Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

denken. Die Landschaften hatten seit dem Jahre 1848 einen großen Theil ihrer
Intelligenz durch Auswanderung oder Tod verloren, die Schleswig-Hvlsieiner,
welche an der dreijährigen Erhebung theilgenommen hatten, sahen über ganz
Deutschland zerstreut, im Lande selbst war man nicht vorbereitet und fast hoff¬
nungslos, die Kraft des Widerstandes war nicht erschöpft, aber sie war durch¬
aus nicht organisirt, in dem gequälten Schleswig herrschte tiefe Erbitterung, in
Holstein eine kalte Abneigung gegen die Dänen, beide Länder mußten von
Deutschland aus den Impuls und Hilfe erhalten.

Unter diesen Verhältnissen war einer Agitation, welche von Privaten aus¬
ging, der Weg genau vorgeschrieben, auf welchem sie vorzugehn hatte. Dao
Erbrecht des herzoglichen Hauses von Augustenburg mußte den londoner Ver¬
trägen entgegengestellt, die öffentliche Meinung in Deutschland und den Her-
zogthümern mußte dafür gewonnen werden, die Kammern der einzelnen Staa¬
ten mußten einen Druck auf ihre Regierungen ausüben, deutsche Regierungen,
welche seit Jahren in dieser Frage Popularität erstrebt hatten, mußten gewon¬
nen werden. Es galt eine Bewegung zu erregen, welche dem Auslande im-
ponirte, die deutschen Großmächte, wenn auch wider ihren Willen, aus der
Unschlüssigkeit oder Gleichgiltigkeit herauftrieb. Alles mußte versucht, das
Aeußerste darangesetzt werden, den festen Willen der Nation zu erweisen. Je¬
dem Besonnenen war klar, daß die Herzogthümer nur durch militärische Unter¬
stützung deutscher Staatsmächte befreit werden konnten, aber es war ebenso
offenbar, daß diese Unterstützung der Sache Schleswig-Holsteins nur dann wer¬
den würde, wenn das deutsche Volk und der Fürst, dessen Erbrecht die Hand¬
habe zur Befreiung der Herzogthümer bot. den festen Entschluß erwiesen, im
Nothfall offene Gewalt den Dänen entgegenzusetzen.

Von diesem Gesichtspunkt aus begann die Agitation. Sie fand im Volk
einen Boden, der durch vergossenes Blut, durch Schlachten und Niederlagen,
durch Schmach und bittere Empfindungen in fünfzehn langen Jahren reichlich
gedüngt war. Die Bewegung verbreitete sich blitzschnell über den Westen und
Süden Deutschlands, Vereine bildeten sich, die Presse arbeitete mit einem Eifer,
den sie seit vielen Jahren nicht erwiesen hatte, Volksversammlungen, Deputa¬
tionen. Erklärungen fuhren umher.

Es ist an der Zeit, daran zu erinnern. Denn auch den Liberalen scheint
durch die Ereignisse der spätern Zeit die stolze Freude beeinträchtigt, daß ihre
Agitation während der letzten Monate des Jahres 1863 in der That die Befreiung
der Herzogthümer von der dänischen Herrschaft möglich gemacht hat und daß
diese Agitation grade alles das bewirkt hat, was sie unter, einem Zusammen¬
wirken günstiger Umstände erreichen konnte. Ein leidenschaftliches Aufglühen des
Volkswillens hat zuerst einige wohlgesinnte Regierungen ermuthigt, dann die
Mehrzahl der Mittelstaaten auf die deutsche Seite der Frage gestellt, die Oppo-


denken. Die Landschaften hatten seit dem Jahre 1848 einen großen Theil ihrer
Intelligenz durch Auswanderung oder Tod verloren, die Schleswig-Hvlsieiner,
welche an der dreijährigen Erhebung theilgenommen hatten, sahen über ganz
Deutschland zerstreut, im Lande selbst war man nicht vorbereitet und fast hoff¬
nungslos, die Kraft des Widerstandes war nicht erschöpft, aber sie war durch¬
aus nicht organisirt, in dem gequälten Schleswig herrschte tiefe Erbitterung, in
Holstein eine kalte Abneigung gegen die Dänen, beide Länder mußten von
Deutschland aus den Impuls und Hilfe erhalten.

