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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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fluß auf die italienischen Dinge ausgeschlossen. Venetien kann nur regiert
werden, wie eine eroberte, widerwillig gehorchende Provinz. Und wenn Oest¬
reich den Italienern den höchsten Grad politischer Freiheit, die Aussicht auf
die glücklichsten staatlichen Zustände bieten könnte: sie würden jedes Glück ver¬
schmähen, welches ihnen von Wien aus dargebracht wird; für sie giebt es nur
eine Befreiung: die Vereinigung mit dem Königreiche Italien. Wie hierüber
in Oestreich, selbst unter den Liberalen, Illusionen bestehen können, ist nur
daraus erklärlich, daß man bei aller Schwarzsehern es doch nicht über sich zu
gewinnen vermag, die Quellen der den Staat bedrohenden Uebel da zu suchen,
wo sie sich wirklich befinden.

Die Schwierigkeiten der Lage sind so einleuchtend, daß man sich nicht
wundern kann, wenn Oestreich wiederholt der Rath gegeben worden ist, eines^ so
unbequemen Besitzes, der es hindert, den Bestand seines Heeres zu vermin¬
dern und seine Finanzen zu verbessern, der es mit beständiger Kriegsgefahr be¬
droht, und ihm für alle diese Uebelstcindc doch keinen nennenswerthen Vortheil-
bietet, sich auf möglichst anständige Weise zu entäußern. Wie denkt man sich
aber diese Entäußerung? Soll Oestreich seinen Besitz für eine stattliche Geld¬
summe verkaufen? Dies wäre wohl ein sehr vortheilhaftes, aber doch nicht
grade ehrenvolles Geschäft, und ein Vermittler, der den Verkauf Venetiens als
Grundlage eines Abkommens zwischen Italien und Oestreich aufstellen wollte,
würde von der östreichischen Regierung ohne Zweifel trocken abgewiesen werden,
ja er würde kaum Aussicht haben, die Zustimmung eines bedeutenderen Theiles
der östreichischen Bevölkerung zu gewinnen. Es giebt nur zwei Arten, von
einer Großmacht eine Gebietsabtretung zu erlangen, durch die Waffen,
oder im äußersten Falle durch einen Ländertausch. Da es aber für jetzt noch
an einem Tauschobjecte fehlt, so muß die venetianische Frage entweder mit den
Waffen entschieden werden, oder man muß versuchen, dieselbe zu vertagen, bis
ein geeignetes Tauschvbject gesunden sein wird.

Ob eine derartige Vertagung möglich oder wahrscheinlich ist, das hängt
größtentheils von der Bedeutung der französisch-italienischen Convention ab.
Durch diesen merkwürdigen Vertrag ist eigentlich niemand gebunden. Den
Italienern ist ein förmliches Aufgeben ihrer Tendenzen gar nicht zugemuthet
worden, und wenn Frankreich die Verlegung des Regierungssitzes als Garantie
für ein loyales Verhalten ansieht, so kann niemand die Italiener hindern,
Florenz als Station auf dem Wege nach Rom anzusehen, vorausgesetzt, daß
Victor Emanuel den letzten Theil des Weges nicht an der Spitze seines Heeres
zurücklegt. Was Frankreich betrifft, so hat es allerdings Cautelen für das
Papstthum getroffen. Indessen bleibt trotzdem die Thatsache bestehen, daß es
seine Hand zunächst von dem Papstthume abzieht, und es von den Umständen
abhängig macht, in wie weit es ihm im Falle der Noth wiederum Schutz ge-


fluß auf die italienischen Dinge ausgeschlossen. Venetien kann nur regiert
werden, wie eine eroberte, widerwillig gehorchende Provinz. Und wenn Oest¬
reich den Italienern den höchsten Grad politischer Freiheit, die Aussicht auf
die glücklichsten staatlichen Zustände bieten könnte: sie würden jedes Glück ver¬
schmähen, welches ihnen von Wien aus dargebracht wird; für sie giebt es nur
eine Befreiung: die Vereinigung mit dem Königreiche Italien. Wie hierüber
in Oestreich, selbst unter den Liberalen, Illusionen bestehen können, ist nur
daraus erklärlich, daß man bei aller Schwarzsehern es doch nicht über sich zu
gewinnen vermag, die Quellen der den Staat bedrohenden Uebel da zu suchen,
wo sie sich wirklich befinden.

Die Schwierigkeiten der Lage sind so einleuchtend, daß man sich nicht
wundern kann, wenn Oestreich wiederholt der Rath gegeben worden ist, eines^ so
unbequemen Besitzes, der es hindert, den Bestand seines Heeres zu vermin¬
dern und seine Finanzen zu verbessern, der es mit beständiger Kriegsgefahr be¬
droht, und ihm für alle diese Uebelstcindc doch keinen nennenswerthen Vortheil-
bietet, sich auf möglichst anständige Weise zu entäußern. Wie denkt man sich
aber diese Entäußerung? Soll Oestreich seinen Besitz für eine stattliche Geld¬
summe verkaufen? Dies wäre wohl ein sehr vortheilhaftes, aber doch nicht
grade ehrenvolles Geschäft, und ein Vermittler, der den Verkauf Venetiens als
Grundlage eines Abkommens zwischen Italien und Oestreich aufstellen wollte,
würde von der östreichischen Regierung ohne Zweifel trocken abgewiesen werden,
ja er würde kaum Aussicht haben, die Zustimmung eines bedeutenderen Theiles
der östreichischen Bevölkerung zu gewinnen. Es giebt nur zwei Arten, von
einer Großmacht eine Gebietsabtretung zu erlangen, durch die Waffen,
oder im äußersten Falle durch einen Ländertausch. Da es aber für jetzt noch
an einem Tauschobjecte fehlt, so muß die venetianische Frage entweder mit den
Waffen entschieden werden, oder man muß versuchen, dieselbe zu vertagen, bis
ein geeignetes Tauschvbject gesunden sein wird.

