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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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kraft, welche den zerfallenden Staat am Rande des Abgrundes auf neue Grund¬
lagen stellte, deren Werth für die Entwickelung des Menschengeschlechts von der
nächsten Generation ad durch mehrhundertjährige Dauer erwiesen werden sollte.
Was kümmert es den Geschichtschreiber, wenn der moderne Cäsarismus in
jenen vergangenen Zuständen Vertheidigungsgründe für sein eigenes System
sucht? Was damals die höchste Berechtigung hatte, mag heut mit bestem Grunde
als unberechtigt verurtheilt werden. Es giebt keine trostlosere Aufgabe als
Aehnlichkeit zwischen der Zeit Julius Cäsars und der Zeit Napoleons des Drit¬
ten aufzufinden. Im Alterthum die verdorbene Aristokratie einer herrschenden Stadt,
welcher die unlösbare Aufgabe geworden war. aus sich selbst und der zerrütteten Ver¬
fassung einer großen Commune die Organisation eines Weltreichs zu entwickeln;
in unserer Zeit die aufblühende Kraft einer großen Völkerfamilie, welche das
Geheimniß bereits gefunden hat. die Staaten unter gesetzlicher Herbeiziehung der
Intelligenz selbstkräftig und nach eigenen Lebensbedingungen zu verjüngen. Im
Alterthum die Grundanschauung, daß der Mensch an sich ein friedloses und wehr¬
loses Object sei und nur durch politische Vorrechte, als Bürger, das Recht einer
selbständigen Existenz erhalte, in unserer Zeit das Bestreben. Menschennatur, auch
die des kleinsten Mannes, des Fremden, hoch und edel zu fassen. -- Zur Zeit der ab¬
sterbenden Republik war die Herrschaft des Einen über den Erdkreis und das
daraus für ihn hervorgehende Interesse, alle seine Untergebenen in gedeihlicher
Lage zu erhalten, ein hoher Culturfortschntt, welcher den Krieg der Völker,
Stämme Städte bändigte, und das Individuum allmälig heraufhob. Mit Recht hat
der ehrgeizige und starke Charakter, welcher in solcher Zeit durchsetzt, Herr
der Welt, zu werden, Anspruch auf unsere Sympathien, denn sein Egois¬
mus hat die höchste Berechtigung. Er ist Träger der besten weltgeschicht¬
lichen Ideen, er ist auch in unserem Sinne Werkzeug der Gottheit. Wie sehr
seine Person mit Schwächen und mit nicht zu rechtfertigenden Thaten belastet
sei, es ist grade für das freiste Urtheil unmöglich, seine Person ohne
Liebe, seine Erfolge ohne warmen Antheil zu betrachten. Und es ist auch
maßvollen und gerechtem Urtheil unmöglich, von den Personen seiner Geg¬
ner den Schatten wegzuwischen, in den sein besseres Recht unvermeidlich stellt.

So lange es Geschichtschreiber gegeben hat, und so lange es Männer geben
wird, welche nicht die traurige Kunst gelernt haben, bei Darstellung menschlicher
Natur auf das zu verzichten, was allein die richtige Schilderung von Charakteren
möglich macht, auf Liebe zu menschlichem Fortschritt, so lange werden solche Ge¬
stalten einer rücksichtsvollen und warmen Behandlung durch die dankbare Nach¬
welt sicher sein, und kleines Urtheil über sie wird auf den Urheber zurückfallen.
Dergleichen Charaktere sind für die neue Geschichte Luther. Friedrich der Große,
Cromwell und Wilhelm der Oranier, aber Napoleon der Erste nur in einer kurzen
Zeit seines politischen Lebens. Wenn deshalb ein Gegner Mommsens


kraft, welche den zerfallenden Staat am Rande des Abgrundes auf neue Grund¬
lagen stellte, deren Werth für die Entwickelung des Menschengeschlechts von der
nächsten Generation ad durch mehrhundertjährige Dauer erwiesen werden sollte.
Was kümmert es den Geschichtschreiber, wenn der moderne Cäsarismus in
jenen vergangenen Zuständen Vertheidigungsgründe für sein eigenes System
sucht? Was damals die höchste Berechtigung hatte, mag heut mit bestem Grunde
als unberechtigt verurtheilt werden. Es giebt keine trostlosere Aufgabe als
Aehnlichkeit zwischen der Zeit Julius Cäsars und der Zeit Napoleons des Drit¬
ten aufzufinden. Im Alterthum die verdorbene Aristokratie einer herrschenden Stadt,
welcher die unlösbare Aufgabe geworden war. aus sich selbst und der zerrütteten Ver¬
fassung einer großen Commune die Organisation eines Weltreichs zu entwickeln;
in unserer Zeit die aufblühende Kraft einer großen Völkerfamilie, welche das
Geheimniß bereits gefunden hat. die Staaten unter gesetzlicher Herbeiziehung der
Intelligenz selbstkräftig und nach eigenen Lebensbedingungen zu verjüngen. Im
Alterthum die Grundanschauung, daß der Mensch an sich ein friedloses und wehr¬
loses Object sei und nur durch politische Vorrechte, als Bürger, das Recht einer
selbständigen Existenz erhalte, in unserer Zeit das Bestreben. Menschennatur, auch
die des kleinsten Mannes, des Fremden, hoch und edel zu fassen. — Zur Zeit der ab¬
sterbenden Republik war die Herrschaft des Einen über den Erdkreis und das
daraus für ihn hervorgehende Interesse, alle seine Untergebenen in gedeihlicher
Lage zu erhalten, ein hoher Culturfortschntt, welcher den Krieg der Völker,
Stämme Städte bändigte, und das Individuum allmälig heraufhob. Mit Recht hat
der ehrgeizige und starke Charakter, welcher in solcher Zeit durchsetzt, Herr
der Welt, zu werden, Anspruch auf unsere Sympathien, denn sein Egois¬
mus hat die höchste Berechtigung. Er ist Träger der besten weltgeschicht¬
lichen Ideen, er ist auch in unserem Sinne Werkzeug der Gottheit. Wie sehr
seine Person mit Schwächen und mit nicht zu rechtfertigenden Thaten belastet
sei, es ist grade für das freiste Urtheil unmöglich, seine Person ohne
Liebe, seine Erfolge ohne warmen Antheil zu betrachten. Und es ist auch
maßvollen und gerechtem Urtheil unmöglich, von den Personen seiner Geg¬
ner den Schatten wegzuwischen, in den sein besseres Recht unvermeidlich stellt.

So lange es Geschichtschreiber gegeben hat, und so lange es Männer geben
wird, welche nicht die traurige Kunst gelernt haben, bei Darstellung menschlicher
Natur auf das zu verzichten, was allein die richtige Schilderung von Charakteren
möglich macht, auf Liebe zu menschlichem Fortschritt, so lange werden solche Ge¬
stalten einer rücksichtsvollen und warmen Behandlung durch die dankbare Nach¬
welt sicher sein, und kleines Urtheil über sie wird auf den Urheber zurückfallen.
Dergleichen Charaktere sind für die neue Geschichte Luther. Friedrich der Große,
Cromwell und Wilhelm der Oranier, aber Napoleon der Erste nur in einer kurzen
Zeit seines politischen Lebens. Wenn deshalb ein Gegner Mommsens


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/71>, abgerufen am 12.12.2024.