Unter diesen Verhältnissen war einer Agitation, welche von Privaten aus¬
ging, der Weg genau vorgeschrieben, auf welchem sie vorzugehn hatte. Dao
Erbrecht des herzoglichen Hauses von Augustenburg mußte den londoner Ver¬
trägen entgegengestellt, die öffentliche Meinung in Deutschland und den Her-
zogthümern mußte dafür gewonnen werden, die Kammern der einzelnen Staa¬
ten mußten einen Druck auf ihre Regierungen ausüben, deutsche Regierungen,
welche seit Jahren in dieser Frage Popularität erstrebt hatten, mußten gewon¬
nen werden. Es galt eine Bewegung zu erregen, welche dem Auslande im-
ponirte, die deutschen Großmächte, wenn auch wider ihren Willen, aus der
Unschlüssigkeit oder Gleichgiltigkeit herauftrieb. Alles mußte versucht, das
Aeußerste darangesetzt werden, den festen Willen der Nation zu erweisen. Je¬
dem Besonnenen war klar, daß die Herzogthümer nur durch militärische Unter¬
stützung deutscher Staatsmächte befreit werden konnten, aber es war ebenso
offenbar, daß diese Unterstützung der Sache Schleswig-Holsteins nur dann wer¬
den würde, wenn das deutsche Volk und der Fürst, dessen Erbrecht die Hand¬
habe zur Befreiung der Herzogthümer bot. den festen Entschluß erwiesen, im
Nothfall offene Gewalt den Dänen entgegenzusetzen.

Von diesem Gesichtspunkt aus begann die Agitation. Sie fand im Volk
einen Boden, der durch vergossenes Blut, durch Schlachten und Niederlagen,
durch Schmach und bittere Empfindungen in fünfzehn langen Jahren reichlich
gedüngt war. Die Bewegung verbreitete sich blitzschnell über den Westen und
Süden Deutschlands, Vereine bildeten sich, die Presse arbeitete mit einem Eifer,
den sie seit vielen Jahren nicht erwiesen hatte, Volksversammlungen, Deputa¬
tionen. Erklärungen fuhren umher.

