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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Gerichtsbarkeit nicht allein, sondern auch unter verschiedenem Recht stehen, die
einen unter dem, namentlich in Bezug auf Erbschaftssachen sehr abweichenden,
wesentlich mit dem indischen Recht verwandten rostocker Stad lrecht, die anderen
unter gemeinem Recht, so haben sie auch in geselliger Beziehung wenig mit
einander gemein. Auch ist in Folge der abweichenden politischen und religiösen
Richtung bei vielen Bürgern die spätere Gleichgiltigkeit gegen die Universität
und die innerhalb derselben dominirenden Persönlichketten neuerdings in eine
feindliche Stimmung umgeschlagen, wozu besonders die baumgartensche Angele¬
genheit beigetragen hat.

Unter der Einwirkung der wenig belebenden und anregenden Verhältnisse,
in welchen die Universität sich bewegt, erleiden selbst die strebsameren unter
den Docenten einen Druck, welcher leicht eine Erschlaffung zur Folge hat, zu¬
mal wenn nicht die Hoffnung auf eine Berufung nach einer auswärtigen Uni¬
versität ein gewisses Gegengewicht übt. Dazu kommt, daß der fast gänzliche
Mangel an freiwillig mitwirkenden jüngeren Kräften, erklärbar aus den Hin¬
dernissen, welche der Niederlassung von Privatdocenten entgegengestellt werden,
aus ihrer eingeengten und bedrohten Stellung, aus der geringen Ermunterung,
welche ihnen von Seiten der Negierung zu Theil wird, und aus der fehlenden
Aussicht auf einen größeren Zuhörerkreis, jenem Wetteifer der jüngeren, nicht
im Amte stehenden Lehrer mit den älteren, angestellten, welcher anderswo so
förderlich wirkt, in Rostock keinen Zutritt bietet.

Groß sind die Schattenseiten, welche unsere Darstellung an der rostocker
Universität hervorheben mußte. Aber es wäre doch voreilig, wenn man daraus
folgern wollte, daß den Interessen des Landes mit der Aufhebung der Univer¬
sität gedient sein könnte. Die Wissenschaft bleibt auch dann noch ein Licht,
wennn sie im Trüben leuchtet, und von der Reaction in Dienst genommen ist,
um sie für ihre Zwecke auszubeuten. Die Universität enthält an Personen und
Unterrichtsmaterial doch auch in ihrem jetzigen Zustande noch immer einen
werthvollen Kern, an welchen unter günstigen Umständen einmal ein reicheres
und fruchtbringenderes Leben sich ansetzen mag. Der Anfang einer solchen Zeit
wird dann gegeben sein, wenn unter dem Schirme einer freien Staasverfassung
die Wissenschaft sich ohne Zwang schaffend und lehrend äußern kann.




Gerichtsbarkeit nicht allein, sondern auch unter verschiedenem Recht stehen, die
einen unter dem, namentlich in Bezug auf Erbschaftssachen sehr abweichenden,
wesentlich mit dem indischen Recht verwandten rostocker Stad lrecht, die anderen
unter gemeinem Recht, so haben sie auch in geselliger Beziehung wenig mit
einander gemein. Auch ist in Folge der abweichenden politischen und religiösen
Richtung bei vielen Bürgern die spätere Gleichgiltigkeit gegen die Universität
und die innerhalb derselben dominirenden Persönlichketten neuerdings in eine
feindliche Stimmung umgeschlagen, wozu besonders die baumgartensche Angele¬
genheit beigetragen hat.

Unter der Einwirkung der wenig belebenden und anregenden Verhältnisse,
in welchen die Universität sich bewegt, erleiden selbst die strebsameren unter
den Docenten einen Druck, welcher leicht eine Erschlaffung zur Folge hat, zu¬
mal wenn nicht die Hoffnung auf eine Berufung nach einer auswärtigen Uni¬
versität ein gewisses Gegengewicht übt. Dazu kommt, daß der fast gänzliche
Mangel an freiwillig mitwirkenden jüngeren Kräften, erklärbar aus den Hin¬
dernissen, welche der Niederlassung von Privatdocenten entgegengestellt werden,
aus ihrer eingeengten und bedrohten Stellung, aus der geringen Ermunterung,
welche ihnen von Seiten der Negierung zu Theil wird, und aus der fehlenden
Aussicht auf einen größeren Zuhörerkreis, jenem Wetteifer der jüngeren, nicht
im Amte stehenden Lehrer mit den älteren, angestellten, welcher anderswo so
förderlich wirkt, in Rostock keinen Zutritt bietet.

