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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Licht setzte, auch da richtig erkannte oder errieth, wo in dem ihm vorliegenden
Material kaum ein schwacher Urkalk zur Divination gegeben war. Denn ver¬
gessen wir nur nicht, Griechenland mit seinen Schätze" war noch nicht
wieder geöffnet; was Winckelmann von Kunstwerken kannte, gehörte fast aus¬
nahmslos der Zeit der sinkenden Kunst oder gar des gänzlichen Verfalls an,
während er die ältere Zeit und die höchste Kunstblüthe nur in dem trüben
Spiegel späterer Kopien erblicken konnte. Und doch zeichnet er mit dem sicheren
Griffel des Meisters die großen Epochen des Wachsthums, der Blüthe und des
Verfalls, des harten, des großen, des schönen und des sinkenden Stils, so
anschaulich und so wahrheitsgetreu, daß wir hieran vielleicht am schlagendsten
den echten Propheten der Kunst in ihm erkennen.

Auch die eben geschilderten Eigenschaften, durch welche Winckelmanns Ge¬
schichte der Kunst für die Geschichtsforschung wie für die Alterthumswissenschaft
epochemachend geworden ist, wurden rasch in ihrer Bedeutung erkannt. Herder
stellte sofort die gleiche Forderung an eine Geschichte der griechischen Dichtkunst
und Weisheit, "welche mit der Kunstgeschichte einen großen Weg zusammen
thun könne". Aber wie lange dauerte es, ehe auf den übrigen Gebieten Aehn-
liches auch nur versucht ward! Lebhafter war die Mitarbeit auf dem nunmehr
vorbereiteten Felde der Kunstgeschichte selber. Heyne verschaffte dieser das
Bürgerrecht in den Hörsälen der Universitäten und machte dadurch eine allge¬
meinere Betheiligung möglich; was er durch eigne Arbeit gerade auf diesem
Gebiete förderte, das war gewiß dankenswert!), aber es verschwand neben den
Leistungen des Vorgängers, dessen hohe Begeisterung und Jntuitionsgabe seine
kühle Natur, die jeglicher eigenen Anschauung entbehrte, nicht zu fassen und
zu schätzen vermochte. Von andrer Seite machte Hirt Opposition gegen Winckel¬
mann. Er war es. der, wie ich vorhin andeutete, in der Kunst den Ausdruck
anstatt der Schönheit als das Maßgebende betonte und diese nicht minder ein¬
seitige Auffassung durchzuführen suchte, mit einer unverächtlichen eigenen Kennt¬
niß der Kunstwerke, die aber nicht durch eine entsprechende selbständige Durch¬
forschung der übrigen Hilfsmittel, namentlich der von den alten Schriftstellern
überlieferten Nachrichten, geläutert ward. Letzterer Mangel trifft auch Heinr.
Meyer, der überhaupt nicht anders als in Einzelheiten über Winckelmann
hinauszublicken vermochte -- und das in einer Zeit, da schon die ganze Grund¬
lage unsrer Erkenntniß von der alten, namentlich von der griechischen Kunst
eine durchaus andere geworden war.

In Rom war bald nach Winckelmanns Tode - und zum Theil infolge der
von ihm ausgehenden Anregungen durch Sammlung der zerstreuten Kunstschätze
und durch erfolgreiche neue Ausgrabungen ein überaus reiches und bequem
übersehbares Material zusammengebracht in dem neugegründeten vatikanischen
Museum, durch dessen feinsinnige Erklärung sich En rio Quirin o Visconti


Licht setzte, auch da richtig erkannte oder errieth, wo in dem ihm vorliegenden
Material kaum ein schwacher Urkalk zur Divination gegeben war. Denn ver¬
gessen wir nur nicht, Griechenland mit seinen Schätze» war noch nicht
wieder geöffnet; was Winckelmann von Kunstwerken kannte, gehörte fast aus¬
nahmslos der Zeit der sinkenden Kunst oder gar des gänzlichen Verfalls an,
während er die ältere Zeit und die höchste Kunstblüthe nur in dem trüben
Spiegel späterer Kopien erblicken konnte. Und doch zeichnet er mit dem sicheren
Griffel des Meisters die großen Epochen des Wachsthums, der Blüthe und des
Verfalls, des harten, des großen, des schönen und des sinkenden Stils, so
anschaulich und so wahrheitsgetreu, daß wir hieran vielleicht am schlagendsten
den echten Propheten der Kunst in ihm erkennen.

Auch die eben geschilderten Eigenschaften, durch welche Winckelmanns Ge¬
schichte der Kunst für die Geschichtsforschung wie für die Alterthumswissenschaft
epochemachend geworden ist, wurden rasch in ihrer Bedeutung erkannt. Herder
stellte sofort die gleiche Forderung an eine Geschichte der griechischen Dichtkunst
und Weisheit, „welche mit der Kunstgeschichte einen großen Weg zusammen
thun könne". Aber wie lange dauerte es, ehe auf den übrigen Gebieten Aehn-
liches auch nur versucht ward! Lebhafter war die Mitarbeit auf dem nunmehr
vorbereiteten Felde der Kunstgeschichte selber. Heyne verschaffte dieser das
Bürgerrecht in den Hörsälen der Universitäten und machte dadurch eine allge¬
meinere Betheiligung möglich; was er durch eigne Arbeit gerade auf diesem
Gebiete förderte, das war gewiß dankenswert!), aber es verschwand neben den
Leistungen des Vorgängers, dessen hohe Begeisterung und Jntuitionsgabe seine
kühle Natur, die jeglicher eigenen Anschauung entbehrte, nicht zu fassen und
zu schätzen vermochte. Von andrer Seite machte Hirt Opposition gegen Winckel¬
mann. Er war es. der, wie ich vorhin andeutete, in der Kunst den Ausdruck
anstatt der Schönheit als das Maßgebende betonte und diese nicht minder ein¬
seitige Auffassung durchzuführen suchte, mit einer unverächtlichen eigenen Kennt¬
niß der Kunstwerke, die aber nicht durch eine entsprechende selbständige Durch¬
forschung der übrigen Hilfsmittel, namentlich der von den alten Schriftstellern
überlieferten Nachrichten, geläutert ward. Letzterer Mangel trifft auch Heinr.
Meyer, der überhaupt nicht anders als in Einzelheiten über Winckelmann
hinauszublicken vermochte — und das in einer Zeit, da schon die ganze Grund¬
lage unsrer Erkenntniß von der alten, namentlich von der griechischen Kunst
eine durchaus andere geworden war.

In Rom war bald nach Winckelmanns Tode - und zum Theil infolge der
von ihm ausgehenden Anregungen durch Sammlung der zerstreuten Kunstschätze
und durch erfolgreiche neue Ausgrabungen ein überaus reiches und bequem
übersehbares Material zusammengebracht in dem neugegründeten vatikanischen
Museum, durch dessen feinsinnige Erklärung sich En rio Quirin o Visconti


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/56>, abgerufen am 23.07.2024.