Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Verbindungen völlig gleichgesinnt^ Geister nur eine einzige Parteiversammlung
und eine stehende, gegliederte Führerschaft haben, auch über die Landtagszeit
hinaus.

Die Fortschrittspartei ist vor vier Jahren ins Feld gerückt unter der
Führung einiger alten Kämpfer von 1848, Schulze-Delitzsch, Waldeck, v. Unruh,
neben denen die jüngeren Männer Jung > Lithauens damals noch eine ziemlich
bescheidene Rolle spielten. Vier Jahre haben indessen hingereicht zu zeigen,
daß es hierbei sein Bewenden nicht haben kann. Die Generation, welche 1848
auf der Höhe ihres männlichen Alters stand, ist den heutigen politischen Kämpfen
nicht mehr ganz gewachsen. Revolutionsepochen verbrauchen ihre Helden immer
rasch, und die für jene geeignetsten Naturen sind oft nur mäßig brauchbar
für eine Zeit langsamer, mühseliger Reform. Auch waren die dreißiger Jahre
selbst im Gegensatz zu den vierziger Jahren noch eine sehr ungenügende Bildungs¬
schule für Politiker. Schulze-Delitzsch hat sich um die Hebung des deutschen
Handwerker- und Arbeiterstandes unsterbliche Verdienste erworben, aber auf
dem Gebiet der Politik ist er von sehr viel weniger schöpferischer Ader. Bei
Waldeck und v. Kirchmann vollends geht alles Streben auf in einer ehren¬
werthen, aber beschränkten Schwärmerei für bestimmte Verfassungsrechte; darüber
hinaus sind sie banal oder gänzlich unfruchtbar. Wenn die Fortschrittspartei
aus einem losen, zerstreut fechtenden Haufen ein geschlossenes, actionsfäbigcs
Heer werden will, so muß sie damit anfangen, diese würdigen alten Herren
aus dem activen Kriegsrath in eine mehr ornamentale Stellung zu verpflanze",
ähnlich der, welche früher Lord Lansdowne und bald voraussichtlich Lord Palmer-
ston unter den englischen Whigs einnimmt.

Eigentliche Führcrtalente scheinen unter den jetzigen liberalen Abgeordneten
nur etwa v. Forkenbeck. Gneist und Virchow zu besitzen. Tochter hat sicherlich
den vollen politischen Verstand, und Michaelis außer einer nicht unbedeutenden
Einsicht den Ehrgeiz, der dazu gehört; aber es bedarf außerdem auch einer
mehr äußerlichen, unmittelbar aus die Menschen wirkenden Begabung, und ob
ihnen diese ebenfalls eigen ist. steht wohl noch dahin. Eine wahrhaft herrschende,
überwältigende, hinreißende Persönlichkeit, wie sie sich in Georg v. Vincke leider
mit einer so ganz unberechenbaren Sinnesart, mit einem hartnäckigen Haften
an untergeordneten Gesichtspunkten, geringem Ueberblick und mangelhafter Hin¬
gebung verbindet -- eine solche Persönlichkeit ist auf der ganzen liberalen Seite
des Hauses überhaupt nicht zu finden. Höchstens, daß v. Forkenbeck im Laufe
der Jahre zu einer solchen emporwüchse. Er hat auf jeden Fall eine bemerkens¬
werthe Anlage zu gewichtiger, würdevoller, feierlicher Beredsamkeit; und ganz
im Einklang mit dieser Naturgabe schont er seinen Ruf und spart sein öffent¬
liches Hervortreten für besondre außerordentliche Veranlassungen auf. In der
brennenden Frage des Verfassungsl'cunvfes aber, der Frage der Armeereform,


Verbindungen völlig gleichgesinnt^ Geister nur eine einzige Parteiversammlung
und eine stehende, gegliederte Führerschaft haben, auch über die Landtagszeit
hinaus.

Die Fortschrittspartei ist vor vier Jahren ins Feld gerückt unter der
Führung einiger alten Kämpfer von 1848, Schulze-Delitzsch, Waldeck, v. Unruh,
neben denen die jüngeren Männer Jung > Lithauens damals noch eine ziemlich
bescheidene Rolle spielten. Vier Jahre haben indessen hingereicht zu zeigen,
daß es hierbei sein Bewenden nicht haben kann. Die Generation, welche 1848
auf der Höhe ihres männlichen Alters stand, ist den heutigen politischen Kämpfen
nicht mehr ganz gewachsen. Revolutionsepochen verbrauchen ihre Helden immer
rasch, und die für jene geeignetsten Naturen sind oft nur mäßig brauchbar
für eine Zeit langsamer, mühseliger Reform. Auch waren die dreißiger Jahre
selbst im Gegensatz zu den vierziger Jahren noch eine sehr ungenügende Bildungs¬
schule für Politiker. Schulze-Delitzsch hat sich um die Hebung des deutschen
Handwerker- und Arbeiterstandes unsterbliche Verdienste erworben, aber auf
dem Gebiet der Politik ist er von sehr viel weniger schöpferischer Ader. Bei
Waldeck und v. Kirchmann vollends geht alles Streben auf in einer ehren¬
werthen, aber beschränkten Schwärmerei für bestimmte Verfassungsrechte; darüber
hinaus sind sie banal oder gänzlich unfruchtbar. Wenn die Fortschrittspartei
aus einem losen, zerstreut fechtenden Haufen ein geschlossenes, actionsfäbigcs
Heer werden will, so muß sie damit anfangen, diese würdigen alten Herren
aus dem activen Kriegsrath in eine mehr ornamentale Stellung zu verpflanze»,
ähnlich der, welche früher Lord Lansdowne und bald voraussichtlich Lord Palmer-
ston unter den englischen Whigs einnimmt.

