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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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als in den wenigen Versen. In diesen beiden Eigenschaften liegt das ganze
Wesen des Zeus wie im Kerne enthalten; das erkannte Pheidias mit wahrer
Genialität, und indem er in der Stirn, in den Brauen und dem Löwcnhaar
die Majestät, in dem leise geöffneten Munde die Gnade thronen und alles andre
Beiwerk des Bildes nur diese Eigenschaften weiter entwickeln ließ, schuf er seinen
Hellenen den Zeus, bei dessen Anschauen sie all ihr Leid vergaßen. Diese Fülle
des übermenschlichen Gottesbegriffes zum reinen und gesammelten Ausdruck zu
bringen, vermochte nur die attische Kunst der besten Zeit. Nach dem pelo-
Ponnesischen Kriege ist der Glaube ein andrer geworden und damit auch die
künstlerische Auffassung der Götter. Der eine Künstler zerlegt unter dem Ein¬
flüsse der Philosophie das einige Wesen der Gottheit in seine verschiedenen
Seiten; neben Eros, den Liebesgott, stellen sich Himeros und Pothos, Sehn¬
sucht und Verlangen, Aphrodite erhält Peitho und Paregoros. die Göttinnen
der Ueberredung und des Liebestrostes, zu Begleiterinnen, ja es dienen sogar
Dopvelbustcn. um zwei Seiten'eines Wesens zum Ausdruck zu bringen. Der
andre Künstler schwelgt in der Darstellung schaler Formen und verlockenden
Liebreizes; ihm sind die Götter den Menschen gleich geworden, Aphrodite ist
nicht mehr die Herrscherin der Liebe, sondern das schöne, von Liebe beherrschte
Weib. So nähern sich die Grenzen der Götter, Heroen und Menschen einander,
bis sie in der Hofkunst Alexanders des Großen und seiner Nackfolger ganz in¬
einander fließen. Die Götterdarstellungen werden seltener, dafür erhalten die
irdischen Gewalthaber den Blitz des Zeus als Abzeichen. Die Künstler gehen
nicht so sehr darauf aus, das gesammte Wesen, sei es auch in einzelne Seiten
zerlegt, hinzustellen, sondern sie begnügen sich mit einer Seite, oft der aller-
individuellster; wie wenn Herakles, in dem frühere Zeiten das Ideal des kraft¬
vollen Helden schilderten, zu dem von Liebesnoth gepeinigten Diener der Om-
Phale wird. Endlich zerstört die Allegorie, die Darstellung ganz abstracter Re¬
flexionen, alle Kunst; der Inhalt, und zwar der unkünstlerische, überwuchert
und vernichtet die Form. --

Winckelmanns Werk hat uns zu solchen Betrachtungen den Anlaß gegeben.
Alle Geschichte der griechischen Kunst wird immer wieder von Winckelmann aus¬
gehen, aber sie darf nicht mehr bei ihm stehen bleiben. Die innere Kräftigung
der gesammten Alterthumswissenschaft nicht minder als der gewaltige Zuwachs
an Material schaffen stets neue Aufgaben, führen aber auch ihre Lösung näher.
Zugleich wird, je mehr der Stoff auch wächst, derselbe dennoch in gleichem
Maße zugänglicher. Im Gebiete der Archäologie herrscht ein reges Zusammen¬
wirken vieler Glcichstrebender, zahlreiche Publicationen sorgen sür weite Ver¬
breitung des zerstreuten Materials. Die Originale selbst sind in den Museen
bequemer vereinigt, Gipsabgüsse überall erreichbar; der Verkehr wird von Tage
zu Tage leichter. Seit in Zeitschriften und Einzelarbeiten der Stoff unablässig


Grenzbot-n I. 186S. . 8

als in den wenigen Versen. In diesen beiden Eigenschaften liegt das ganze
Wesen des Zeus wie im Kerne enthalten; das erkannte Pheidias mit wahrer
Genialität, und indem er in der Stirn, in den Brauen und dem Löwcnhaar
die Majestät, in dem leise geöffneten Munde die Gnade thronen und alles andre
Beiwerk des Bildes nur diese Eigenschaften weiter entwickeln ließ, schuf er seinen
Hellenen den Zeus, bei dessen Anschauen sie all ihr Leid vergaßen. Diese Fülle
des übermenschlichen Gottesbegriffes zum reinen und gesammelten Ausdruck zu
bringen, vermochte nur die attische Kunst der besten Zeit. Nach dem pelo-
Ponnesischen Kriege ist der Glaube ein andrer geworden und damit auch die
künstlerische Auffassung der Götter. Der eine Künstler zerlegt unter dem Ein¬
flüsse der Philosophie das einige Wesen der Gottheit in seine verschiedenen
Seiten; neben Eros, den Liebesgott, stellen sich Himeros und Pothos, Sehn¬
sucht und Verlangen, Aphrodite erhält Peitho und Paregoros. die Göttinnen
der Ueberredung und des Liebestrostes, zu Begleiterinnen, ja es dienen sogar
Dopvelbustcn. um zwei Seiten'eines Wesens zum Ausdruck zu bringen. Der
andre Künstler schwelgt in der Darstellung schaler Formen und verlockenden
Liebreizes; ihm sind die Götter den Menschen gleich geworden, Aphrodite ist
nicht mehr die Herrscherin der Liebe, sondern das schöne, von Liebe beherrschte
Weib. So nähern sich die Grenzen der Götter, Heroen und Menschen einander,
bis sie in der Hofkunst Alexanders des Großen und seiner Nackfolger ganz in¬
einander fließen. Die Götterdarstellungen werden seltener, dafür erhalten die
irdischen Gewalthaber den Blitz des Zeus als Abzeichen. Die Künstler gehen
nicht so sehr darauf aus, das gesammte Wesen, sei es auch in einzelne Seiten
zerlegt, hinzustellen, sondern sie begnügen sich mit einer Seite, oft der aller-
individuellster; wie wenn Herakles, in dem frühere Zeiten das Ideal des kraft¬
vollen Helden schilderten, zu dem von Liebesnoth gepeinigten Diener der Om-
Phale wird. Endlich zerstört die Allegorie, die Darstellung ganz abstracter Re¬
flexionen, alle Kunst; der Inhalt, und zwar der unkünstlerische, überwuchert
und vernichtet die Form. —

Winckelmanns Werk hat uns zu solchen Betrachtungen den Anlaß gegeben.
Alle Geschichte der griechischen Kunst wird immer wieder von Winckelmann aus¬
gehen, aber sie darf nicht mehr bei ihm stehen bleiben. Die innere Kräftigung
der gesammten Alterthumswissenschaft nicht minder als der gewaltige Zuwachs
an Material schaffen stets neue Aufgaben, führen aber auch ihre Lösung näher.
Zugleich wird, je mehr der Stoff auch wächst, derselbe dennoch in gleichem
Maße zugänglicher. Im Gebiete der Archäologie herrscht ein reges Zusammen¬
wirken vieler Glcichstrebender, zahlreiche Publicationen sorgen sür weite Ver¬
breitung des zerstreuten Materials. Die Originale selbst sind in den Museen
bequemer vereinigt, Gipsabgüsse überall erreichbar; der Verkehr wird von Tage
zu Tage leichter. Seit in Zeitschriften und Einzelarbeiten der Stoff unablässig


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/65>, abgerufen am 23.07.2024.