Herrn Stahrs Kleopatra. Kleopatra von Adolf Stahr. Berlin, 1864, 8.
Als Herr Stcihr seine "Rettungsanstalt für sittlich verwahrloste Heiden" mit Tiberius eröffnete, ließen sich die Grenzvoten von ihrer angeborenen Gut¬ müthigkeit hinreißen, bei der Beurtheilung desselben von den Anforderungen, die man sonst an einen Historiker und Philologen stellt, fast völlig abzusehen, auch darüber ein Auge zuzudrücken, daß Tiberius ganz ebenso im Grunde schon von Merivale gerettet worden, durchaus den Verfasser, der in seiner Jugend ein gutes Buch über Aristoteles geschrieben hat, als einen zu behandeln, der nach langer Pause zu Studien zurückkehrt, denen er bereits fremd geworden, mit einem Worte, dem beliebten Belletristen einen sueeös ä'östims zubereiten. Es sollte uns aufrichtig leid thun, wenn jene wohlmeinende Anwandlung anders gedeutet worden wäre, namentlich wenn wir sehen, wie Herr Stahr weiter rettet.
Wir sind auch jetzt noch nicht so unbarmherzig, an seine Kleopatra den Maßstab einer Quellenforschung zu legen, wie man sie von der neueren Ge¬ schichtschreibung erwartet. Nur Kleinmeisterei wird über den weisen Anhörens des Lucan, der S. 32 leibhaftig im Rathe des Ptolemäus auftritt, die Nase rümpfen, oder darüber, daß Herr Stahr alles Ernstes Cäsarn sein Herz an die "Ägyptische Zaubrerin" verlieren läßt und in vollster Unschuld Suetons Versicherung nachschreibt, daß Cäsar mit Kleopatra eine Vergnügungsreise nach Aethiopien beabsichtigt habe und an der Ausführung nur durch das Murren seiner Veteranen verhindert worden sei; und in dem Bemühen des Verfassers, über alle möglichen Nebenpersonen Details anzubringen, die leider fast allemal falsch sind, werden wir ein Aufdrehen von Genauigkeit billigerweise nicht ver¬ kennen -- obgleich wir nicht verhehlen wollen, daß ein befreundeter Unter¬ tertianer uns sein Erstaunen darüber ausdrückte, Kleopatra S. 47 den bekannten Pharnaces als König von Armenien figuriren zu sehen. Der Wohldenkende wird dies Herrn Stahr nachsehen, wie auch, daß er von den Resultaten der Philologie in den letzten Jahrhunderten nicht überall den wünschenswerthen Nutzen gezogen hat und z. B. durch sein ganzes Buch Cäsar als den Verfasser
Grenzboten II. 1866. 11
Herrn Stahrs Kleopatra. Kleopatra von Adolf Stahr. Berlin, 1864, 8.
Als Herr Stcihr seine „Rettungsanstalt für sittlich verwahrloste Heiden" mit Tiberius eröffnete, ließen sich die Grenzvoten von ihrer angeborenen Gut¬ müthigkeit hinreißen, bei der Beurtheilung desselben von den Anforderungen, die man sonst an einen Historiker und Philologen stellt, fast völlig abzusehen, auch darüber ein Auge zuzudrücken, daß Tiberius ganz ebenso im Grunde schon von Merivale gerettet worden, durchaus den Verfasser, der in seiner Jugend ein gutes Buch über Aristoteles geschrieben hat, als einen zu behandeln, der nach langer Pause zu Studien zurückkehrt, denen er bereits fremd geworden, mit einem Worte, dem beliebten Belletristen einen sueeös ä'östims zubereiten. Es sollte uns aufrichtig leid thun, wenn jene wohlmeinende Anwandlung anders gedeutet worden wäre, namentlich wenn wir sehen, wie Herr Stahr weiter rettet.
