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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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(K. Peter in der Einleitung zu seiner Geschichte Roms) gegen dessen
Auffassung Cäsars und. wie er annimmt, auch der Kaiserzeit, polemisirt, so ver¬
urtheilt er, wie uns scheint, dadurch seine eigene Auffassung stärker als ein
wohlwollender Beurtheiler seines eigenen Werkes zu thun im Stande wäre.
Die specifisch römischen Tugenden der Republik wurden nicht durch Cäsar und
seine Nachfolger unterdrückt, sondern Cäsar und die Kaiser, die Guten wie
die Schlechten wurden deshalb möglich und nöthig, weil der Gemeinsinn des
römischen Volkes bereits verloren, sein politischer Charakter tief verderbt
war, weil die römische Freiheit ein elendes Possenspiel in den Händen von
Intriguanten und räuberischen Fractionen geworden, weil die letzten Grunde
lagen jeder staatlichen Existenz, Sicherheit und Wohlstand der Millionen Kleinen
in Frage gestellt war. Die Nichtswürdigkeit der römischen Zustände, schon
lange vor Cäsar ein Unglück Italiens, Verderb der Provinzen, wurde da¬
durch nicht besser, daß die Parteien immer noch römische Tugend und Freiheit
der Republik im Munde führten. Wer sich durch solche Phrasen täuschen läßt,
wer das politische Thun des Cicero, Cato, Brutus nach den Stilübungen be¬
urtheilt, welche sie selbst anstellten, oder welche über sie geschrieben wurden,
dem ist der große Strom des antiken Lebens nicht so durchsichtig, als wir einem
Geschichtschreiber wünschen.

In den Sachen hat Theodor Mommsen gegen solche Gegner, welche ihn
selbst einer Vorliebe für den Cäsarismus beschuldigen, durchaus Recht, und er
soll von der sichern Höhe, auf welcher er steht, mit Ruhe dergleichen Aus¬
stellungen ihrem Schicksal überlassen. Dagegen ist nicht zu läugnen, daß er im
Ausdruck seines Urtheils zuweilen eine Schärfe zeigt, welche wohl einmal zum
Widerspruch reizen kann. In seiner energischen Weise die Personen zu besprechen,
ist, wo er mißbilligt, Eifer und sittlicher Unwille zuweilen lebhafter aus¬
gedrückt, als dem behaglichen Leser mit der majestätischen Würde des Geschicht¬
schreibers verträglich erscheint. Es wäre vergebliche Mühe eines Kritikers, gegen
diese Eigenheit durch artige Vorstellung anzukämpfen, denn sie ist innig ver¬
bunden mit dem gescnnmten Schaffen des bedeutenden Mannes, in welchem ein
klarer und sicher abwägender Geist von den Schwingungen eines leidenschaft¬
lich bewegten Gemüthes durchzuckt wird. Wäre er anders, er wäre wahr¬
scheinlich nicht immer so völlig und so warm; und wir Andern werden uns
bescheiden müssen, mit einem Lächeln oder einem leisen Seufzer zuzusehn, wie
dieser Tell unserer Alterthumswissenschaft hier und da auf scharfem Felsgrate
einer kühnen Behauptung dahin schreitet. Den Boden unter seinem Fuß ver¬
liert er doch nicht. ,

Der erste Band seines Werkes reicht bis zum Ende des dritten macedo-
nischen Krieges, die neue Auflage der beiden nächsten Theile, welche bis zur
Dictatur Cäsars führen, wird voraussichtlich in kurzer Frist folgen. Von


(K. Peter in der Einleitung zu seiner Geschichte Roms) gegen dessen
Auffassung Cäsars und. wie er annimmt, auch der Kaiserzeit, polemisirt, so ver¬
urtheilt er, wie uns scheint, dadurch seine eigene Auffassung stärker als ein
wohlwollender Beurtheiler seines eigenen Werkes zu thun im Stande wäre.
Die specifisch römischen Tugenden der Republik wurden nicht durch Cäsar und
seine Nachfolger unterdrückt, sondern Cäsar und die Kaiser, die Guten wie
die Schlechten wurden deshalb möglich und nöthig, weil der Gemeinsinn des
römischen Volkes bereits verloren, sein politischer Charakter tief verderbt
war, weil die römische Freiheit ein elendes Possenspiel in den Händen von
Intriguanten und räuberischen Fractionen geworden, weil die letzten Grunde
lagen jeder staatlichen Existenz, Sicherheit und Wohlstand der Millionen Kleinen
in Frage gestellt war. Die Nichtswürdigkeit der römischen Zustände, schon
lange vor Cäsar ein Unglück Italiens, Verderb der Provinzen, wurde da¬
durch nicht besser, daß die Parteien immer noch römische Tugend und Freiheit
der Republik im Munde führten. Wer sich durch solche Phrasen täuschen läßt,
wer das politische Thun des Cicero, Cato, Brutus nach den Stilübungen be¬
urtheilt, welche sie selbst anstellten, oder welche über sie geschrieben wurden,
dem ist der große Strom des antiken Lebens nicht so durchsichtig, als wir einem
Geschichtschreiber wünschen.

