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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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stehen sollen, noch bei weitem schwieriger zu beantworten sein, als für jedes
andere Land; die übrigen rein oder zum großen Theil katholischen Staaten
nicht ausgenommen. In jedem andern Lande kann die Stellung der katho¬
lischen Kirche zum Staate, sei es durch die Landesgesetze, sei es auf dem
allerdings nicht unbedenklichen Wege des Concordates, d. h. eines völker¬
rechtlichen Vertrages mit dem souveränen Haupte der Kirche geordnet werden:
Sache der Diplomatie ist es, die etwa entstehenden Zwistigkeiten auszugleichen.

Anders in Italien. Sobald Victor Emanuel in Rom seinen Einzug
gehalten hat, ist Rom, wenn der Papst auch in diesem Falle im Vatican
bleibt, der Sitz zweier Souveräne. Denn der Papst, als Haupt der
allgemeinen, ihrer Idee nach weitumfassenden, ihrem stieben nach weit"
beherrschenden Kirche, kann sich nicht dem Könige eines Nationalstaates unter¬
ordnen, er kann nicht der Unterthan des Königs von Italien werden. Er
muß unabhängig dastehen und wenigstens den Bezirk seines Palastes als Sou¬
verän bewohnen. Glaubt man aber, daß durch eine Combination, die eine
Stadt zum Sitze zweier Herrscher macht, die vorliegende Frage genügend gelöst
sein würde? Unmöglich, das geben wir zu. ist ein solches Arrangement aller¬
dings nicht; der Papst könnte in eine Lage gebracht werden, in der ihm nichts
übrig bliebe, als die ihm gebotenen Bedingungen -- natürlich unter offenem
oder verstecktem Protest -- anzunehmen. Würde aber für Italien ein solches
Verhältniß wünschenswerth sein? Man beachte wohl: Der Papst, als Sou¬
verän des Barnam, wird ein Pfand sein, welches die gesammte katholische
Kucke dem Könige Italiens anvertraut. Dies müßte aber von der größten
Bedeutung tur das Verhältniß Italiens zur Kirche sein; es würde dem Könige
Rücksichten auferlegen, wie sie kein anderer Souverän zu nehmen hat. Denn
jeder wirkliche oder vermeintliche Eingriff in die dem Papste der italienischen
Kirche gegenüber gebührenden, oder auch nur von ihm beanspruchten Rechte
würde in dem gehässigen Lichte einer Vergewaltigung des Schwachen durch den
Starken erscheinen; die Curie würde nicht säumen, sofort die ganze katholische
Christenheit als Zeugen des gegen ihren Oberhirten ausgeübten Attentates auf¬
zurufen; als Zeugen und wo möglich als Rächer. Der Papst, zum Märtyrer
geworden, würde aus seiner Schwäche neue Kraft schöpfen. Es würde sich auf
engerem Raum der Kampf des Mittelalters zwischen Staat und Kirche wieder¬
holen, ein Kampf, in dem die Kirche der Bundesgenossenschaft aller Italien
feindlichen Mächte sicher sein könnte. Diese Gefahr für Italien kann nur da¬
durch, wenn nicht beseitigt, doch gemildert werden, daß die Rechte des Staates
aufs genaueste bestimmt und notificirt werden, daß die italienische Kirche eine
Verfassung erhält, die sie zu einem selbständigen, von der Curie möglichst Un-
abhängigen Gliede der katholischen Gesammtkirche macht, und daß ferner die
freie Religionsübung und die staatsbürgerlich vollberechtigte Stellung der Nicht-


stehen sollen, noch bei weitem schwieriger zu beantworten sein, als für jedes
andere Land; die übrigen rein oder zum großen Theil katholischen Staaten
nicht ausgenommen. In jedem andern Lande kann die Stellung der katho¬
lischen Kirche zum Staate, sei es durch die Landesgesetze, sei es auf dem
allerdings nicht unbedenklichen Wege des Concordates, d. h. eines völker¬
rechtlichen Vertrages mit dem souveränen Haupte der Kirche geordnet werden:
Sache der Diplomatie ist es, die etwa entstehenden Zwistigkeiten auszugleichen.

Anders in Italien. Sobald Victor Emanuel in Rom seinen Einzug
gehalten hat, ist Rom, wenn der Papst auch in diesem Falle im Vatican
bleibt, der Sitz zweier Souveräne. Denn der Papst, als Haupt der
allgemeinen, ihrer Idee nach weitumfassenden, ihrem stieben nach weit»
beherrschenden Kirche, kann sich nicht dem Könige eines Nationalstaates unter¬
ordnen, er kann nicht der Unterthan des Königs von Italien werden. Er
muß unabhängig dastehen und wenigstens den Bezirk seines Palastes als Sou¬
verän bewohnen. Glaubt man aber, daß durch eine Combination, die eine
Stadt zum Sitze zweier Herrscher macht, die vorliegende Frage genügend gelöst
sein würde? Unmöglich, das geben wir zu. ist ein solches Arrangement aller¬
dings nicht; der Papst könnte in eine Lage gebracht werden, in der ihm nichts
übrig bliebe, als die ihm gebotenen Bedingungen — natürlich unter offenem
oder verstecktem Protest — anzunehmen. Würde aber für Italien ein solches
Verhältniß wünschenswerth sein? Man beachte wohl: Der Papst, als Sou¬
verän des Barnam, wird ein Pfand sein, welches die gesammte katholische
Kucke dem Könige Italiens anvertraut. Dies müßte aber von der größten
Bedeutung tur das Verhältniß Italiens zur Kirche sein; es würde dem Könige
Rücksichten auferlegen, wie sie kein anderer Souverän zu nehmen hat. Denn
jeder wirkliche oder vermeintliche Eingriff in die dem Papste der italienischen
Kirche gegenüber gebührenden, oder auch nur von ihm beanspruchten Rechte
würde in dem gehässigen Lichte einer Vergewaltigung des Schwachen durch den
Starken erscheinen; die Curie würde nicht säumen, sofort die ganze katholische
Christenheit als Zeugen des gegen ihren Oberhirten ausgeübten Attentates auf¬
zurufen; als Zeugen und wo möglich als Rächer. Der Papst, zum Märtyrer
geworden, würde aus seiner Schwäche neue Kraft schöpfen. Es würde sich auf
engerem Raum der Kampf des Mittelalters zwischen Staat und Kirche wieder¬
holen, ein Kampf, in dem die Kirche der Bundesgenossenschaft aller Italien
feindlichen Mächte sicher sein könnte. Diese Gefahr für Italien kann nur da¬
durch, wenn nicht beseitigt, doch gemildert werden, daß die Rechte des Staates
aufs genaueste bestimmt und notificirt werden, daß die italienische Kirche eine
Verfassung erhält, die sie zu einem selbständigen, von der Curie möglichst Un-
abhängigen Gliede der katholischen Gesammtkirche macht, und daß ferner die
freie Religionsübung und die staatsbürgerlich vollberechtigte Stellung der Nicht-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/80>, abgerufen am 23.07.2024.