Wir sind auch jetzt noch nicht so unbarmherzig, an seine Kleopatra den Maßstab einer Quellenforschung zu legen, wie man sie von der neueren Ge¬ schichtschreibung erwartet. Nur Kleinmeisterei wird über den weisen Anhörens des Lucan, der S. 32 leibhaftig im Rathe des Ptolemäus auftritt, die Nase rümpfen, oder darüber, daß Herr Stahr alles Ernstes Cäsarn sein Herz an die „Ägyptische Zaubrerin" verlieren läßt und in vollster Unschuld Suetons Versicherung nachschreibt, daß Cäsar mit Kleopatra eine Vergnügungsreise nach Aethiopien beabsichtigt habe und an der Ausführung nur durch das Murren seiner Veteranen verhindert worden sei; und in dem Bemühen des Verfassers, über alle möglichen Nebenpersonen Details anzubringen, die leider fast allemal falsch sind, werden wir ein Aufdrehen von Genauigkeit billigerweise nicht ver¬ kennen — obgleich wir nicht verhehlen wollen, daß ein befreundeter Unter¬ tertianer uns sein Erstaunen darüber ausdrückte, Kleopatra S. 47 den bekannten Pharnaces als König von Armenien figuriren zu sehen. Der Wohldenkende wird dies Herrn Stahr nachsehen, wie auch, daß er von den Resultaten der Philologie in den letzten Jahrhunderten nicht überall den wünschenswerthen Nutzen gezogen hat und z. B. durch sein ganzes Buch Cäsar als den Verfasser
Grenzboten II. 1866. 11
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Herrn Stahrs Kleopatra.
Kleopatra von Adolf Stahr. Berlin, 1864, 8.
Als Herr Stcihr seine „Rettungsanstalt für sittlich verwahrloste Heiden"
mit Tiberius eröffnete, ließen sich die Grenzvoten von ihrer angeborenen Gut¬
müthigkeit hinreißen, bei der Beurtheilung desselben von den Anforderungen, die
man sonst an einen Historiker und Philologen stellt, fast völlig abzusehen, auch
darüber ein Auge zuzudrücken, daß Tiberius ganz ebenso im Grunde schon
von Merivale gerettet worden, durchaus den Verfasser, der in seiner Jugend
ein gutes Buch über Aristoteles geschrieben hat, als einen zu behandeln, der
nach langer Pause zu Studien zurückkehrt, denen er bereits fremd geworden,
mit einem Worte, dem beliebten Belletristen einen sueeös ä'östims zubereiten.
Es sollte uns aufrichtig leid thun, wenn jene wohlmeinende Anwandlung
anders gedeutet worden wäre, namentlich wenn wir sehen, wie Herr Stahr
weiter rettet.
Wir sind auch jetzt noch nicht so unbarmherzig, an seine Kleopatra den
Maßstab einer Quellenforschung zu legen, wie man sie von der neueren Ge¬
schichtschreibung erwartet. Nur Kleinmeisterei wird über den weisen Anhörens
des Lucan, der S. 32 leibhaftig im Rathe des Ptolemäus auftritt, die Nase
rümpfen, oder darüber, daß Herr Stahr alles Ernstes Cäsarn sein Herz an
die „Ägyptische Zaubrerin" verlieren läßt und in vollster Unschuld Suetons
Versicherung nachschreibt, daß Cäsar mit Kleopatra eine Vergnügungsreise nach
Aethiopien beabsichtigt habe und an der Ausführung nur durch das Murren
seiner Veteranen verhindert worden sei; und in dem Bemühen des Verfassers,
über alle möglichen Nebenpersonen Details anzubringen, die leider fast allemal
falsch sind, werden wir ein Aufdrehen von Genauigkeit billigerweise nicht ver¬
kennen — obgleich wir nicht verhehlen wollen, daß ein befreundeter Unter¬
tertianer uns sein Erstaunen darüber ausdrückte, Kleopatra S. 47 den bekannten
Pharnaces als König von Armenien figuriren zu sehen. Der Wohldenkende
wird dies Herrn Stahr nachsehen, wie auch, daß er von den Resultaten der
Philologie in den letzten Jahrhunderten nicht überall den wünschenswerthen
Nutzen gezogen hat und z. B. durch sein ganzes Buch Cäsar als den Verfasser
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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/91>, abgerufen am 25.02.2025.
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