In den Sachen hat Theodor Mommsen gegen solche Gegner, welche ihn
selbst einer Vorliebe für den Cäsarismus beschuldigen, durchaus Recht, und er
soll von der sichern Höhe, auf welcher er steht, mit Ruhe dergleichen Aus¬
stellungen ihrem Schicksal überlassen. Dagegen ist nicht zu läugnen, daß er im
Ausdruck seines Urtheils zuweilen eine Schärfe zeigt, welche wohl einmal zum
Widerspruch reizen kann. In seiner energischen Weise die Personen zu besprechen,
ist, wo er mißbilligt, Eifer und sittlicher Unwille zuweilen lebhafter aus¬
gedrückt, als dem behaglichen Leser mit der majestätischen Würde des Geschicht¬
schreibers verträglich erscheint. Es wäre vergebliche Mühe eines Kritikers, gegen
diese Eigenheit durch artige Vorstellung anzukämpfen, denn sie ist innig ver¬
bunden mit dem gescnnmten Schaffen des bedeutenden Mannes, in welchem ein
klarer und sicher abwägender Geist von den Schwingungen eines leidenschaft¬
lich bewegten Gemüthes durchzuckt wird. Wäre er anders, er wäre wahr¬
scheinlich nicht immer so völlig und so warm; und wir Andern werden uns
bescheiden müssen, mit einem Lächeln oder einem leisen Seufzer zuzusehn, wie
dieser Tell unserer Alterthumswissenschaft hier und da auf scharfem Felsgrate
einer kühnen Behauptung dahin schreitet. Den Boden unter seinem Fuß ver¬
liert er doch nicht. ,

Der erste Band seines Werkes reicht bis zum Ende des dritten macedo-
nischen Krieges, die neue Auflage der beiden nächsten Theile, welche bis zur
Dictatur Cäsars führen, wird voraussichtlich in kurzer Frist folgen. Von


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[0072] (K. Peter in der Einleitung zu seiner Geschichte Roms) gegen dessen Auffassung Cäsars und. wie er annimmt, auch der Kaiserzeit, polemisirt, so ver¬ urtheilt er, wie uns scheint, dadurch seine eigene Auffassung stärker als ein wohlwollender Beurtheiler seines eigenen Werkes zu thun im Stande wäre. Die specifisch römischen Tugenden der Republik wurden nicht durch Cäsar und seine Nachfolger unterdrückt, sondern Cäsar und die Kaiser, die Guten wie die Schlechten wurden deshalb möglich und nöthig, weil der Gemeinsinn des römischen Volkes bereits verloren, sein politischer Charakter tief verderbt war, weil die römische Freiheit ein elendes Possenspiel in den Händen von Intriguanten und räuberischen Fractionen geworden, weil die letzten Grunde lagen jeder staatlichen Existenz, Sicherheit und Wohlstand der Millionen Kleinen in Frage gestellt war. Die Nichtswürdigkeit der römischen Zustände, schon lange vor Cäsar ein Unglück Italiens, Verderb der Provinzen, wurde da¬ durch nicht besser, daß die Parteien immer noch römische Tugend und Freiheit der Republik im Munde führten. Wer sich durch solche Phrasen täuschen läßt, wer das politische Thun des Cicero, Cato, Brutus nach den Stilübungen be¬ urtheilt, welche sie selbst anstellten, oder welche über sie geschrieben wurden, dem ist der große Strom des antiken Lebens nicht so durchsichtig, als wir einem Geschichtschreiber wünschen. In den Sachen hat Theodor Mommsen gegen solche Gegner, welche ihn selbst einer Vorliebe für den Cäsarismus beschuldigen, durchaus Recht, und er soll von der sichern Höhe, auf welcher er steht, mit Ruhe dergleichen Aus¬ stellungen ihrem Schicksal überlassen. Dagegen ist nicht zu läugnen, daß er im Ausdruck seines Urtheils zuweilen eine Schärfe zeigt, welche wohl einmal zum Widerspruch reizen kann. In seiner energischen Weise die Personen zu besprechen, ist, wo er mißbilligt, Eifer und sittlicher Unwille zuweilen lebhafter aus¬ gedrückt, als dem behaglichen Leser mit der majestätischen Würde des Geschicht¬ schreibers verträglich erscheint. Es wäre vergebliche Mühe eines Kritikers, gegen diese Eigenheit durch artige Vorstellung anzukämpfen, denn sie ist innig ver¬ bunden mit dem gescnnmten Schaffen des bedeutenden Mannes, in welchem ein klarer und sicher abwägender Geist von den Schwingungen eines leidenschaft¬ lich bewegten Gemüthes durchzuckt wird. Wäre er anders, er wäre wahr¬ scheinlich nicht immer so völlig und so warm; und wir Andern werden uns bescheiden müssen, mit einem Lächeln oder einem leisen Seufzer zuzusehn, wie dieser Tell unserer Alterthumswissenschaft hier und da auf scharfem Felsgrate einer kühnen Behauptung dahin schreitet. Den Boden unter seinem Fuß ver¬ liert er doch nicht. , Der erste Band seines Werkes reicht bis zum Ende des dritten macedo- nischen Krieges, die neue Auflage der beiden nächsten Theile, welche bis zur Dictatur Cäsars führen, wird voraussichtlich in kurzer Frist folgen. Von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/72>, abgerufen am 12.12.2024.