Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.gefunden, auf diesem Höhepunkt der Scene schwebt die Rede des Alceste warm Allerdings ist Moliöre in dem Zusammenfügen dieser einzelnen Wirkungen Auffälliger ist uns, daß Meliere im Motiviren sorgloser ist. als wir sein 17*
gefunden, auf diesem Höhepunkt der Scene schwebt die Rede des Alceste warm Allerdings ist Moliöre in dem Zusammenfügen dieser einzelnen Wirkungen Auffälliger ist uns, daß Meliere im Motiviren sorgloser ist. als wir sein 17*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0143" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283496"/> <p xml:id="ID_426" prev="#ID_425"> gefunden, auf diesem Höhepunkt der Scene schwebt die Rede des Alceste warm<lb/> und langathmig dahin, der Gegenspieler ist unwillig ausnehmender Hörer.<lb/> Die Art, wie Alceste sein Volkslied in freudigem Genuß der schlichten Worte<lb/> trällernd noch einmal wiederholt, ist von unübertrefflicher Anmuth. Nach<lb/> dieser reichen Ausführung folgen schnelle stichische Wechselreden der Beiden in<lb/> schneller Steigerung des Zornes bis zu dem Moment, wo in Orville der Ca-<lb/> valier getroffen wird, Philine dazwischen tritt und Orville mit mühsamer Selbst¬<lb/> beherrschung den Wortwechsel, der ein Duell zur Folge haben wird, höflich<lb/> abbricht und sich entfernt. Darauf wieder kurz der Schluß des Actes, Philine<lb/> beklagt die Folgen der Scene, Alceste weist zornig seine Warnung ab. Es ist<lb/> ganz in der Ordnung, daß diese Scene auf der französischen Bühne immer<lb/> als ein Meisterstück schöner Arbeit geschätzt worden ist. kein Wort zu wenig<lb/> und zu viel, alles lebendig für die Darstellung geschaffen, alles wahr aus den<lb/> Charakteren entwickelt, schöne Gliederung und edle Proportion in ihren Theilen,<lb/> über die das Publikum bei der Darstellung nicht nachdenkt, deren Zusammen¬<lb/> bau sie aber als höchst wirksam genießt. Es giebt aber bei Moliere kaum eine<lb/> große Scene, in welcher dieselbe bewunderungswürdige Sicherheit und Fülle der<lb/> dramatischen Bewegung nicht in ähnlicher Weise erfreute.</p><lb/> <p xml:id="ID_427"> Allerdings ist Moliöre in dem Zusammenfügen dieser einzelnen Wirkungen<lb/> zu der Gesammthandlung nicht nach jeder Richtung für uns musterhaft. Er<lb/> liebt es, seine Charaktere sich in der Einleitung mit einer gewissen Breite über<lb/> ihr Wesen aussprechen zu lassen. Das war gewiß für seine Zeit, wo solche<lb/> Darstellung der Menschennatur etwas Neues war. vortrefflich, für uns sind<lb/> diese exponirenden Scenen einige Mal zu wortreich. Doch weiß er auch hier<lb/> klug zu nüanciren. Die Charaktere des Tartüffe, der Celimene, der gelehrten<lb/> Philaminte Präsentiren sich als innerlich wenig bewegte, in solchen Fällen<lb/> weiß er sehr gut, daß auch die größte Virtuosität im Detail eine Monotonie<lb/> nicht fern halten kann, und solche Hauptcharaktere führt er selbst, wenn nach<lb/> ihnen das Stück benannt ist, verhältnißmäßig spät auf. er giebt ihnen nur<lb/> wenige ausgeführte Scenen und läßt im ersten Act die Gegenspieler und Neben¬<lb/> personen das Wesen derselben erklären, so daß ihr Auftreten Befriedigung einer<lb/> bereits erregten Spannung ist. Tartüffe tritt erst im dritten Acte aus.</p><lb/> <p xml:id="ID_428" next="#ID_429"> Auffälliger ist uns, daß Meliere im Motiviren sorgloser ist. als wir sein<lb/> dürfen. Niemals da, wo er einen Fortschritt der Handlung aus den Charak¬<lb/> teren ableitet, wohl aber, wo er die Handlung hinter der Bühne fortspielen<lb/> läßt; was außerhalb seiner Tapeten geschehen muß, um die Handlung zu för-<lb/> dem, kümmert ihn wenig, und er setzt leicht das ihm Dienende voraus. Auch<lb/> in den Mitteln, durch welche er in den Jntriguenstücken seine Handlung fort¬<lb/> treibt, folgt er noch den Gewohnheiten der Römer, wie die Maskenkomödie<lb/> und die Spanier, welche die Ueberlieferungen des classischen Alterthums eben-</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 17*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0143]
gefunden, auf diesem Höhepunkt der Scene schwebt die Rede des Alceste warm
und langathmig dahin, der Gegenspieler ist unwillig ausnehmender Hörer.