Eigentliche Führcrtalente scheinen unter den jetzigen liberalen Abgeordneten
nur etwa v. Forkenbeck. Gneist und Virchow zu besitzen. Tochter hat sicherlich
den vollen politischen Verstand, und Michaelis außer einer nicht unbedeutenden
Einsicht den Ehrgeiz, der dazu gehört; aber es bedarf außerdem auch einer
mehr äußerlichen, unmittelbar aus die Menschen wirkenden Begabung, und ob
ihnen diese ebenfalls eigen ist. steht wohl noch dahin. Eine wahrhaft herrschende,
überwältigende, hinreißende Persönlichkeit, wie sie sich in Georg v. Vincke leider
mit einer so ganz unberechenbaren Sinnesart, mit einem hartnäckigen Haften
an untergeordneten Gesichtspunkten, geringem Ueberblick und mangelhafter Hin¬
gebung verbindet — eine solche Persönlichkeit ist auf der ganzen liberalen Seite
des Hauses überhaupt nicht zu finden. Höchstens, daß v. Forkenbeck im Laufe
der Jahre zu einer solchen emporwüchse. Er hat auf jeden Fall eine bemerkens¬
werthe Anlage zu gewichtiger, würdevoller, feierlicher Beredsamkeit; und ganz
im Einklang mit dieser Naturgabe schont er seinen Ruf und spart sein öffent¬
liches Hervortreten für besondre außerordentliche Veranlassungen auf. In der
brennenden Frage des Verfassungsl'cunvfes aber, der Frage der Armeereform,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0013" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283366"/>
          <p xml:id="ID_18" prev="#ID_17"> Verbindungen völlig gleichgesinnt^ Geister nur eine einzige Parteiversammlung<lb/>
und eine stehende, gegliederte Führerschaft haben, auch über die Landtagszeit<lb/>
hinaus.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_19"> Die Fortschrittspartei ist vor vier Jahren ins Feld gerückt unter der<lb/>
Führung einiger alten Kämpfer von 1848, Schulze-Delitzsch, Waldeck, v. Unruh,<lb/>
neben denen die jüngeren Männer Jung &gt; Lithauens damals noch eine ziemlich<lb/>
bescheidene Rolle spielten. Vier Jahre haben indessen hingereicht zu zeigen,<lb/>
daß es hierbei sein Bewenden nicht haben kann. Die Generation, welche 1848<lb/>
auf der Höhe ihres männlichen Alters stand, ist den heutigen politischen Kämpfen<lb/>
nicht mehr ganz gewachsen. Revolutionsepochen verbrauchen ihre Helden immer<lb/>
rasch, und die für jene geeignetsten Naturen sind oft nur mäßig brauchbar<lb/>
für eine Zeit langsamer, mühseliger Reform. Auch waren die dreißiger Jahre<lb/>
selbst im Gegensatz zu den vierziger Jahren noch eine sehr ungenügende Bildungs¬<lb/>
schule für Politiker. Schulze-Delitzsch hat sich um die Hebung des deutschen<lb/>
Handwerker- und Arbeiterstandes unsterbliche Verdienste erworben, aber auf<lb/>
dem Gebiet der Politik ist er von sehr viel weniger schöpferischer Ader. Bei<lb/>
Waldeck und v. Kirchmann vollends geht alles Streben auf in einer ehren¬<lb/>
werthen, aber beschränkten Schwärmerei für bestimmte Verfassungsrechte; darüber<lb/>
hinaus sind sie banal oder gänzlich unfruchtbar. Wenn die Fortschrittspartei<lb/>
aus einem losen, zerstreut fechtenden Haufen ein geschlossenes, actionsfäbigcs<lb/>
Heer werden will, so muß sie damit anfangen, diese würdigen alten Herren<lb/>
aus dem activen Kriegsrath in eine mehr ornamentale Stellung zu verpflanze»,<lb/>
ähnlich der, welche früher Lord Lansdowne und bald voraussichtlich Lord Palmer-<lb/>
ston unter den englischen Whigs einnimmt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_20" next="#ID_21"> Eigentliche Führcrtalente scheinen unter den jetzigen liberalen Abgeordneten<lb/>
nur etwa v. Forkenbeck. Gneist und Virchow zu besitzen. Tochter hat sicherlich<lb/>
den vollen politischen Verstand, und Michaelis außer einer nicht unbedeutenden<lb/>
Einsicht den Ehrgeiz, der dazu gehört; aber es bedarf außerdem auch einer<lb/>
mehr äußerlichen, unmittelbar aus die Menschen wirkenden Begabung, und ob<lb/>
ihnen diese ebenfalls eigen ist. steht wohl noch dahin. Eine wahrhaft herrschende,<lb/>
überwältigende, hinreißende Persönlichkeit, wie sie sich in Georg v. Vincke leider<lb/>
