Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ließen sich dies Wunder gefallen; dem Justinus Martyr, der ein besserer Christ
als Kritiker war. zeigte man die Trümmer der 70*) Zellen, in denen die
70 Dolmetscher, jeder für sich, gearbeitet hätten, und er beruft sich darauf als
auf einen sicheren Beweis für die Inspiration der Uebersetzung. Justinus nennt
übrigens statt des Pentateuchs schon das ganze Alte Testament; so ist es denn
üblich geworden, die alten griechischen Uebersetzungen des Alten Testaments als
"die Septuaginta" zu bezeichnen.

Andere Schriftsteller nennen statt dessen 36 Zellen, so daß sie die Ueber-
setzer paarweise arbeiten lassen. Diese Zahl stand in einer späteren, mit Fabeln
vermehrten Umarbeitung des Aristeasbriefes. von der uns Epiphanius Einiges
aufbewahrt hat. Auch zu den palästinischen Juden ist die Kunde von der
Uebersetzung des Pentateuchs durch die 72 Aeltesten gekommen, welche in ihren
72 Zellen durch göttliche Einwirkung gleichmäßig übersetzt hätten. Bei dem
Hasse, den die Juden auf die alte griechische Uebersetzung warfen, seit sich die
Christen derselben gegen sie zu bedienen ansingen, wissen die altrabbinischen
Quellen mit dieser Erzählung nichts anzufangen. Die betreffenden Stellen sind
ganz abgerissen und wären ohne die christlichen Schriftsteller der gleichen Zeit
ganz unverständlich.

Hieronymus, dessen neue lateinische Uebersetzung des Alten Testaments aus
dem hebräischen Urtext dem heftigsten Widerstand begegnete, weil man die grie¬
chische Uebersetzung mit ihren zahlreichen Abweichungen von jenem auf die ge¬
nannte wunderliche Art für inspirirt hielt, kämpft heftig gegen die Aus¬
schmückungen des Aristeasbuches, auf denen jener Glaube beruhte; er besteht
darauf, daß nach diesem nur das Pentateuch und zwar ohne besondere göttliche
Einwirkung übersetzt sei. Die Echtheit des, Buches selbst anzugreifen, konnte
aber auch seinem kritischen Geiste nicht in den Sinn kommen.




Der große norddeutsche Kanal.
2. Richtung, Charakter und Rentabilität des linker Projects.

Der Kanal der Kieler, für den sich jetzt dem Vernehmen nach auch höhere
preußische Marineoffiziere ausgesprochen haben, ist ein Schleußenkanal mit sechs



') Siebzig ist hier wie öfter eine Abbreviatur für zweiundsiebzig.

ließen sich dies Wunder gefallen; dem Justinus Martyr, der ein besserer Christ
als Kritiker war. zeigte man die Trümmer der 70*) Zellen, in denen die
70 Dolmetscher, jeder für sich, gearbeitet hätten, und er beruft sich darauf als
auf einen sicheren Beweis für die Inspiration der Uebersetzung. Justinus nennt
übrigens statt des Pentateuchs schon das ganze Alte Testament; so ist es denn
üblich geworden, die alten griechischen Uebersetzungen des Alten Testaments als
„die Septuaginta" zu bezeichnen.

Andere Schriftsteller nennen statt dessen 36 Zellen, so daß sie die Ueber-
setzer paarweise arbeiten lassen. Diese Zahl stand in einer späteren, mit Fabeln
vermehrten Umarbeitung des Aristeasbriefes. von der uns Epiphanius Einiges
aufbewahrt hat. Auch zu den palästinischen Juden ist die Kunde von der
Uebersetzung des Pentateuchs durch die 72 Aeltesten gekommen, welche in ihren
72 Zellen durch göttliche Einwirkung gleichmäßig übersetzt hätten. Bei dem
Hasse, den die Juden auf die alte griechische Uebersetzung warfen, seit sich die
Christen derselben gegen sie zu bedienen ansingen, wissen die altrabbinischen
Quellen mit dieser Erzählung nichts anzufangen. Die betreffenden Stellen sind
ganz abgerissen und wären ohne die christlichen Schriftsteller der gleichen Zeit
ganz unverständlich.

Hieronymus, dessen neue lateinische Uebersetzung des Alten Testaments aus
dem hebräischen Urtext dem heftigsten Widerstand begegnete, weil man die grie¬
chische Uebersetzung mit ihren zahlreichen Abweichungen von jenem auf die ge¬
nannte wunderliche Art für inspirirt hielt, kämpft heftig gegen die Aus¬
schmückungen des Aristeasbuches, auf denen jener Glaube beruhte; er besteht
darauf, daß nach diesem nur das Pentateuch und zwar ohne besondere göttliche
Einwirkung übersetzt sei. Die Echtheit des, Buches selbst anzugreifen, konnte
aber auch seinem kritischen Geiste nicht in den Sinn kommen.




Der große norddeutsche Kanal.
2. Richtung, Charakter und Rentabilität des linker Projects.

