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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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wenigstens mittelbar ein großes Verdienst auch um die Kunstgeschichte erwarb.
In ähnlicher Weise war dort Georg Zoega thätig, den Inhalt andrer Samm¬
lungen für die Wissenschaft nutzbar zu machen. Zu Anfang unsres Jahrhunderts
sah dann das kaiserliche Museum zu Paris, aus der Kriegsbeute namentlich
Italiens gebildet, alles was von bedeutenden Kunstwerken erreichbar gewesen,
in sich vereinigt und bot in ziemlicher Vollständigkeit das Material dar, welches
damals den Stoff der Kunstgeschichte bildete. Da nun hier die Blüthezeit der
griechischen Kunst nur in späten römischen Copien, die spätgriechischc und rö-
mische Kunst aber in Originalen vertreten war, so konnte sich bei Visconti und
bei dem unter seinem Einfluß stehenden Thiersch jene Ansicht festsetzen, daß die
Kunst, nachdem sie mit Pheidias die Höhe erklommen, von da an lange Zeit
gleichsam auf einer Hochebene in gleichmäßigem Schritte hingewandelt sei, bis
sie unter Hadrian in raschem Falle wieder herabsank. Es ist uns heute kaum
begreiflich, wie eine allem Wesen der Geschichte so durchaus widersprechende
Ansicht überhaupt Wurzel fassen konnte. Man denke sich, sechs Jahrhunderte
soll die Kunst auf immer gleicher Höhe bleiben, während Religion und Litera¬
tur in vollständiger Umgestaltung sich befinden, während Staat und Nation
den größten Wechsel durchmachen! Dort das periklcische Athen, der feste Gottes¬
glaube des Aischylos, die klare und gemessene Schönheit der sophokleischen Poesie,
der feine Kunstsinn des hellenischen Volkes; hier die römische Weltherrschaft und
die Modelaune des augenblicklichen Gewalthabers, das zerbröckelnde Heidenthum.
in der Literatur ein Treibhaus statt eines blumcnprangenden Gartens, ringsum
nur Prunk- und Prahlsucht; dazwischen alle die Stufen, welche von dort hier¬
her geführt hatten. Ja freilich wenn das'möglich war, daß die Kunst von alle-
dem nickt berührt ward, da war Winckelmanns Glaube an die Gemeinsamkeit
und den festen Zusammenhang aller Culturentwicklung gar thöricht, da konnte
und mußte sich ja die Kunstgeschichte auf den Isolirschemel stellen und alle Be¬
rührung mit der übrigen Geschichtsforschung sorgfältig vermeiden.

Wenige Jahre vor seinem Tode ward Visconti auf Veranlassung des eng¬
lischen Parlaments nach London gerufen, um sei" Urtheil über die Marmor¬
werke abzugeben, welche der frühere englische Gesandte an der Pforte, Lord
Elgin, aus Athen mitgebracht und dem Staate zum Verkauf angeboten
hatte. Visconti fand in den Parks en on ssculpturen nur eine Bestätigung
seiner Ansicht, er erkannte in ihnen denselben Stil wie im Laokoon, im Torso
vom Belvedere, im borghesischen Fechter. Winckelmann hatte den "schönen" Stil
erst mit Praxiteles beginnen lassen, hier zeigte sich ja, daß er auch schon dem
Pheidias eigen war -- also ein neuer Beweis für das Axiom von der gleichen
Höhe der Kunst in jenen Epochen! Erscheint uns ein solches Urtheil bei einem
so gründlichen Kenner wie Visconti schwer begreiflich, so dürfen wir doch nicht
ungerecht gegen ihn sein. Wer zum ersten Male ein fremdes Land betritt,


Grenzboten I. 186S. 7

wenigstens mittelbar ein großes Verdienst auch um die Kunstgeschichte erwarb.
In ähnlicher Weise war dort Georg Zoega thätig, den Inhalt andrer Samm¬
lungen für die Wissenschaft nutzbar zu machen. Zu Anfang unsres Jahrhunderts
sah dann das kaiserliche Museum zu Paris, aus der Kriegsbeute namentlich
Italiens gebildet, alles was von bedeutenden Kunstwerken erreichbar gewesen,
in sich vereinigt und bot in ziemlicher Vollständigkeit das Material dar, welches
damals den Stoff der Kunstgeschichte bildete. Da nun hier die Blüthezeit der
griechischen Kunst nur in späten römischen Copien, die spätgriechischc und rö-
mische Kunst aber in Originalen vertreten war, so konnte sich bei Visconti und
bei dem unter seinem Einfluß stehenden Thiersch jene Ansicht festsetzen, daß die
Kunst, nachdem sie mit Pheidias die Höhe erklommen, von da an lange Zeit
gleichsam auf einer Hochebene in gleichmäßigem Schritte hingewandelt sei, bis
sie unter Hadrian in raschem Falle wieder herabsank. Es ist uns heute kaum
begreiflich, wie eine allem Wesen der Geschichte so durchaus widersprechende
Ansicht überhaupt Wurzel fassen konnte. Man denke sich, sechs Jahrhunderte
soll die Kunst auf immer gleicher Höhe bleiben, während Religion und Litera¬
tur in vollständiger Umgestaltung sich befinden, während Staat und Nation
den größten Wechsel durchmachen! Dort das periklcische Athen, der feste Gottes¬
glaube des Aischylos, die klare und gemessene Schönheit der sophokleischen Poesie,
der feine Kunstsinn des hellenischen Volkes; hier die römische Weltherrschaft und
die Modelaune des augenblicklichen Gewalthabers, das zerbröckelnde Heidenthum.
in der Literatur ein Treibhaus statt eines blumcnprangenden Gartens, ringsum
nur Prunk- und Prahlsucht; dazwischen alle die Stufen, welche von dort hier¬
her geführt hatten. Ja freilich wenn das'möglich war, daß die Kunst von alle-
dem nickt berührt ward, da war Winckelmanns Glaube an die Gemeinsamkeit
und den festen Zusammenhang aller Culturentwicklung gar thöricht, da konnte
und mußte sich ja die Kunstgeschichte auf den Isolirschemel stellen und alle Be¬
rührung mit der übrigen Geschichtsforschung sorgfältig vermeiden.

Wenige Jahre vor seinem Tode ward Visconti auf Veranlassung des eng¬
lischen Parlaments nach London gerufen, um sei» Urtheil über die Marmor¬
werke abzugeben, welche der frühere englische Gesandte an der Pforte, Lord
Elgin, aus Athen mitgebracht und dem Staate zum Verkauf angeboten
hatte. Visconti fand in den Parks en on ssculpturen nur eine Bestätigung
seiner Ansicht, er erkannte in ihnen denselben Stil wie im Laokoon, im Torso
vom Belvedere, im borghesischen Fechter. Winckelmann hatte den „schönen" Stil
erst mit Praxiteles beginnen lassen, hier zeigte sich ja, daß er auch schon dem
Pheidias eigen war — also ein neuer Beweis für das Axiom von der gleichen
Höhe der Kunst in jenen Epochen! Erscheint uns ein solches Urtheil bei einem
so gründlichen Kenner wie Visconti schwer begreiflich, so dürfen wir doch nicht
ungerecht gegen ihn sein. Wer zum ersten Male ein fremdes Land betritt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/57>, abgerufen am 23.07.2024.