mit einer so ganz unberechenbaren Sinnesart, mit einem hartnäckigen Haften<lb/>
an untergeordneten Gesichtspunkten, geringem Ueberblick und mangelhafter Hin¬<lb/>
gebung verbindet &#x2014; eine solche Persönlichkeit ist auf der ganzen liberalen Seite<lb/>
des Hauses überhaupt nicht zu finden. Höchstens, daß v. Forkenbeck im Laufe<lb/>
der Jahre zu einer solchen emporwüchse. Er hat auf jeden Fall eine bemerkens¬<lb/>
werthe Anlage zu gewichtiger, würdevoller, feierlicher Beredsamkeit; und ganz<lb/>
im Einklang mit dieser Naturgabe schont er seinen Ruf und spart sein öffent¬<lb/>
liches Hervortreten für besondre außerordentliche Veranlassungen auf. In der<lb/>
brennenden Frage des Verfassungsl'cunvfes aber, der Frage der Armeereform,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0013] Verbindungen völlig gleichgesinnt^ Geister nur eine einzige Parteiversammlung und eine stehende, gegliederte Führerschaft haben, auch über die Landtagszeit hinaus. Die Fortschrittspartei ist vor vier Jahren ins Feld gerückt unter der Führung einiger alten Kämpfer von 1848, Schulze-Delitzsch, Waldeck, v. Unruh, neben denen die jüngeren Männer Jung > Lithauens damals noch eine ziemlich bescheidene Rolle spielten. Vier Jahre haben indessen hingereicht zu zeigen, daß es hierbei sein Bewenden nicht haben kann. Die Generation, welche 1848 auf der Höhe ihres männlichen Alters stand, ist den heutigen politischen Kämpfen nicht mehr ganz gewachsen. Revolutionsepochen verbrauchen ihre Helden immer rasch, und die für jene geeignetsten Naturen sind oft nur mäßig brauchbar für eine Zeit langsamer, mühseliger Reform. Auch waren die dreißiger Jahre selbst im Gegensatz zu den vierziger Jahren noch eine sehr ungenügende Bildungs¬ schule für Politiker. Schulze-Delitzsch hat sich um die Hebung des deutschen Handwerker- und Arbeiterstandes unsterbliche Verdienste erworben, aber auf dem Gebiet der Politik ist er von sehr viel weniger schöpferischer Ader. Bei Waldeck und v. Kirchmann vollends geht alles Streben auf in einer ehren¬ werthen, aber beschränkten Schwärmerei für bestimmte Verfassungsrechte; darüber hinaus sind sie banal oder gänzlich unfruchtbar. Wenn die Fortschrittspartei aus einem losen, zerstreut fechtenden Haufen ein geschlossenes, actionsfäbigcs Heer werden will, so muß sie damit anfangen, diese würdigen alten Herren aus dem activen Kriegsrath in eine mehr ornamentale Stellung zu verpflanze», ähnlich der, welche früher Lord Lansdowne und bald voraussichtlich Lord Palmer- ston unter den englischen Whigs einnimmt. Eigentliche Führcrtalente scheinen unter den jetzigen liberalen Abgeordneten nur etwa v. Forkenbeck. Gneist und Virchow zu besitzen. Tochter hat sicherlich den vollen politischen Verstand, und Michaelis außer einer nicht unbedeutenden Einsicht den Ehrgeiz, der dazu gehört; aber es bedarf außerdem auch einer mehr äußerlichen, unmittelbar aus die Menschen wirkenden Begabung, und ob ihnen diese ebenfalls eigen ist. steht wohl noch dahin. Eine wahrhaft herrschende, überwältigende, hinreißende Persönlichkeit, wie sie sich in Georg v. Vincke leider mit einer so ganz unberechenbaren Sinnesart, mit einem hartnäckigen Haften an untergeordneten Gesichtspunkten, geringem Ueberblick und mangelhafter Hin¬ gebung verbindet — eine solche Persönlichkeit ist auf der ganzen liberalen Seite des Hauses überhaupt nicht zu finden. Höchstens, daß v. Forkenbeck im Laufe der Jahre zu einer solchen emporwüchse. Er hat auf jeden Fall eine bemerkens¬ werthe Anlage zu gewichtiger, würdevoller, feierlicher Beredsamkeit; und ganz im Einklang mit dieser Naturgabe schont er seinen Ruf und spart sein öffent¬ liches Hervortreten für besondre außerordentliche Veranlassungen auf. In der brennenden Frage des Verfassungsl'cunvfes aber, der Frage der Armeereform,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/13
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/13>, abgerufen am 15.01.2025.