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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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war die Zeit, wo der junge Maler -- immer noch mit langwallendem
Haupthaar -- nur in deutschen Kunststädten Studien machte und Italien mied,
wie die leibhaftige Frau Venus, in deren Armen seine zarte deutsche Seele
und Phantasie nur Schaden leiden könnte.

Aber noch war die deutsche Kunst nicht fertig. Deutsche Empfindung,
deutsche Sage, deutsche Geschichte -- es fehlte offenbar Eins, gerade das,
worauf wir uus am meisten zu Gute thun- der deutsche Geist. Daß die Kunst¬
werke sein Gepräge trugen, das genügte nicht. Er selber in seiner ganzen
modernen Vielgewandtheit, mit seiner philosophischen Weltanschauung, welcher
alles Göttliche menschlich und die ganze Welt ein verständliches Diesseits ist,
und doch wieder mit seinem Gemüth, welches das Jenseits nicht missen mag,
mit seiner Ironie, welche an jeder Erscheinung die erbärmliche Kehrseite zu fin¬
den weiß, endlich noch mit seiner verkappten Sinnlichkeit, die im Stillen nur um
so brünstiger ist, als sie öffentlich vor der Keuschheit des deutschen Wesens sich
beugen muß: der Geist selber mit allen diesen Attributen mußte sich in der
Kunst verkörpern. Und das Unglaubliche geschah. Das neunzehnte Jahrhundert
brachte einen Künstler zu Staude, der den modernen deutschen Geist auf die
Malerleinwand zu bannen wußte, mit dem "NarrenHaus" begann und nun,
am Ziele seiner Laufbahn, sowohl den Entwickelungsgang der Weltgeschichte
als die schönsten Schöpfungen der deutschen Dichtung, Goethes Frauengestalten,
im Bilde faßt. Wenn auch Kaulbach über eine so beschränkte Empfindung,
wie das Nationalgefühl, hinaus ist, so beruht doch seine ganze Kunst lediglich
darauf -- und eben das hat ihn bedeutend gemacht -- daß er unsere moderne
Denkweise und Reflexionsbildung und ebenso unsere Begierden wie unsere Ideen
aus seinen Gebilden Herausblicken läßt. Freilich nicht, was das Rechte wäre,
als den eigenthümlichen Inhalt lebensvoller und das Leben ganz in sich tragen¬
der, ausdrucksvoll in sich zusammengefaßter Gestalten: sondern als ein Schein¬
spiel, das er seine Figuren mit allen den Bewegungen und Beziehungen, welche
die moderne Anschauung in der Welt findet, in unterhaltender Mannigfaltigkeit
aufführen läßt (daher Reinecke Fuchs sein bestes, ein sicher bleibendes Werk).
Natürlich ist mit diesem bedeutungsvollen Spiel der Kunst nicht geholfen. Es
weidet den Gestalten ihre Seele aus und setzt ihnen dafür ein besonderes Licht
ein, daher werden sie schemenhaft und maskenartig; es häuft, um eine Welt
von Geist auszuschütten, Figuren auf Figuren und verliert so alles Maß der
Gruppirung; es kennt nur einen scheinbaren und gemachten Formenreiz, weil
ihm vor allem am witzigen oder tiefsinnigen Einfall liegt, dem die Erscheinung
nur wie ein verlockendes Kleid umgeworfen wird; es verhält sich endlich stumpf
und gleichgiltig gegen seine farbige Verkörperung, weil es schon im abstracten,
mehr geistigen Zug der Linien seinen befriedigten Ausdruck findet. Es fürchtet
überhaupt die malerische Durchführung und die sinnliche Wärme des Daseins.


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war die Zeit, wo der junge Maler — immer noch mit langwallendem
Haupthaar — nur in deutschen Kunststädten Studien machte und Italien mied,
wie die leibhaftige Frau Venus, in deren Armen seine zarte deutsche Seele
und Phantasie nur Schaden leiden könnte.

Aber noch war die deutsche Kunst nicht fertig. Deutsche Empfindung,
deutsche Sage, deutsche Geschichte — es fehlte offenbar Eins, gerade das,
worauf wir uus am meisten zu Gute thun- der deutsche Geist. Daß die Kunst¬
werke sein Gepräge trugen, das genügte nicht. Er selber in seiner ganzen
modernen Vielgewandtheit, mit seiner philosophischen Weltanschauung, welcher
alles Göttliche menschlich und die ganze Welt ein verständliches Diesseits ist,
und doch wieder mit seinem Gemüth, welches das Jenseits nicht missen mag,
mit seiner Ironie, welche an jeder Erscheinung die erbärmliche Kehrseite zu fin¬
den weiß, endlich noch mit seiner verkappten Sinnlichkeit, die im Stillen nur um
so brünstiger ist, als sie öffentlich vor der Keuschheit des deutschen Wesens sich
beugen muß: der Geist selber mit allen diesen Attributen mußte sich in der
Kunst verkörpern. Und das Unglaubliche geschah. Das neunzehnte Jahrhundert
brachte einen Künstler zu Staude, der den modernen deutschen Geist auf die
Malerleinwand zu bannen wußte, mit dem „NarrenHaus" begann und nun,
am Ziele seiner Laufbahn, sowohl den Entwickelungsgang der Weltgeschichte
als die schönsten Schöpfungen der deutschen Dichtung, Goethes Frauengestalten,
im Bilde faßt. Wenn auch Kaulbach über eine so beschränkte Empfindung,
wie das Nationalgefühl, hinaus ist, so beruht doch seine ganze Kunst lediglich
darauf — und eben das hat ihn bedeutend gemacht — daß er unsere moderne
Denkweise und Reflexionsbildung und ebenso unsere Begierden wie unsere Ideen
aus seinen Gebilden Herausblicken läßt. Freilich nicht, was das Rechte wäre,
als den eigenthümlichen Inhalt lebensvoller und das Leben ganz in sich tragen¬
der, ausdrucksvoll in sich zusammengefaßter Gestalten: sondern als ein Schein¬
spiel, das er seine Figuren mit allen den Bewegungen und Beziehungen, welche
die moderne Anschauung in der Welt findet, in unterhaltender Mannigfaltigkeit
aufführen läßt (daher Reinecke Fuchs sein bestes, ein sicher bleibendes Werk).
Natürlich ist mit diesem bedeutungsvollen Spiel der Kunst nicht geholfen. Es
weidet den Gestalten ihre Seele aus und setzt ihnen dafür ein besonderes Licht
ein, daher werden sie schemenhaft und maskenartig; es häuft, um eine Welt
von Geist auszuschütten, Figuren auf Figuren und verliert so alles Maß der
Gruppirung; es kennt nur einen scheinbaren und gemachten Formenreiz, weil
ihm vor allem am witzigen oder tiefsinnigen Einfall liegt, dem die Erscheinung
nur wie ein verlockendes Kleid umgeworfen wird; es verhält sich endlich stumpf
und gleichgiltig gegen seine farbige Verkörperung, weil es schon im abstracten,
mehr geistigen Zug der Linien seinen befriedigten Ausdruck findet. Es fürchtet
überhaupt die malerische Durchführung und die sinnliche Wärme des Daseins.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/93>, abgerufen am 23.07.2024.