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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

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Bon gothischer Baukunst alter und neuer Zeit.
i.

Nummer 12 und 13 der Grenzboten brachten aus Julius Meyers Feder
zwei Aufsätze über Ursprung und Schätzung des gothischen Stils und über
die Gothik des neunzehnten Jahrhunderts, die mit glänzender Beredsamkeit die
S'ache der modernen Principien im Bereich der Architektur führen und jedem
Versuch einer, Wiederbelebung der Gothik energisch entgegentreten. Der Ver¬
fasser sucht sowohl die Jncongruenz der gothischen Formen mit unserem Lebens¬
inhalte wie ihren Mangel an organischer Durchbildung und architektonischer Wahr¬
heit nachzuweisen und von beiden Instanzen aus den Werth der vorhandenen
Ethischen Kunstwerke aus die Bedeutung von Denkmälern einer überwundenen
Periode und von geschichtlichen Erscheinungen zurückzuführen, die keine lebendige
Vermittelung zu uns herüber mehr haben. Wir. die wir die Gesichtspunkte
der Romantiker nicht theilen, die wir mit dem Verfasser die Entwickelung, die
stetige Verjüngung alles Aeußeren aus der inneren Kraft wollen und die einzelnen
historischen Rechte dem Rechte des geschichtlichen Lebens unterordnen, wir ver¬
mögen gleichwohl diesen kritischen Ausführungen nicht überall beizutreten. In¬
dem Julius Meyer den überschwenglichen Behauptungen derer entgegentritt,
welche den gothischen Stil als den im eminenten Sinne nationalen angesehen
wissen wollen, scheint seine Darstellung selbst der Ergänzung aus weiteren
Gesichtspunkten zu bedürfen, um ins rechte Maß zu kommen; da aber, wo die
Frage praktisch geworden ist. versäumt er einen Unterschied zwischen kirchlichem
und weltlichem Stil zu machen: eine Versäumniß freilich, welche sich die Er¬
neuerer der Gothik selbst zu Schulden kommen ließen, und durch die sie ihrer
Sache am meisten schadeten. In beiden Richtungen erlauben wir uns nur einige
Bemerkungen.

Daß die Gothik in gewissem Sinne französischen Ursprungs sei. sofern
w Frankreich die ersten spitzbogigen Arkadenstcllungcn unternommen wurden,
wäg immerhin gelten, wiewohl der Spitzbogen auch bei uns in der Substruction
weit früher vorkommt, als man den Anfang des gothischen Stils zu datiren
pflegt. z. B. unter der jetzt den Einsturz drohenden Kaiserpfalz zu Goslar.


Grenjboten II. 186S.
Bon gothischer Baukunst alter und neuer Zeit.
i.

Nummer 12 und 13 der Grenzboten brachten aus Julius Meyers Feder
zwei Aufsätze über Ursprung und Schätzung des gothischen Stils und über
die Gothik des neunzehnten Jahrhunderts, die mit glänzender Beredsamkeit die
S'ache der modernen Principien im Bereich der Architektur führen und jedem
Versuch einer, Wiederbelebung der Gothik energisch entgegentreten. Der Ver¬
fasser sucht sowohl die Jncongruenz der gothischen Formen mit unserem Lebens¬
inhalte wie ihren Mangel an organischer Durchbildung und architektonischer Wahr¬
heit nachzuweisen und von beiden Instanzen aus den Werth der vorhandenen
Ethischen Kunstwerke aus die Bedeutung von Denkmälern einer überwundenen
Periode und von geschichtlichen Erscheinungen zurückzuführen, die keine lebendige
Vermittelung zu uns herüber mehr haben. Wir. die wir die Gesichtspunkte
der Romantiker nicht theilen, die wir mit dem Verfasser die Entwickelung, die
stetige Verjüngung alles Aeußeren aus der inneren Kraft wollen und die einzelnen
historischen Rechte dem Rechte des geschichtlichen Lebens unterordnen, wir ver¬
mögen gleichwohl diesen kritischen Ausführungen nicht überall beizutreten. In¬
dem Julius Meyer den überschwenglichen Behauptungen derer entgegentritt,
welche den gothischen Stil als den im eminenten Sinne nationalen angesehen
wissen wollen, scheint seine Darstellung selbst der Ergänzung aus weiteren
Gesichtspunkten zu bedürfen, um ins rechte Maß zu kommen; da aber, wo die
Frage praktisch geworden ist. versäumt er einen Unterschied zwischen kirchlichem
und weltlichem Stil zu machen: eine Versäumniß freilich, welche sich die Er¬
neuerer der Gothik selbst zu Schulden kommen ließen, und durch die sie ihrer
Sache am meisten schadeten. In beiden Richtungen erlauben wir uns nur einige
Bemerkungen.

