Braunschweigs. Nach dem zweiten
System wird die Urliste auf einer breiten Grundlage entworfen, zur Bildung
der Dienstlisten hieraus muß aber dann eine erhebliche Sorgfalt verwendet
werden. '


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0016" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283369"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Besetzung des Schwurgerichts nach dem heutigen und<lb/>
dem neuentworfenen Preußischen Strasprozeßrecht.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_24"> Einen der wichtigsten Punkte bei Beurtheilung der Bedeutung der Schwur¬<lb/>
gerichte bildet die Zusammensetzung, die Besetzung derselben mit Geschwornen,<lb/>
die Art, wie die Urlisicn aller zum Geschwornendienst fähigen Einwohner eines<lb/>
bestimmten Bezirkes und die aus jenen gezogenen engeren Listen der Geschwor¬<lb/>
nen für eine bestimmte Schwurgcrichtsperiode des einzelnen Gerichtsortes ge¬<lb/>
bildet werden. Hier ist der AnHall für Staatsanwalte, Richter und Laien,<lb/>
welche fort und fort über den Mangel der zureichenden geistigen Ausbildung,<lb/>
logischen Schärfe und Consequenz bei den Geschwornen klagen und deshalb<lb/>
das Institut ganz verwerfen möchten; hier ist der Anhalt für eine feudale Re¬<lb/>
gierung und ihre Parteimänner, die parteiische Ausübung der hochwichtigen<lb/>
Geschwornenpflichten, zumal in politischen und Preßvergehen und Verbrechen<lb/>
zu rügen und deshalb das Institut für jene Fälle zu beschränken und solche<lb/>
Vorschriften in die Strafproceßordnung einzureihen, welche diese Parteiwirkung<lb/>
unmöglich machen, vielleicht aber auch der Negierung Mittel an die Hand<lb/>
geben, ihren eigenen Parteieinfluß bei der Bildung der Schwurgerichte geltend<lb/>
zu machen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_25"> Die Systeme über die Besetzung der Schwurgerichte unterscheiden sich<lb/>
je nach der verschiedenen Auffassung dieser Gerichte, je nachdem man den<lb/>
Geschwornendienst als staatsbürgerliche Last oder als Urwählerrecht oder als<lb/>
Ehrenamt ansteht; serner je nachdem die Regierung das Schwurgericht mit Ver-<lb/>
trauen oder Mißtrauen betrachtet. Letzteres war der Hauptgrund, weshalb man in<lb/>
Frankreich seit 1796 die Gesetzgebung über die Bildung der Schwurgerichtslisten<lb/>
elfmal geändert hat. Man unterscheidet aber vornehmlich zwei Grundrichtungen<lb/>
dieser Bildung. Nach dem ersten System werden schon die Urlisten (d. h.<lb/>
die Listen aller zum Geschwornendienst in einem bestimmten Landesbezirke<lb/>
fähigen Einwohner) mit solcher Sorgfalt gebildet, daß in dieselben nur Ge¬<lb/>
schworne mit voller präsumtiver Intelligenz und Unabhängigkeit aufgenommen<lb/>
werden, so daß dem Loose überlassen werden kann, hieraus'die Geschwornen der<lb/>
Dienstliste (d. h. der Liste aller für eine bestimmte Schwurgerichtsperiode eines<lb/>
Gerichtsorts designirter Geschwornen) zu ziehen. Diesem System folgte die<lb/>
Strafproceßordnung Nordamerikas und Braunschweigs. Nach dem zweiten<lb/>
System wird die Urliste auf einer breiten Grundlage entworfen, zur Bildung<lb/>
der Dienstlisten hieraus muß aber dann eine erhebliche Sorgfalt verwendet<lb/>
werden. '</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0016] Die Besetzung des Schwurgerichts nach dem heutigen und dem neuentworfenen Preußischen Strasprozeßrecht. Einen der wichtigsten Punkte bei Beurtheilung der Bedeutung der Schwur¬ gerichte bildet die Zusammensetzung, die Besetzung derselben mit Geschwornen, die Art, wie die Urlisicn aller zum Geschwornendienst fähigen Einwohner eines bestimmten Bezirkes und die aus jenen gezogenen engeren Listen der Geschwor¬ nen für eine bestimmte Schwurgcrichtsperiode des einzelnen Gerichtsortes ge¬ bildet werden. Hier ist der AnHall für Staatsanwalte, Richter und Laien, welche fort und fort über den Mangel der zureichenden geistigen Ausbildung, logischen Schärfe und Consequenz bei den Geschwornen klagen und deshalb das Institut ganz verwerfen möchten; hier ist der Anhalt für eine feudale Re¬ gierung und ihre Parteimänner, die parteiische Ausübung der hochwichtigen Geschwornenpflichten, zumal in politischen und Preßvergehen und Verbrechen zu rügen und deshalb das Institut für jene Fälle zu beschränken und solche Vorschriften in die Strafproceßordnung einzureihen, welche diese Parteiwirkung unmöglich machen, vielleicht aber auch der Negierung Mittel an die Hand geben, ihren eigenen Parteieinfluß bei der Bildung der Schwurgerichte geltend zu machen. Die Systeme über die Besetzung der Schwurgerichte unterscheiden sich je nach der verschiedenen Auffassung dieser Gerichte, je nachdem man den Geschwornendienst als staatsbürgerliche Last oder als Urwählerrecht oder als Ehrenamt ansteht; serner je nachdem die Regierung das Schwurgericht mit Ver- trauen oder Mißtrauen betrachtet. Letzteres war der Hauptgrund, weshalb man in Frankreich seit 1796 die Gesetzgebung über die Bildung der Schwurgerichtslisten elfmal geändert hat. Man unterscheidet aber vornehmlich zwei Grundrichtungen dieser Bildung. Nach dem ersten System werden schon die Urlisten (d. h. die Listen aller zum Geschwornendienst in einem bestimmten Landesbezirke fähigen Einwohner) mit solcher Sorgfalt gebildet, daß in dieselben nur Ge¬ schworne mit voller präsumtiver Intelligenz und Unabhängigkeit aufgenommen werden, so daß dem Loose überlassen werden kann, hieraus'die Geschwornen der Dienstliste (d. h. der Liste aller für eine bestimmte Schwurgerichtsperiode eines Gerichtsorts designirter Geschwornen) zu ziehen. Diesem System folgte die Strafproceßordnung Nordamerikas und Braunschweigs. Nach dem zweiten System wird die Urliste auf einer breiten Grundlage entworfen, zur Bildung der Dienstlisten hieraus muß aber dann eine erhebliche Sorgfalt verwendet werden. '

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/16
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/16>, abgerufen am 15.01.2025.