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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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mehr dazu geeignet. Lehrreiches über Entstehung und Umbildung dieser Ueber"
lieferungen zu berichten als der Verfasser.

Fast in jedem wichtigen Punkte der römischen Geschichte hat die Arbeit
Mommsens entweder zuerst eine neue Auffassung eingeführt, oder von Andern
gewonnene Resultate neu hineingearbeitet. Nur an einige dieser Resultate
soll hier erinnert werden. Rom ist ihm ein Jmportmarkt und Grenzschutz der
italischen Bauergemeindcn gegen die Etrusker, unter einem Zusatz von nahe
verwandtem Sabinerblut sehr allmälig aus der Landschaft entwickelt. Die Ver¬
fassung der römischen Gemeinde, welche wir bis zu den Anfängen der Republik
zurück verfolgen können, vermag im Laufe der Jahre den Uebergang aus einer
Stadtverfassung zu der Verfassung eines Großstaates nicht aus sich zu ent¬
wickeln. Schon als man den Kampf zwischen den privilegirten Vollbürgcrn und
den Plebejern durch Einrichtung des Tribunals zu zeitweiligen Abschluß
bringt, legt man den Keim des Untergangs in das Staatsleben der aufblühenden
Stadt. Je weiter die Wucht und ausdauernde Kraft der römischen Bundes¬
genossenschaft sich räumlich ausbreitet, desto mißlicher wird der jährliche Wechsel
der Magistrate in Rom, desto bedenklicher die Familienfactionen und Volks¬
beschlüsse einer Stadt, welche jetzt berufen ist, die meisten Länder des Mittel¬
meeres zu beherrschen. Ein großer Theil der Mißerfolge und innern Ge¬
fahren, welche Rom mehr als einmal an den Rand des Unterganges bringen,
stammt aus diesen innern Widersprüchen. Doch so lange die Urkraft des Bodens
vorhält, das harte, zähe Geschlecht der alten freien italischen Bauern, werden die
Gebrechen der Staatsverfassung immer wieder durch die tüchtige Volkskraft
gut gemacht.

Als nach der furchtbaren Verwüstung Italiens im zweiten punischen
Kriege dies kostbare Material sehr verringert ist. als der Raub aus reichen
Ländern in Rom zusammengehäuft wird, als das käufliche, städtische Prole¬
tariat einer Anzahl reicher und privilegirter Familien gegenübersteht und durch
Bestechung in ihren Dienst gezogen wird, schwinden die festen Grundlagen der
römischen Republik, der Boden wird hohl unter den Staatsmännern, welche
als Plantagenbesitzcr durch ihre Sklavenheerden den römischen Acker bauen und
welche die Herrschaft der Stadt über fremde Nationen schamlos benutzen, sich und
ihre Parteigenossen zu bereichern. Durch das erste Triumvirat kommt die innere
Fäulniß des Staatswesens zu Tage, die Zeit tritt ein, wo nur die völlige
Umwandlung der Verfassung und der Staatseinrichtungen retten kann, und
solche Umwandlung ist nicht möglich ohne das Genie und das Principal eines
Einzelnen. Die Art, in welcher Mommsen diese unläugbaren Thatsachen aus¬
führt und begründet, ist vielleicht das größte Verdienst seines genialen Werkes.

Es ist bemerkenswerth, daß grade einige Stellen der römischen Geschichte,
in denen die originale Auffassung Mommsens am großartigsten die Zu-


mehr dazu geeignet. Lehrreiches über Entstehung und Umbildung dieser Ueber«
lieferungen zu berichten als der Verfasser.

Fast in jedem wichtigen Punkte der römischen Geschichte hat die Arbeit
Mommsens entweder zuerst eine neue Auffassung eingeführt, oder von Andern
gewonnene Resultate neu hineingearbeitet. Nur an einige dieser Resultate
soll hier erinnert werden. Rom ist ihm ein Jmportmarkt und Grenzschutz der
italischen Bauergemeindcn gegen die Etrusker, unter einem Zusatz von nahe
verwandtem Sabinerblut sehr allmälig aus der Landschaft entwickelt. Die Ver¬
fassung der römischen Gemeinde, welche wir bis zu den Anfängen der Republik
zurück verfolgen können, vermag im Laufe der Jahre den Uebergang aus einer
Stadtverfassung zu der Verfassung eines Großstaates nicht aus sich zu ent¬
wickeln. Schon als man den Kampf zwischen den privilegirten Vollbürgcrn und
den Plebejern durch Einrichtung des Tribunals zu zeitweiligen Abschluß
bringt, legt man den Keim des Untergangs in das Staatsleben der aufblühenden
Stadt. Je weiter die Wucht und ausdauernde Kraft der römischen Bundes¬
genossenschaft sich räumlich ausbreitet, desto mißlicher wird der jährliche Wechsel
der Magistrate in Rom, desto bedenklicher die Familienfactionen und Volks¬
beschlüsse einer Stadt, welche jetzt berufen ist, die meisten Länder des Mittel¬
meeres zu beherrschen. Ein großer Theil der Mißerfolge und innern Ge¬
fahren, welche Rom mehr als einmal an den Rand des Unterganges bringen,
stammt aus diesen innern Widersprüchen. Doch so lange die Urkraft des Bodens
vorhält, das harte, zähe Geschlecht der alten freien italischen Bauern, werden die
Gebrechen der Staatsverfassung immer wieder durch die tüchtige Volkskraft
gut gemacht.

Als nach der furchtbaren Verwüstung Italiens im zweiten punischen
Kriege dies kostbare Material sehr verringert ist. als der Raub aus reichen
Ländern in Rom zusammengehäuft wird, als das käufliche, städtische Prole¬
tariat einer Anzahl reicher und privilegirter Familien gegenübersteht und durch
Bestechung in ihren Dienst gezogen wird, schwinden die festen Grundlagen der
römischen Republik, der Boden wird hohl unter den Staatsmännern, welche
als Plantagenbesitzcr durch ihre Sklavenheerden den römischen Acker bauen und
welche die Herrschaft der Stadt über fremde Nationen schamlos benutzen, sich und
ihre Parteigenossen zu bereichern. Durch das erste Triumvirat kommt die innere
Fäulniß des Staatswesens zu Tage, die Zeit tritt ein, wo nur die völlige
Umwandlung der Verfassung und der Staatseinrichtungen retten kann, und
solche Umwandlung ist nicht möglich ohne das Genie und das Principal eines
Einzelnen. Die Art, in welcher Mommsen diese unläugbaren Thatsachen aus¬
führt und begründet, ist vielleicht das größte Verdienst seines genialen Werkes.

Es ist bemerkenswerth, daß grade einige Stellen der römischen Geschichte,
in denen die originale Auffassung Mommsens am großartigsten die Zu-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/69>, abgerufen am 12.12.2024.