Es ist an der Zeit, daran zu erinnern. Denn auch den Liberalen scheint
durch die Ereignisse der spätern Zeit die stolze Freude beeinträchtigt, daß ihre
Agitation während der letzten Monate des Jahres 1863 in der That die Befreiung
der Herzogthümer von der dänischen Herrschaft möglich gemacht hat und daß
diese Agitation grade alles das bewirkt hat, was sie unter, einem Zusammen¬
wirken günstiger Umstände erreichen konnte. Ein leidenschaftliches Aufglühen des
Volkswillens hat zuerst einige wohlgesinnte Regierungen ermuthigt, dann die
Mehrzahl der Mittelstaaten auf die deutsche Seite der Frage gestellt, die Oppo-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0037" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/282834"/>
          <p xml:id="ID_106" prev="#ID_105"> denken. Die Landschaften hatten seit dem Jahre 1848 einen großen Theil ihrer<lb/>
Intelligenz durch Auswanderung oder Tod verloren, die Schleswig-Hvlsieiner,<lb/>
welche an der dreijährigen Erhebung theilgenommen hatten, sahen über ganz<lb/>
Deutschland zerstreut, im Lande selbst war man nicht vorbereitet und fast hoff¬<lb/>
nungslos, die Kraft des Widerstandes war nicht erschöpft, aber sie war durch¬<lb/>
aus nicht organisirt, in dem gequälten Schleswig herrschte tiefe Erbitterung, in<lb/>
Holstein eine kalte Abneigung gegen die Dänen, beide Länder mußten von<lb/>
Deutschland aus den Impuls und Hilfe erhalten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_107"> Unter diesen Verhältnissen war einer Agitation, welche von Privaten aus¬<lb/>
ging, der Weg genau vorgeschrieben, auf welchem sie vorzugehn hatte. Dao<lb/>
Erbrecht des herzoglichen Hauses von Augustenburg mußte den londoner Ver¬<lb/>
trägen entgegengestellt, die öffentliche Meinung in Deutschland und den Her-<lb/>
zogthümern mußte dafür gewonnen werden, die Kammern der einzelnen Staa¬<lb/>
ten mußten einen Druck auf ihre Regierungen ausüben, deutsche Regierungen,<lb/>
welche seit Jahren in dieser Frage Popularität erstrebt hatten, mußten gewon¬<lb/>
nen werden. Es galt eine Bewegung zu erregen, welche dem Auslande im-<lb/>
ponirte, die deutschen Großmächte, wenn auch wider ihren Willen, aus der<lb/>
Unschlüssigkeit oder Gleichgiltigkeit herauftrieb. Alles mußte versucht, das<lb/>
Aeußerste darangesetzt werden, den festen Willen der Nation zu erweisen. Je¬<lb/>
dem Besonnenen war klar, daß die Herzogthümer nur durch militärische Unter¬<lb/>
stützung deutscher Staatsmächte befreit werden konnten, aber es war ebenso<lb/>
offenbar, daß diese Unterstützung der Sache Schleswig-Holsteins nur dann wer¬<lb/>
den würde, wenn das deutsche Volk und der Fürst, dessen Erbrecht die Hand¬<lb/>
habe zur Befreiung der Herzogthümer bot. den festen Entschluß erwiesen, im<lb/>
Nothfall offene Gewalt den Dänen entgegenzusetzen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_108"> Von diesem Gesichtspunkt aus begann die Agitation. Sie fand im Volk<lb/>
einen Boden, der durch vergossenes Blut, durch Schlachten und Niederlagen,<lb/>
durch Schmach und bittere Empfindungen in fünfzehn langen Jahren reichlich<lb/>
gedüngt war. Die Bewegung verbreitete sich blitzschnell über den Westen und<lb/>
Süden Deutschlands, Vereine bildeten sich, die Presse arbeitete mit einem Eifer,<lb/>
den sie seit vielen Jahren nicht erwiesen hatte, Volksversammlungen, Deputa¬<lb/>
tionen. Erklärungen fuhren umher.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_109" next="#ID_110"> Es ist an der Zeit, daran zu erinnern. Denn auch den Liberalen scheint<lb/>
durch die Ereignisse der spätern Zeit die stolze Freude beeinträchtigt, daß ihre<lb/>
Agitation während der letzten Monate des Jahres 1863 in der That die Befreiung<lb/>
der Herzogthümer von der dänischen Herrschaft möglich gemacht hat und daß<lb/>
diese Agitation grade alles das bewirkt hat, was sie unter, einem Zusammen¬<lb/>
wirken günstiger Umstände erreichen konnte. Ein leidenschaftliches Aufglühen des<lb/>
Volkswillens hat zuerst einige wohlgesinnte Regierungen ermuthigt, dann die<lb/>
Mehrzahl der Mittelstaaten auf die deutsche Seite der Frage gestellt, die Oppo-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0037] denken. Die Landschaften hatten seit dem Jahre 1848 einen großen Theil ihrer Intelligenz durch Auswanderung oder Tod verloren, die Schleswig-Hvlsieiner, welche an der dreijährigen Erhebung theilgenommen hatten, sahen über ganz Deutschland zerstreut, im Lande selbst war man nicht vorbereitet und fast hoff¬ nungslos, die Kraft des Widerstandes war nicht erschöpft, aber sie war durch¬ aus nicht organisirt, in dem gequälten Schleswig herrschte tiefe Erbitterung, in Holstein eine kalte Abneigung gegen die Dänen, beide Länder mußten von Deutschland aus den Impuls und Hilfe erhalten. Unter diesen Verhältnissen war einer Agitation, welche von Privaten aus¬ ging, der Weg genau vorgeschrieben, auf welchem sie vorzugehn hatte. Dao Erbrecht des herzoglichen Hauses von Augustenburg mußte den londoner Ver¬ trägen entgegengestellt, die öffentliche Meinung in Deutschland und den Her- zogthümern mußte dafür gewonnen werden, die Kammern der einzelnen Staa¬ ten mußten einen Druck auf ihre Regierungen ausüben, deutsche Regierungen, welche seit Jahren in dieser Frage Popularität erstrebt hatten, mußten gewon¬ nen werden. Es galt eine Bewegung zu erregen, welche dem Auslande im- ponirte, die deutschen Großmächte, wenn auch wider ihren Willen, aus der Unschlüssigkeit oder Gleichgiltigkeit herauftrieb. Alles mußte versucht, das Aeußerste darangesetzt werden, den festen Willen der Nation zu erweisen. Je¬ dem Besonnenen war klar, daß die Herzogthümer nur durch militärische Unter¬ stützung deutscher Staatsmächte befreit werden konnten, aber es war ebenso offenbar, daß diese Unterstützung der Sache Schleswig-Holsteins nur dann wer¬ den würde, wenn das deutsche Volk und der Fürst, dessen Erbrecht die Hand¬ habe zur Befreiung der Herzogthümer bot. den festen Entschluß erwiesen, im Nothfall offene Gewalt den Dänen entgegenzusetzen. Von diesem Gesichtspunkt aus begann die Agitation. Sie fand im Volk einen Boden, der durch vergossenes Blut, durch Schlachten und Niederlagen, durch Schmach und bittere Empfindungen in fünfzehn langen Jahren reichlich gedüngt war. Die Bewegung verbreitete sich blitzschnell über den Westen und Süden Deutschlands, Vereine bildeten sich, die Presse arbeitete mit einem Eifer, den sie seit vielen Jahren nicht erwiesen hatte, Volksversammlungen, Deputa¬ tionen. Erklärungen fuhren umher. Es ist an der Zeit, daran zu erinnern. Denn auch den Liberalen scheint durch die Ereignisse der spätern Zeit die stolze Freude beeinträchtigt, daß ihre Agitation während der letzten Monate des Jahres 1863 in der That die Befreiung der Herzogthümer von der dänischen Herrschaft möglich gemacht hat und daß diese Agitation grade alles das bewirkt hat, was sie unter, einem Zusammen¬ wirken günstiger Umstände erreichen konnte. Ein leidenschaftliches Aufglühen des Volkswillens hat zuerst einige wohlgesinnte Regierungen ermuthigt, dann die Mehrzahl der Mittelstaaten auf die deutsche Seite der Frage gestellt, die Oppo-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/37
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/37>, abgerufen am 05.12.2024.