Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.In der ersten Kammer ferner führte der Abgeordnete Kisker aus, man müsst Gegner dieser Redefreiheit und dieser Auslegung unsrer Verfassungsur¬ Diese Gründe der Gegner sind aber nicht stichhaltig. Zunächst ist von In der ersten Kammer ferner führte der Abgeordnete Kisker aus, man müsst Gegner dieser Redefreiheit und dieser Auslegung unsrer Verfassungsur¬ Diese Gründe der Gegner sind aber nicht stichhaltig. Zunächst ist von <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0113" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283466"/> <p xml:id="ID_336" prev="#ID_335"> In der ersten Kammer ferner führte der Abgeordnete Kisker aus, man müsst<lb/> dem Art. 84 Alinea 1 eine unzweideutige Fassung dahin geben, daß unter den<lb/> „Meinungen" nicht „Aeußerungen" überhaupt zu verstehen seien; denn es er¬<lb/> scheine unbillig, daß Beleidigungen und Verleumdungen von Privatpersonen<lb/> durch Abgeordnete nur dem Ordnungsrufe des Präsidenten unterliegen sollten.<lb/> Daher empfehle sich „Meinungen" zu erklären mit „Begründungen der Ab¬<lb/> stimmung", gleichsam wie die Gründe eines gerichtlichen Erkenntnisses. Die<lb/> erste Kammer ist dieser Auslegung aber in keiner Weise beigetreten, noch sind<lb/> sonst im Plenum der beiden Häuser damals Bedenken gegen die jetzige Fassung<lb/> des Art. 84 vorgebracht oder Anträge auf Besserung oder Ergänzung desselben<lb/> gestellt worden. Also ergiebt sich auch aus dem Wortlaut und der Geschichte<lb/> der hier einschlagenden Vorschrift der preußischen Verfassungsurkunde, daß in<lb/> Preußen die unbeschränkte Redefreiheit der Kammermitglieder im obigen Sinne<lb/> gesetzlich gesichert.ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_337"> Gegner dieser Redefreiheit und dieser Auslegung unsrer Verfassungsur¬<lb/> kunde weisen darauf hin, daß die octroyirte Verfassung vom ö. December 1848,<lb/> wie gezeigt, „Meinungen" statt des in früheren Bestimmungen gesetzten Wortes<lb/> „Aeußerungen" in den Text aufnahm. Dies habe einen guten Grund. Denn<lb/> Meinungen bedeuteten im gewöhnlichen Sinne: Ansichten, Urtheile aus bestimmten<lb/> Gründen, Aeußerungen seien überhaupt Bekundungen von Gedanken durch<lb/> Worte. Aeußerung bilde daher das Allgemeinere, ausgesprochne Meinung das<lb/> Speciellere, was als Art in dem Allgemeinerem enthalten sei. Daher sei in<lb/> Art. 84 die Thätigkeit des Abgeordneten geschieden in „Abgeben der Stimme"<lb/> und „Meinungsabgabe" über die zu verhandelnden Fragen mit Einschluß der<lb/> Begründung seines Votums. Nur diese zwiefache Thätigkeit betreffe Art. 84,<lb/> wenn Abgeordnete außerdem ihre „Aeußerungen" allgemein verlauten ließen,<lb/> so sage die Verfassung über diese nichts, sie fielen also unter die allgemeinen<lb/> gesetzlichen Bestimmungen und so auch unter das Strafgesetz. Darum füge das<lb/> Gesetz vom 23. Juni 1848 auch ausdrücklich bei: „Worte" und Meinungen;<lb/> und der Commissionscntwurf der Nationalversammlung §. 79 setze statt dessen:<lb/> „schriftlich oder mündlich abgegebene Aeußerungen;" auch sei in den Revisions¬<lb/> commissionen beider Häuser 1849 die Aenderung von „Meinungen" des heutigen<lb/> Art. 84 in „Aeußerungen" beantragt, doch vergebens, weil man erwogen habe,<lb/> daß nicht alle an sich strafbaren Aeußerungen straflos oder blos der Disciplin<lb/> der Kammer anheimgegeben sein sollten.</p><lb/> <p xml:id="ID_338" next="#ID_339"> Diese Gründe der Gegner sind aber nicht stichhaltig. Zunächst ist von<lb/> ihnen unrichtig und unerweislich der allgemeine Sprachgebrauch betreffs „der<lb/> Meinung" gegenüber „der Aeußerung" so, wie angegeben, herangezogen. Man<lb/> braucht keineswegs in so strenger Begriffsscheidung beide Worte. Wollte man<lb/> diese Scheidung aber zur Auslegung des Art. 84 anwenden, so würde bei der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0113]
In der ersten Kammer ferner führte der Abgeordnete Kisker aus, man müsst
dem Art. 84 Alinea 1 eine unzweideutige Fassung dahin geben, daß unter den
„Meinungen" nicht „Aeußerungen" überhaupt zu verstehen seien; denn es er¬
scheine unbillig, daß Beleidigungen und Verleumdungen von Privatpersonen
durch Abgeordnete nur dem Ordnungsrufe des Präsidenten unterliegen sollten.