Groß sind die Schattenseiten, welche unsere Darstellung an der rostocker
Universität hervorheben mußte. Aber es wäre doch voreilig, wenn man daraus
folgern wollte, daß den Interessen des Landes mit der Aufhebung der Univer¬
sität gedient sein könnte. Die Wissenschaft bleibt auch dann noch ein Licht,
wennn sie im Trüben leuchtet, und von der Reaction in Dienst genommen ist,
um sie für ihre Zwecke auszubeuten. Die Universität enthält an Personen und
Unterrichtsmaterial doch auch in ihrem jetzigen Zustande noch immer einen
werthvollen Kern, an welchen unter günstigen Umständen einmal ein reicheres
und fruchtbringenderes Leben sich ansetzen mag. Der Anfang einer solchen Zeit
wird dann gegeben sein, wenn unter dem Schirme einer freien Staasverfassung
die Wissenschaft sich ohne Zwang schaffend und lehrend äußern kann.




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[0541] Gerichtsbarkeit nicht allein, sondern auch unter verschiedenem Recht stehen, die einen unter dem, namentlich in Bezug auf Erbschaftssachen sehr abweichenden, wesentlich mit dem indischen Recht verwandten rostocker Stad lrecht, die anderen unter gemeinem Recht, so haben sie auch in geselliger Beziehung wenig mit einander gemein. Auch ist in Folge der abweichenden politischen und religiösen Richtung bei vielen Bürgern die spätere Gleichgiltigkeit gegen die Universität und die innerhalb derselben dominirenden Persönlichketten neuerdings in eine feindliche Stimmung umgeschlagen, wozu besonders die baumgartensche Angele¬ genheit beigetragen hat. Unter der Einwirkung der wenig belebenden und anregenden Verhältnisse, in welchen die Universität sich bewegt, erleiden selbst die strebsameren unter den Docenten einen Druck, welcher leicht eine Erschlaffung zur Folge hat, zu¬ mal wenn nicht die Hoffnung auf eine Berufung nach einer auswärtigen Uni¬ versität ein gewisses Gegengewicht übt. Dazu kommt, daß der fast gänzliche Mangel an freiwillig mitwirkenden jüngeren Kräften, erklärbar aus den Hin¬ dernissen, welche der Niederlassung von Privatdocenten entgegengestellt werden, aus ihrer eingeengten und bedrohten Stellung, aus der geringen Ermunterung, welche ihnen von Seiten der Negierung zu Theil wird, und aus der fehlenden Aussicht auf einen größeren Zuhörerkreis, jenem Wetteifer der jüngeren, nicht im Amte stehenden Lehrer mit den älteren, angestellten, welcher anderswo so förderlich wirkt, in Rostock keinen Zutritt bietet. Groß sind die Schattenseiten, welche unsere Darstellung an der rostocker Universität hervorheben mußte. Aber es wäre doch voreilig, wenn man daraus folgern wollte, daß den Interessen des Landes mit der Aufhebung der Univer¬ sität gedient sein könnte. Die Wissenschaft bleibt auch dann noch ein Licht, wennn sie im Trüben leuchtet, und von der Reaction in Dienst genommen ist, um sie für ihre Zwecke auszubeuten. Die Universität enthält an Personen und Unterrichtsmaterial doch auch in ihrem jetzigen Zustande noch immer einen werthvollen Kern, an welchen unter günstigen Umständen einmal ein reicheres und fruchtbringenderes Leben sich ansetzen mag. Der Anfang einer solchen Zeit wird dann gegeben sein, wenn unter dem Schirme einer freien Staasverfassung die Wissenschaft sich ohne Zwang schaffend und lehrend äußern kann.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/541>, abgerufen am 23.07.2024.