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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band.

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zweifelhaft ansehen wollte. Selbst die Zahl letzterer deutscher Duodezverfassungen
verschwindet wirkungslos, wenn wir die oben nur in dem einen Beispiel von
Neuyork aufgeführten Verfassungen der -- auch in Größe und materieller Be¬
deutung so viel schwerer wiegenden -- Einzelstaaten der nordamerikanischen
Union einzeln citiren.

Allein bei dem Vorgehen der preußischen Negierung gegen die preußischen
Abgeordneten wird es erst in zweiter Linie auf die aus dem Wesen der Re¬
präsentativverfassung und aus dem Vergleiche der Verfassungsbestimmungen frei
regierter Länder entwickelten theoretischen Grundsätze ankommen. Gewährt die
preußische Verfassung in ihren Vorschriften nicht ausdrücklich unbeschränkte Rede¬
freiheit den preußischen Abgeordneten?

Die preußische Verfassung bestimmt in Art. 78: Die Kammer regelt ihren
Geschäftsgang und ihre Disciplin durch eine. Geschäftsordnung. Und in
Art. 84: Alinea 1: Die Mitglieder der Kammer können für ihre Abstimmungen
in der Kammer niemals, für ihre darin ausgesprochenen Meinungen nur inner¬
halb der Kammer auf Grund der Geschäftsordnung (Art. 78) zur Rechenschaft
gezogen werden.

Dieses Alinea lautete in der Regierungsvorlage vom 20. Mai 1848 §. S7
unbegrenzter, indem selbst die Beschränkung der Redefreiheit durch die Kammer
darin fehlte. Dagegen faßte §. 1 des mit der Nationalversammlung verein¬
barten Gesetzes vom 23. Juni 1848 sonst die Frage präciser dahin: Kein Mit¬
glied der Versammlung kann für seine Abstimmungen oder für die von ihm in
seiner Eigenschaft als Abgeordneter ausgesprochenen Worte und Meinungen in
irgendeiner Weise zur Rechenschaft gezogen werden; und noch mehr der nach
den Vorschlägen des conservativen Abgeordneten Reichensperger angenommene
Art. 79 des Commissionsentwurfs der Nationalversammlung: Sie können für
ihre Abstimmungen oder für die in ihrer Eigenschaft als Abgeordnete abgegebenen
schriftlichen oder mündlichen Aeußerungen nicht zur Rechenschaft gezogen werden.
Dem gegenüber hielt die octroyirte Verfassungsurkunde vom 6. December 1848
Art. 83, den Wortlaut obiger nicht beschränkender Regierungsvorlage vom
20. Mai 1848 §. 37 wieder aufrecht. Bei der Revision der octroyirten Ver¬
fassungsurkunde erhielt dann der Artikel 84 Alinea 1 seine heutige Fassung im
October bis December 1849, unter Uebereinstimmung der Nevisionscommissionen
und des Plenums beider Häuser. Hierbei bemerkte die Revisionscvmmission des
Abgeordnetenhauses, daß das erste Alinea das Bedenken erregt habe, als sei
jede Disciplin in der Kammer unstatthaft, so daß die letztere kein Mittel in
Händen habe, einem ordnungswidrigen störenden Betragen einzelner Mitglieder
entgegenzuwirken; deshalb sei die Aenderung angenommen, daß es in der Macht
der Kammern stehe, solche Mitglieder vorübergehend zu excludiren, doch schien
es nicht angemessen, diese Bestimmung in die Verfassungsurkunde zu setzen.


zweifelhaft ansehen wollte. Selbst die Zahl letzterer deutscher Duodezverfassungen
verschwindet wirkungslos, wenn wir die oben nur in dem einen Beispiel von
Neuyork aufgeführten Verfassungen der — auch in Größe und materieller Be¬
deutung so viel schwerer wiegenden — Einzelstaaten der nordamerikanischen
Union einzeln citiren.

Allein bei dem Vorgehen der preußischen Negierung gegen die preußischen
Abgeordneten wird es erst in zweiter Linie auf die aus dem Wesen der Re¬
präsentativverfassung und aus dem Vergleiche der Verfassungsbestimmungen frei
regierter Länder entwickelten theoretischen Grundsätze ankommen. Gewährt die
preußische Verfassung in ihren Vorschriften nicht ausdrücklich unbeschränkte Rede¬
freiheit den preußischen Abgeordneten?

Die preußische Verfassung bestimmt in Art. 78: Die Kammer regelt ihren
Geschäftsgang und ihre Disciplin durch eine. Geschäftsordnung. Und in
Art. 84: Alinea 1: Die Mitglieder der Kammer können für ihre Abstimmungen
in der Kammer niemals, für ihre darin ausgesprochenen Meinungen nur inner¬
halb der Kammer auf Grund der Geschäftsordnung (Art. 78) zur Rechenschaft
gezogen werden.

Dieses Alinea lautete in der Regierungsvorlage vom 20. Mai 1848 §. S7
unbegrenzter, indem selbst die Beschränkung der Redefreiheit durch die Kammer
darin fehlte. Dagegen faßte §. 1 des mit der Nationalversammlung verein¬
barten Gesetzes vom 23. Juni 1848 sonst die Frage präciser dahin: Kein Mit¬
glied der Versammlung kann für seine Abstimmungen oder für die von ihm in
seiner Eigenschaft als Abgeordneter ausgesprochenen Worte und Meinungen in
irgendeiner Weise zur Rechenschaft gezogen werden; und noch mehr der nach
den Vorschlägen des conservativen Abgeordneten Reichensperger angenommene
Art. 79 des Commissionsentwurfs der Nationalversammlung: Sie können für
ihre Abstimmungen oder für die in ihrer Eigenschaft als Abgeordnete abgegebenen
schriftlichen oder mündlichen Aeußerungen nicht zur Rechenschaft gezogen werden.
Dem gegenüber hielt die octroyirte Verfassungsurkunde vom 6. December 1848
Art. 83, den Wortlaut obiger nicht beschränkender Regierungsvorlage vom
20. Mai 1848 §. 37 wieder aufrecht. Bei der Revision der octroyirten Ver¬
fassungsurkunde erhielt dann der Artikel 84 Alinea 1 seine heutige Fassung im
October bis December 1849, unter Uebereinstimmung der Nevisionscommissionen
und des Plenums beider Häuser. Hierbei bemerkte die Revisionscvmmission des
Abgeordnetenhauses, daß das erste Alinea das Bedenken erregt habe, als sei
jede Disciplin in der Kammer unstatthaft, so daß die letztere kein Mittel in
Händen habe, einem ordnungswidrigen störenden Betragen einzelner Mitglieder
entgegenzuwirken; deshalb sei die Aenderung angenommen, daß es in der Macht
der Kammern stehe, solche Mitglieder vorübergehend zu excludiren, doch schien
es nicht angemessen, diese Bestimmung in die Verfassungsurkunde zu setzen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_283352/112>, abgerufen am 15.01.2025.