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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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hier das ncubelebte Studium der neueren Malerei durch Ermittelung der all¬
gemeinen Gesetze der Kunst und der besonderen Regeln für jeden einzelnen Zweig
der Technik einen weiteren Anhalt böte. So ist z. B. der namentlich von
Letronne und Raoul-Rochette so lebhast geführte Streit nach der Verbreitung
der Wand- und der Tafelmalerei bei den Alten bei der Beschaffenheit der
Nachrichten kaum anders zu lösen, als indem wir die erhaltenen Beschreibungen
und namentlich die daraus ersichtliche Compvsitionsweise mit modernen Fresco-
und Oelbildern vergleichen; wobei sich dann ergiebt, daß die in den Farben so
einfachen, in der Menge der Figuren so mächtigen, in der Composition so
streng gegliederten Bilder des Polygnotos in Delphi kaum anders als in engster
Verbindung mit der Architektur, d. h. als Wandmalereien sich auffassen lassen.
Es liegt auf der Hand, daß eine farbige Wand, welche also der Theil eines
Bauwerkes ist, viel ruhiger in der Farbe behandelt und viel strenger in der
Composition aufgebaut sein muß, als ein isolirtes Staffeleigemälde, welches
die speciell malerischen, auf der Farbe und Perspective, aus Schatten und Licht
beruhenden Wirkungen in den Vordergrund stellen wird. Daß übrigens den
Alten alle Künste auch dieser Jllusionsmalcrei bekannt waren, das zeigten theils
deutliche Zeugnisse, theils die wenigen erhaltenen Neste antiker Tafelmalerei;
grundfalsch ist also die Ansicht derer, die in der alten Malerei durchweg nichts
Anderes als eine Art farbigen Reliefs erblicken zu dürfen glauben.

Weit ergiebiger als für die Malerei waren zahlreiche Reisen und Ent¬
deckungen für die beiden Schwesterkünste, die Architektur und Sculptur.
Im Anfange unsres Jahrhunderts haben Reisende aller Nationen Griechenland
hinsichtlich seiner Kunstreste geradezu wiederentdeckt, und jeder einzelne Fund
verbreitete unerwartetes Licht über viele und bis dahin dunkle Gebiete; ähnlich wie
Winckelmanns Untersuchung der Tempel von Pästum den ersten Blick in die
Verschiedenheit der griechischen Architektur von der römischen hatte werfen lassen.
Dodwell und Gell lenkten ihre Aufmerksamkeit auf die Polygonen, sogenannten
kyklopischen Mauern der alten Burgen und Städte; sie entdeckten die The¬
sauren, die Schatzhäuser und Grabmäler der ältesten griechischen Fürstengeschlechter,
deren architektonische Construction, ohne Säulen wie ohne Bogen, den späteren
hellenischen und italischen Baustilen so ganz fremdartig gegenübersteht. Indem
man diese Bauweise über das ganze Gebiet, welches einst die griechisch-italischen
Völkerschaften inne hatten, und nur hier verbreitet fand, vermochte man darin
eine diesen Stämmen von Alters her gemeinsame und eigenthümliche Ent¬
wicklungsstufe der Baukunst zu erkennen. -- Dann folgte die Auffindung der
Giebelgruppen des Athenatempels auf Aigina, welche fast gleichzeitig mit der
Aufstellung der elginschen Sculpturen im britischen Museum, nach München in
die Glyptothek gelangten. Also war es kein vereinzelter Statuenschmuck, den
die Giebelfelder des Parthenons getragen, auch andere Tempel hatten einst in


hier das ncubelebte Studium der neueren Malerei durch Ermittelung der all¬
gemeinen Gesetze der Kunst und der besonderen Regeln für jeden einzelnen Zweig
der Technik einen weiteren Anhalt böte. So ist z. B. der namentlich von
Letronne und Raoul-Rochette so lebhast geführte Streit nach der Verbreitung
der Wand- und der Tafelmalerei bei den Alten bei der Beschaffenheit der
Nachrichten kaum anders zu lösen, als indem wir die erhaltenen Beschreibungen
und namentlich die daraus ersichtliche Compvsitionsweise mit modernen Fresco-
und Oelbildern vergleichen; wobei sich dann ergiebt, daß die in den Farben so
einfachen, in der Menge der Figuren so mächtigen, in der Composition so
streng gegliederten Bilder des Polygnotos in Delphi kaum anders als in engster
Verbindung mit der Architektur, d. h. als Wandmalereien sich auffassen lassen.
Es liegt auf der Hand, daß eine farbige Wand, welche also der Theil eines
Bauwerkes ist, viel ruhiger in der Farbe behandelt und viel strenger in der
Composition aufgebaut sein muß, als ein isolirtes Staffeleigemälde, welches
die speciell malerischen, auf der Farbe und Perspective, aus Schatten und Licht
beruhenden Wirkungen in den Vordergrund stellen wird. Daß übrigens den
Alten alle Künste auch dieser Jllusionsmalcrei bekannt waren, das zeigten theils
deutliche Zeugnisse, theils die wenigen erhaltenen Neste antiker Tafelmalerei;
grundfalsch ist also die Ansicht derer, die in der alten Malerei durchweg nichts
Anderes als eine Art farbigen Reliefs erblicken zu dürfen glauben.

Weit ergiebiger als für die Malerei waren zahlreiche Reisen und Ent¬
deckungen für die beiden Schwesterkünste, die Architektur und Sculptur.
Im Anfange unsres Jahrhunderts haben Reisende aller Nationen Griechenland
hinsichtlich seiner Kunstreste geradezu wiederentdeckt, und jeder einzelne Fund
verbreitete unerwartetes Licht über viele und bis dahin dunkle Gebiete; ähnlich wie
Winckelmanns Untersuchung der Tempel von Pästum den ersten Blick in die
Verschiedenheit der griechischen Architektur von der römischen hatte werfen lassen.
Dodwell und Gell lenkten ihre Aufmerksamkeit auf die Polygonen, sogenannten
kyklopischen Mauern der alten Burgen und Städte; sie entdeckten die The¬
sauren, die Schatzhäuser und Grabmäler der ältesten griechischen Fürstengeschlechter,
deren architektonische Construction, ohne Säulen wie ohne Bogen, den späteren
hellenischen und italischen Baustilen so ganz fremdartig gegenübersteht. Indem
man diese Bauweise über das ganze Gebiet, welches einst die griechisch-italischen
Völkerschaften inne hatten, und nur hier verbreitet fand, vermochte man darin
eine diesen Stämmen von Alters her gemeinsame und eigenthümliche Ent¬
wicklungsstufe der Baukunst zu erkennen. — Dann folgte die Auffindung der
Giebelgruppen des Athenatempels auf Aigina, welche fast gleichzeitig mit der
Aufstellung der elginschen Sculpturen im britischen Museum, nach München in
die Glyptothek gelangten. Also war es kein vereinzelter Statuenschmuck, den
die Giebelfelder des Parthenons getragen, auch andere Tempel hatten einst in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/59>, abgerufen am 23.07.2024.