Die Art, wie Alceste sein Volkslied in freudigem Genuß der schlichten Worte
trällernd noch einmal wiederholt, ist von unübertrefflicher Anmuth. Nach
dieser reichen Ausführung folgen schnelle stichische Wechselreden der Beiden in
schneller Steigerung des Zornes bis zu dem Moment, wo in Orville der Ca-
valier getroffen wird, Philine dazwischen tritt und Orville mit mühsamer Selbst¬
beherrschung den Wortwechsel, der ein Duell zur Folge haben wird, höflich
abbricht und sich entfernt. Darauf wieder kurz der Schluß des Actes, Philine
beklagt die Folgen der Scene, Alceste weist zornig seine Warnung ab. Es ist
ganz in der Ordnung, daß diese Scene auf der französischen Bühne immer
als ein Meisterstück schöner Arbeit geschätzt worden ist. kein Wort zu wenig
und zu viel, alles lebendig für die Darstellung geschaffen, alles wahr aus den
Charakteren entwickelt, schöne Gliederung und edle Proportion in ihren Theilen,
über die das Publikum bei der Darstellung nicht nachdenkt, deren Zusammen¬
bau sie aber als höchst wirksam genießt. Es giebt aber bei Moliere kaum eine
große Scene, in welcher dieselbe bewunderungswürdige Sicherheit und Fülle der
dramatischen Bewegung nicht in ähnlicher Weise erfreute.
Allerdings ist Moliöre in dem Zusammenfügen dieser einzelnen Wirkungen
zu der Gesammthandlung nicht nach jeder Richtung für uns musterhaft. Er
liebt es, seine Charaktere sich in der Einleitung mit einer gewissen Breite über
ihr Wesen aussprechen zu lassen. Das war gewiß für seine Zeit, wo solche
Darstellung der Menschennatur etwas Neues war. vortrefflich, für uns sind
diese exponirenden Scenen einige Mal zu wortreich. Doch weiß er auch hier
klug zu nüanciren. Die Charaktere des Tartüffe, der Celimene, der gelehrten
Philaminte Präsentiren sich als innerlich wenig bewegte, in solchen Fällen
weiß er sehr gut, daß auch die größte Virtuosität im Detail eine Monotonie
nicht fern halten kann, und solche Hauptcharaktere führt er selbst, wenn nach
ihnen das Stück benannt ist, verhältnißmäßig spät auf. er giebt ihnen nur
wenige ausgeführte Scenen und läßt im ersten Act die Gegenspieler und Neben¬
personen das Wesen derselben erklären, so daß ihr Auftreten Befriedigung einer
bereits erregten Spannung ist. Tartüffe tritt erst im dritten Acte aus.
Auffälliger ist uns, daß Meliere im Motiviren sorgloser ist. als wir sein
dürfen. Niemals da, wo er einen Fortschritt der Handlung aus den Charak¬
teren ableitet, wohl aber, wo er die Handlung hinter der Bühne fortspielen
läßt; was außerhalb seiner Tapeten geschehen muß, um die Handlung zu för-
dem, kümmert ihn wenig, und er setzt leicht das ihm Dienende voraus. Auch
in den Mitteln, durch welche er in den Jntriguenstücken seine Handlung fort¬
treibt, folgt er noch den Gewohnheiten der Römer, wie die Maskenkomödie
und die Spanier, welche die Ueberlieferungen des classischen Alterthums eben-
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