Ob eine derartige Vertagung möglich oder wahrscheinlich ist, das hängt
größtentheils von der Bedeutung der französisch-italienischen Convention ab.
Durch diesen merkwürdigen Vertrag ist eigentlich niemand gebunden. Den
Italienern ist ein förmliches Aufgeben ihrer Tendenzen gar nicht zugemuthet
worden, und wenn Frankreich die Verlegung des Regierungssitzes als Garantie
für ein loyales Verhalten ansieht, so kann niemand die Italiener hindern,
Florenz als Station auf dem Wege nach Rom anzusehen, vorausgesetzt, daß
Victor Emanuel den letzten Theil des Weges nicht an der Spitze seines Heeres
zurücklegt. Was Frankreich betrifft, so hat es allerdings Cautelen für das
Papstthum getroffen. Indessen bleibt trotzdem die Thatsache bestehen, daß es
seine Hand zunächst von dem Papstthume abzieht, und es von den Umständen
abhängig macht, in wie weit es ihm im Falle der Noth wiederum Schutz ge-


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[0078] fluß auf die italienischen Dinge ausgeschlossen. Venetien kann nur regiert werden, wie eine eroberte, widerwillig gehorchende Provinz. Und wenn Oest¬ reich den Italienern den höchsten Grad politischer Freiheit, die Aussicht auf die glücklichsten staatlichen Zustände bieten könnte: sie würden jedes Glück ver¬ schmähen, welches ihnen von Wien aus dargebracht wird; für sie giebt es nur eine Befreiung: die Vereinigung mit dem Königreiche Italien. Wie hierüber in Oestreich, selbst unter den Liberalen, Illusionen bestehen können, ist nur daraus erklärlich, daß man bei aller Schwarzsehern es doch nicht über sich zu gewinnen vermag, die Quellen der den Staat bedrohenden Uebel da zu suchen, wo sie sich wirklich befinden. Die Schwierigkeiten der Lage sind so einleuchtend, daß man sich nicht wundern kann, wenn Oestreich wiederholt der Rath gegeben worden ist, eines^ so unbequemen Besitzes, der es hindert, den Bestand seines Heeres zu vermin¬ dern und seine Finanzen zu verbessern, der es mit beständiger Kriegsgefahr be¬ droht, und ihm für alle diese Uebelstcindc doch keinen nennenswerthen Vortheil- bietet, sich auf möglichst anständige Weise zu entäußern. Wie denkt man sich aber diese Entäußerung? Soll Oestreich seinen Besitz für eine stattliche Geld¬ summe verkaufen? Dies wäre wohl ein sehr vortheilhaftes, aber doch nicht grade ehrenvolles Geschäft, und ein Vermittler, der den Verkauf Venetiens als Grundlage eines Abkommens zwischen Italien und Oestreich aufstellen wollte, würde von der östreichischen Regierung ohne Zweifel trocken abgewiesen werden, ja er würde kaum Aussicht haben, die Zustimmung eines bedeutenderen Theiles der östreichischen Bevölkerung zu gewinnen. Es giebt nur zwei Arten, von einer Großmacht eine Gebietsabtretung zu erlangen, durch die Waffen, oder im äußersten Falle durch einen Ländertausch. Da es aber für jetzt noch an einem Tauschobjecte fehlt, so muß die venetianische Frage entweder mit den Waffen entschieden werden, oder man muß versuchen, dieselbe zu vertagen, bis ein geeignetes Tauschvbject gesunden sein wird. Ob eine derartige Vertagung möglich oder wahrscheinlich ist, das hängt größtentheils von der Bedeutung der französisch-italienischen Convention ab. Durch diesen merkwürdigen Vertrag ist eigentlich niemand gebunden. Den Italienern ist ein förmliches Aufgeben ihrer Tendenzen gar nicht zugemuthet worden, und wenn Frankreich die Verlegung des Regierungssitzes als Garantie für ein loyales Verhalten ansieht, so kann niemand die Italiener hindern, Florenz als Station auf dem Wege nach Rom anzusehen, vorausgesetzt, daß Victor Emanuel den letzten Theil des Weges nicht an der Spitze seines Heeres zurücklegt. Was Frankreich betrifft, so hat es allerdings Cautelen für das Papstthum getroffen. Indessen bleibt trotzdem die Thatsache bestehen, daß es seine Hand zunächst von dem Papstthume abzieht, und es von den Umständen abhängig macht, in wie weit es ihm im Falle der Noth wiederum Schutz ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/78>, abgerufen am 23.07.2024.