Daher empfehle sich „Meinungen" zu erklären mit „Begründungen der Ab¬
stimmung", gleichsam wie die Gründe eines gerichtlichen Erkenntnisses. Die
erste Kammer ist dieser Auslegung aber in keiner Weise beigetreten, noch sind
sonst im Plenum der beiden Häuser damals Bedenken gegen die jetzige Fassung
des Art. 84 vorgebracht oder Anträge auf Besserung oder Ergänzung desselben
gestellt worden. Also ergiebt sich auch aus dem Wortlaut und der Geschichte
der hier einschlagenden Vorschrift der preußischen Verfassungsurkunde, daß in
Preußen die unbeschränkte Redefreiheit der Kammermitglieder im obigen Sinne
gesetzlich gesichert.ist.
Gegner dieser Redefreiheit und dieser Auslegung unsrer Verfassungsur¬
kunde weisen darauf hin, daß die octroyirte Verfassung vom ö. December 1848,
wie gezeigt, „Meinungen" statt des in früheren Bestimmungen gesetzten Wortes
„Aeußerungen" in den Text aufnahm. Dies habe einen guten Grund. Denn
Meinungen bedeuteten im gewöhnlichen Sinne: Ansichten, Urtheile aus bestimmten
Gründen, Aeußerungen seien überhaupt Bekundungen von Gedanken durch
Worte. Aeußerung bilde daher das Allgemeinere, ausgesprochne Meinung das
Speciellere, was als Art in dem Allgemeinerem enthalten sei. Daher sei in
Art. 84 die Thätigkeit des Abgeordneten geschieden in „Abgeben der Stimme"
und „Meinungsabgabe" über die zu verhandelnden Fragen mit Einschluß der
Begründung seines Votums. Nur diese zwiefache Thätigkeit betreffe Art. 84,
wenn Abgeordnete außerdem ihre „Aeußerungen" allgemein verlauten ließen,
so sage die Verfassung über diese nichts, sie fielen also unter die allgemeinen
gesetzlichen Bestimmungen und so auch unter das Strafgesetz. Darum füge das
Gesetz vom 23. Juni 1848 auch ausdrücklich bei: „Worte" und Meinungen;
und der Commissionscntwurf der Nationalversammlung §. 79 setze statt dessen:
„schriftlich oder mündlich abgegebene Aeußerungen;" auch sei in den Revisions¬
commissionen beider Häuser 1849 die Aenderung von „Meinungen" des heutigen
Art. 84 in „Aeußerungen" beantragt, doch vergebens, weil man erwogen habe,
daß nicht alle an sich strafbaren Aeußerungen straflos oder blos der Disciplin
der Kammer anheimgegeben sein sollten.
Diese Gründe der Gegner sind aber nicht stichhaltig. Zunächst ist von
ihnen unrichtig und unerweislich der allgemeine Sprachgebrauch betreffs „der
Meinung" gegenüber „der Aeußerung" so, wie angegeben, herangezogen. Man
braucht keineswegs in so strenger Begriffsscheidung beide Worte. Wollte man
diese Scheidung aber zur Auslegung des Art. 84 anwenden, so würde bei der
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