Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.ganz schweigt, so konnte das schon auffallend erscheinen; noch auffallender Um eine Illusion ärmer, aber mit um so unbefangeneren Blicke dürfen Vor allem aber lenken unsere Blicke jene modernen Sophisten auf sich- ganz schweigt, so konnte das schon auffallend erscheinen; noch auffallender Um eine Illusion ärmer, aber mit um so unbefangeneren Blicke dürfen Vor allem aber lenken unsere Blicke jene modernen Sophisten auf sich- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0322" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/283119"/> <p xml:id="ID_1049" prev="#ID_1048"> ganz schweigt, so konnte das schon auffallend erscheinen; noch auffallender<lb/> mußte es sein, daß er einen anderen Lehrer ganz besonders preist, weil er ihn<lb/> von den Studien der Rhetorik, Poetik und feineren Stilistik abgezogen habe,<lb/> daß er sogar den Göttern dankt, weil er durch sie vor größeren Fortschritten<lb/> in diesen Disciplinen bewahrt geblieben ist, die ihn sonst vielleicht ganz absorbirt<lb/> haben würden. Aber man wußte ja, daß er sich mit Vorliebe philosophischen<lb/> Studien ergeben hatte, und konnte seine Abneigung gegen die von Fronto ver¬<lb/> tretenen Zweige des Unterrichts mehr dem Gegenstande derselben als dem<lb/> Lehrer zuschreiben. So wurde dieser von den Literarhistorikern mit herkömm¬<lb/> licher Bewunderung genannt, und auch dadurch ließ man sich nicht irre machen,<lb/> daß neben den Zeugnissen der Alten, die von der Gravität und dem Pomp<lb/> seiner Schreibart sprachen, ein anderes ihn als den Vertreter der trockenen<lb/> Redeweise bezeichnete. Da entdeckte Angelo Mai in einem Mailänder Palimpsest<lb/> zahlreiche Ueberreste der bis dahin nur aus einigen spärlichen Citaten bekannten<lb/> Schriften des Fronto, denen später Ergänzungen aus einem Manuscript des<lb/> Vatikan hinzutraten. Nie ist wohl die Wahrheit des bekannten Ausspruchs<lb/> „o si kaeuissvs, MloLvxlius mansissks" lebendiger empfunden worden, als<lb/> da nun dieser von Mit- und Nachwelt hochgepriesene, aber für uns bis dahin<lb/> stille Mann so plötzlich seinen viele Jahrhunderte hindurch verstummten Mund<lb/> öffnete. Fast nirgends ein einigermaßen bedeutender Inhalt dieser Stilübungen,<lb/> die bis zum Lobe der Faulheit, des Rauches und des Staubes hinabsteigen;<lb/> ebenso selten ein über die Trivialität sich erhebender Gedanke, die Darstellung<lb/> ein gelehrtes und buntes Mosaik; nicht einmal ganz an Reminiscenzen aus<lb/> Horaz uyd Virgil fehlt es darin; aber neben Lucrez und Sallust sind es wesent¬<lb/> lich die recht eigentlich rostigen und veralteten Schriftsteller der frühesten Literatur¬<lb/> periode, welche die Stifte dazu hergegeben haben; auf nüchternem und farblosem<lb/> Grunde liefern sie ein darum nur um so barocker und buntscheckiger erscheinen¬<lb/> des Bild.</p><lb/> <p xml:id="ID_1050"> Um eine Illusion ärmer, aber mit um so unbefangeneren Blicke dürfen<lb/> ^wir uns nun die anderen Zeit- und Nuhmesgenvssen des Fronto ansehen.<lb/> Am interessantesten sind unter ihnen die griechischen Grammatiker, Philosophen<lb/> und Rhetoren, die zwar nicht unmittelbar der römischen Literatur angehöre»,<lb/> aber nicht nur im Reiche, sondern auch in der Hauptstadt selbst eine für die<lb/> Gesammtphysiognomie der literarischen Zustände so bedeutsame Rolle spielen,<lb/> daß sie nicht ganz mit Stillschweigen übergangen werden dürfen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1051" next="#ID_1052"> Vor allem aber lenken unsere Blicke jene modernen Sophisten auf sich-<lb/> Schöngeister und Redekünstler, die meist wenigstens einen Theil ihres Lebens<lb/> als wandernde Virtuosen von Ort zu Ort ziehen und durch ihre oft glänzen¬<lb/> den Vortrüge die Menge anlocken, Ehren und Reichthümer fallen den Be¬<lb/> günstigten unter ihnen zu. Vor allen ist es Herodes Atticus, auch einer</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0322]