Der Kanal der Kieler, für den sich jetzt dem Vernehmen nach auch höhere
preußische Marineoffiziere ausgesprochen haben, ist ein Schleußenkanal mit sechs



') Siebzig ist hier wie öfter eine Abbreviatur für zweiundsiebzig.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0146" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/282943"/>
            <p xml:id="ID_458" prev="#ID_457"> ließen sich dies Wunder gefallen; dem Justinus Martyr, der ein besserer Christ<lb/>
als Kritiker war. zeigte man die Trümmer der 70*) Zellen, in denen die<lb/>
70 Dolmetscher, jeder für sich, gearbeitet hätten, und er beruft sich darauf als<lb/>
auf einen sicheren Beweis für die Inspiration der Uebersetzung. Justinus nennt<lb/>
übrigens statt des Pentateuchs schon das ganze Alte Testament; so ist es denn<lb/>
üblich geworden, die alten griechischen Uebersetzungen des Alten Testaments als<lb/>
&#x201E;die Septuaginta" zu bezeichnen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_459"> Andere Schriftsteller nennen statt dessen 36 Zellen, so daß sie die Ueber-<lb/>
setzer paarweise arbeiten lassen. Diese Zahl stand in einer späteren, mit Fabeln<lb/>
vermehrten Umarbeitung des Aristeasbriefes. von der uns Epiphanius Einiges<lb/>
aufbewahrt hat. Auch zu den palästinischen Juden ist die Kunde von der<lb/>
Uebersetzung des Pentateuchs durch die 72 Aeltesten gekommen, welche in ihren<lb/>
72 Zellen durch göttliche Einwirkung gleichmäßig übersetzt hätten. Bei dem<lb/>
Hasse, den die Juden auf die alte griechische Uebersetzung warfen, seit sich die<lb/>
Christen derselben gegen sie zu bedienen ansingen, wissen die altrabbinischen<lb/>
Quellen mit dieser Erzählung nichts anzufangen. Die betreffenden Stellen sind<lb/>
ganz abgerissen und wären ohne die christlichen Schriftsteller der gleichen Zeit<lb/>
ganz unverständlich.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_460"> Hieronymus, dessen neue lateinische Uebersetzung des Alten Testaments aus<lb/>
dem hebräischen Urtext dem heftigsten Widerstand begegnete, weil man die grie¬<lb/>
chische Uebersetzung mit ihren zahlreichen Abweichungen von jenem auf die ge¬<lb/>
nannte wunderliche Art für inspirirt hielt, kämpft heftig gegen die Aus¬<lb/>
schmückungen des Aristeasbuches, auf denen jener Glaube beruhte; er besteht<lb/>
darauf, daß nach diesem nur das Pentateuch und zwar ohne besondere göttliche<lb/>
Einwirkung übersetzt sei. Die Echtheit des, Buches selbst anzugreifen, konnte<lb/>
aber auch seinem kritischen Geiste nicht in den Sinn kommen.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Der große norddeutsche Kanal.<lb/>
2. Richtung, Charakter und Rentabilität des linker Projects.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_461" next="#ID_462"> Der Kanal der Kieler, für den sich jetzt dem Vernehmen nach auch höhere<lb/>
preußische Marineoffiziere ausgesprochen haben, ist ein Schleußenkanal mit sechs</p><lb/>
          <note xml:id="FID_18" place="foot"> ') Siebzig ist hier wie öfter eine Abbreviatur für zweiundsiebzig.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0146] ließen sich dies Wunder gefallen; dem Justinus Martyr, der ein besserer Christ als Kritiker war. zeigte man die Trümmer der 70*) Zellen, in denen die 70 Dolmetscher, jeder für sich, gearbeitet hätten, und er beruft sich darauf als auf einen sicheren Beweis für die Inspiration der Uebersetzung. Justinus nennt übrigens statt des Pentateuchs schon das ganze Alte Testament; so ist es denn üblich geworden, die alten griechischen Uebersetzungen des Alten Testaments als „die Septuaginta" zu bezeichnen. Andere Schriftsteller nennen statt dessen 36 Zellen, so daß sie die Ueber- setzer paarweise arbeiten lassen. Diese Zahl stand in einer späteren, mit Fabeln vermehrten Umarbeitung des Aristeasbriefes. von der uns Epiphanius Einiges aufbewahrt hat. Auch zu den palästinischen Juden ist die Kunde von der Uebersetzung des Pentateuchs durch die 72 Aeltesten gekommen, welche in ihren 72 Zellen durch göttliche Einwirkung gleichmäßig übersetzt hätten. Bei dem Hasse, den die Juden auf die alte griechische Uebersetzung warfen, seit sich die Christen derselben gegen sie zu bedienen ansingen, wissen die altrabbinischen Quellen mit dieser Erzählung nichts anzufangen. Die betreffenden Stellen sind ganz abgerissen und wären ohne die christlichen Schriftsteller der gleichen Zeit ganz unverständlich. Hieronymus, dessen neue lateinische Uebersetzung des Alten Testaments aus dem hebräischen Urtext dem heftigsten Widerstand begegnete, weil man die grie¬ chische Uebersetzung mit ihren zahlreichen Abweichungen von jenem auf die ge¬ nannte wunderliche Art für inspirirt hielt, kämpft heftig gegen die Aus¬ schmückungen des Aristeasbuches, auf denen jener Glaube beruhte; er besteht darauf, daß nach diesem nur das Pentateuch und zwar ohne besondere göttliche Einwirkung übersetzt sei. Die Echtheit des, Buches selbst anzugreifen, konnte aber auch seinem kritischen Geiste nicht in den Sinn kommen. Der große norddeutsche Kanal. 2. Richtung, Charakter und Rentabilität des linker Projects. Der Kanal der Kieler, für den sich jetzt dem Vernehmen nach auch höhere preußische Marineoffiziere ausgesprochen haben, ist ein Schleußenkanal mit sechs ') Siebzig ist hier wie öfter eine Abbreviatur für zweiundsiebzig.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/146
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282796/146>, abgerufen am 12.12.2024.