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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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zendsten erweist, und sie werden in guten Zeiten immer wieder auch auf unserer Bühne
Bewunderung erregen. Denn sie stellen der Schauspielkunst Aufgaben, welche
nur von großen Talenten zu lösen sind, wenn diese etwas haben, was in
unserer Zeit freilich selten auf der Bühne zu finden ist, Geist und zu gleicher
Zeit Reichthum in charakterisirenden Kunstmitteln und die größte Delikatesse in
Anwendung derselben.

Wahrhaft bewundernswürdig und niemals übertroffen ist Moliere in der
dramatischen Führung seiner Scenen; dem Lustspieldichter kann man kein
besseres Studium empfehlen als die Werke seiner besten Zeit. Jede Scene
eines Stückes hat die Aufgabe, durch die Bewegung und Conflicte der Personen
die Handlung ein Stück vorwärts zu treiben, jede Scene hat also ein Resultat
für das Ganze, und sie muß zu diesem Resultat durch ein mehr oder weniger
bewegtes Zusammenwirken der verschiedenen Charaktere kommen. Der Weg
dazu muß interessiren, das Resultat kräftig herausspringen. Der Lauf der Scene,
ihre aufsteigende Bewegung und ihr Höhenpunkt muß den Eindruck machen,
daß beides wahr und zwanglos aus den Charakteren und den Voraussetzungen
der Handlung hervorspringt, beides muß ihn zugleich überraschen und ihm
die Ahnung bereiten, daß es zweckvoll den Gesammtverlauf der Handlung
fördert; die Scene wird um so mehr spannen, je tiefer und poetischer sich
das Charakteristische der Personen darin ausdrückt, je kräftiger der Kampf
contrastirender Stimmungen und Willensrichtungen ist, aus denen das Re¬
sultat herausbricht. Und dieser Kampf und Verlauf muß endlich so empfunden
sein, daß er dem Schauspieler Gelegenheit giebt, durch seine Kunst: Mimik,
Geberde, Nuancen der Sprache die Wirkung zu steigern. Moliere, der Schau¬
spieler, empfindet in jedem Augenblick nicht nur die Wirkung der geschriebenen
Rede merkwürdig sicher, sondern ebenso deutlich die belebende Thätigkeit des
Darstellers bei der Aufführung. Er beengt und drückt diesen nicht, wie leicht
der stärkere Dichter thut, sondern er hebt ihn dadurch, daß er seiner Kunst
überall kleine Ausführungen läßt, komische Wirkungen, welche durch die Rede
an sich nicht erreicht werden. Der Dichter Trissotin will z. B. Damen, die ihn
hoch verehren, seine Verse vorlesen, er hat die einleitenden Phrasen der Be¬
wunderung, welche ihm vorausgespendet werden, überwunden, hat seine Damen
dadurch gespannt, daß er ihnen andeutet, auch eine Prinzessin habe das Ge.
dicht schmackhaft gefunden; er schmeichelt sich, es werde ihnen ebenso gehen und
erwartet Ruhe. Da kommt die Exaltation einer ungeschickten Verehrerin zu
neuem Ausbruch, und während er anfangen will zu lesen, wird er immer
wieder durch die Aeußerung ihrer ungeduldigen Erwartung unterbrochen. Wiederholt
öffnet er den Mund, ohne zu Worte zu kommen. Dieser Kampf zwischen seiner
Lust zu lesen und der Verpflichtung, die Dame reden zu lassen und ihren
Enthusiasmus noch zu bewundern, ist für den Darsteller eine kleine reizende


zendsten erweist, und sie werden in guten Zeiten immer wieder auch auf unserer Bühne
Bewunderung erregen. Denn sie stellen der Schauspielkunst Aufgaben, welche
nur von großen Talenten zu lösen sind, wenn diese etwas haben, was in
unserer Zeit freilich selten auf der Bühne zu finden ist, Geist und zu gleicher
Zeit Reichthum in charakterisirenden Kunstmitteln und die größte Delikatesse in
Anwendung derselben.

Wahrhaft bewundernswürdig und niemals übertroffen ist Moliere in der
dramatischen Führung seiner Scenen; dem Lustspieldichter kann man kein
besseres Studium empfehlen als die Werke seiner besten Zeit. Jede Scene
eines Stückes hat die Aufgabe, durch die Bewegung und Conflicte der Personen
die Handlung ein Stück vorwärts zu treiben, jede Scene hat also ein Resultat
für das Ganze, und sie muß zu diesem Resultat durch ein mehr oder weniger
bewegtes Zusammenwirken der verschiedenen Charaktere kommen. Der Weg
dazu muß interessiren, das Resultat kräftig herausspringen. Der Lauf der Scene,
ihre aufsteigende Bewegung und ihr Höhenpunkt muß den Eindruck machen,
daß beides wahr und zwanglos aus den Charakteren und den Voraussetzungen
der Handlung hervorspringt, beides muß ihn zugleich überraschen und ihm
die Ahnung bereiten, daß es zweckvoll den Gesammtverlauf der Handlung
fördert; die Scene wird um so mehr spannen, je tiefer und poetischer sich
das Charakteristische der Personen darin ausdrückt, je kräftiger der Kampf
contrastirender Stimmungen und Willensrichtungen ist, aus denen das Re¬
sultat herausbricht. Und dieser Kampf und Verlauf muß endlich so empfunden
sein, daß er dem Schauspieler Gelegenheit giebt, durch seine Kunst: Mimik,
Geberde, Nuancen der Sprache die Wirkung zu steigern. Moliere, der Schau¬
spieler, empfindet in jedem Augenblick nicht nur die Wirkung der geschriebenen
Rede merkwürdig sicher, sondern ebenso deutlich die belebende Thätigkeit des
Darstellers bei der Aufführung. Er beengt und drückt diesen nicht, wie leicht
der stärkere Dichter thut, sondern er hebt ihn dadurch, daß er seiner Kunst
überall kleine Ausführungen läßt, komische Wirkungen, welche durch die Rede
an sich nicht erreicht werden. Der Dichter Trissotin will z. B. Damen, die ihn
hoch verehren, seine Verse vorlesen, er hat die einleitenden Phrasen der Be¬
wunderung, welche ihm vorausgespendet werden, überwunden, hat seine Damen
dadurch gespannt, daß er ihnen andeutet, auch eine Prinzessin habe das Ge.
dicht schmackhaft gefunden; er schmeichelt sich, es werde ihnen ebenso gehen und
erwartet Ruhe. Da kommt die Exaltation einer ungeschickten Verehrerin zu
neuem Ausbruch, und während er anfangen will zu lesen, wird er immer
wieder durch die Aeußerung ihrer ungeduldigen Erwartung unterbrochen. Wiederholt
öffnet er den Mund, ohne zu Worte zu kommen. Dieser Kampf zwischen seiner
Lust zu lesen und der Verpflichtung, die Dame reden zu lassen und ihren
Enthusiasmus noch zu bewundern, ist für den Darsteller eine kleine reizende


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/140>, abgerufen am 15.01.2025.