ganz schweigt, so konnte das schon auffallend erscheinen; noch auffallender
mußte es sein, daß er einen anderen Lehrer ganz besonders preist, weil er ihn
von den Studien der Rhetorik, Poetik und feineren Stilistik abgezogen habe,
daß er sogar den Göttern dankt, weil er durch sie vor größeren Fortschritten
in diesen Disciplinen bewahrt geblieben ist, die ihn sonst vielleicht ganz absorbirt
haben würden. Aber man wußte ja, daß er sich mit Vorliebe philosophischen
Studien ergeben hatte, und konnte seine Abneigung gegen die von Fronto ver¬
tretenen Zweige des Unterrichts mehr dem Gegenstande derselben als dem
Lehrer zuschreiben. So wurde dieser von den Literarhistorikern mit herkömm¬
licher Bewunderung genannt, und auch dadurch ließ man sich nicht irre machen,
daß neben den Zeugnissen der Alten, die von der Gravität und dem Pomp
seiner Schreibart sprachen, ein anderes ihn als den Vertreter der trockenen
Redeweise bezeichnete. Da entdeckte Angelo Mai in einem Mailänder Palimpsest
zahlreiche Ueberreste der bis dahin nur aus einigen spärlichen Citaten bekannten
Schriften des Fronto, denen später Ergänzungen aus einem Manuscript des
Vatikan hinzutraten. Nie ist wohl die Wahrheit des bekannten Ausspruchs
„o si kaeuissvs, MloLvxlius mansissks" lebendiger empfunden worden, als
da nun dieser von Mit- und Nachwelt hochgepriesene, aber für uns bis dahin
stille Mann so plötzlich seinen viele Jahrhunderte hindurch verstummten Mund
öffnete. Fast nirgends ein einigermaßen bedeutender Inhalt dieser Stilübungen,
die bis zum Lobe der Faulheit, des Rauches und des Staubes hinabsteigen;
ebenso selten ein über die Trivialität sich erhebender Gedanke, die Darstellung
ein gelehrtes und buntes Mosaik; nicht einmal ganz an Reminiscenzen aus
Horaz uyd Virgil fehlt es darin; aber neben Lucrez und Sallust sind es wesent¬
lich die recht eigentlich rostigen und veralteten Schriftsteller der frühesten Literatur¬
periode, welche die Stifte dazu hergegeben haben; auf nüchternem und farblosem
Grunde liefern sie ein darum nur um so barocker und buntscheckiger erscheinen¬
des Bild.
Um eine Illusion ärmer, aber mit um so unbefangeneren Blicke dürfen
^wir uns nun die anderen Zeit- und Nuhmesgenvssen des Fronto ansehen.
Am interessantesten sind unter ihnen die griechischen Grammatiker, Philosophen
und Rhetoren, die zwar nicht unmittelbar der römischen Literatur angehöre»,
aber nicht nur im Reiche, sondern auch in der Hauptstadt selbst eine für die
Gesammtphysiognomie der literarischen Zustände so bedeutsame Rolle spielen,
daß sie nicht ganz mit Stillschweigen übergangen werden dürfen.
Vor allem aber lenken unsere Blicke jene modernen Sophisten auf sich-
Schöngeister und Redekünstler, die meist wenigstens einen Theil ihres Lebens
als wandernde Virtuosen von Ort zu Ort ziehen und durch ihre oft glänzen¬
den Vortrüge die Menge anlocken, Ehren und Reichthümer fallen den Be¬
günstigten unter ihnen zu. Vor allen ist es Herodes Atticus, auch einer
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