Daß die Gothik in gewissem Sinne französischen Ursprungs sei. sofern
w Frankreich die ersten spitzbogigen Arkadenstcllungcn unternommen wurden,
wäg immerhin gelten, wiewohl der Spitzbogen auch bei uns in der Substruction
weit früher vorkommt, als man den Anfang des gothischen Stils zu datiren
pflegt. z. B. unter der jetzt den Einsturz drohenden Kaiserpfalz zu Goslar.


Grenjboten II. 186S.
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[0343] Bon gothischer Baukunst alter und neuer Zeit. i. Nummer 12 und 13 der Grenzboten brachten aus Julius Meyers Feder zwei Aufsätze über Ursprung und Schätzung des gothischen Stils und über die Gothik des neunzehnten Jahrhunderts, die mit glänzender Beredsamkeit die S'ache der modernen Principien im Bereich der Architektur führen und jedem Versuch einer, Wiederbelebung der Gothik energisch entgegentreten. Der Ver¬ fasser sucht sowohl die Jncongruenz der gothischen Formen mit unserem Lebens¬ inhalte wie ihren Mangel an organischer Durchbildung und architektonischer Wahr¬ heit nachzuweisen und von beiden Instanzen aus den Werth der vorhandenen Ethischen Kunstwerke aus die Bedeutung von Denkmälern einer überwundenen Periode und von geschichtlichen Erscheinungen zurückzuführen, die keine lebendige Vermittelung zu uns herüber mehr haben. Wir. die wir die Gesichtspunkte der Romantiker nicht theilen, die wir mit dem Verfasser die Entwickelung, die stetige Verjüngung alles Aeußeren aus der inneren Kraft wollen und die einzelnen historischen Rechte dem Rechte des geschichtlichen Lebens unterordnen, wir ver¬ mögen gleichwohl diesen kritischen Ausführungen nicht überall beizutreten. In¬ dem Julius Meyer den überschwenglichen Behauptungen derer entgegentritt, welche den gothischen Stil als den im eminenten Sinne nationalen angesehen wissen wollen, scheint seine Darstellung selbst der Ergänzung aus weiteren Gesichtspunkten zu bedürfen, um ins rechte Maß zu kommen; da aber, wo die Frage praktisch geworden ist. versäumt er einen Unterschied zwischen kirchlichem und weltlichem Stil zu machen: eine Versäumniß freilich, welche sich die Er¬ neuerer der Gothik selbst zu Schulden kommen ließen, und durch die sie ihrer Sache am meisten schadeten. In beiden Richtungen erlauben wir uns nur einige Bemerkungen. Daß die Gothik in gewissem Sinne französischen Ursprungs sei. sofern w Frankreich die ersten spitzbogigen Arkadenstcllungcn unternommen wurden, wäg immerhin gelten, wiewohl der Spitzbogen auch bei uns in der Substruction weit früher vorkommt, als man den Anfang des gothischen Stils zu datiren pflegt. z. B. unter der jetzt den Einsturz drohenden Kaiserpfalz zu Goslar. Grenjboten II. 186S.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/343>, abgerufen am 04.12.2024.