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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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"über Verdunstung" (1860) und eine Doctordissertation "über den Bau der
Rinde des kleinen Gehirns" (1863) veröffentlicht hat.

Einer der tüchtigsten Professoren und beliebtesten Lehrer der Hochschule ist
Benjamin Theodor Thierfelder, zu Ostern 1856 als außerordentlicher Pro-
fessor von Leipzig, wo er Wunderlichs Assistent war, berufen, seit 1857 ordent¬
licher Professor. Pathologie und Therapie, die sich bisher in den Händen des
gänzlich veralteten Spitta befunden hatten, wurden nach langem Zwischenraum
durch ihn wieder in den Kreis der wirklich gehaltenen Vorlesungen eingeführt.
Außerdem liest er pathologische Anatomie und Encyklopädie. Er ist ein Mann
von anerkannter Gelehrsamkeit und gründlicher wissenschaftlicher Durchbildung.
Wegen seiner Kenntnisse und seiner liebenswürdigen Persönlichkeit ist er auch
als consultirender Arzt sehr gesucht und bei seinen ärztlichen College" kaum
weniger beliebt als bei den Kranken. Es ist nur zu befürchten, daß seine aus¬
gebreitete Privatpraxis ihn mehr, als für seine akademische Wirksamkeit und
für seine Muße zu selbstthätiger Förderung der Wissenschaft gut ist, in Anspruch
nimmt. Auf dem literarischen Felde ist er nur mit einer kleinen Schrift über
Temperaturen in Krankheiten hervorgetreten.

Für das chirurgische Fach wurde Gustav Simon zu Michaelis 1861 als
außerordentlicher Professor aus Darmstadt berufen und ein halbes Jahr später
zum ordentlichen Professor befördert. Durch einzelne sehr mühsame Operationen
(Blasenscheidenfistel, Gaumenspalte u. s. w.) hat er sich als Operateur einen
bedeutenden Ruf sowohl in der ärztlichen Welt als im Publikum erworben.
Sonst läßt vielleicht seine übrige medicinisch-chirurgische Bildung, sowie seine
Fähigkeit als Docent und klinischer Lehrer Einiges zu wünschen übrig. Bei
den Studenten ist er wegen dieser Mängel und wegen seines etwas schroffen
Wesens weniger beliebt als sein College bei der medicinischen Abtheilung der
Klinik, Thierfelder. In neuester Zeit hat er dadurch bei patriotischen Gemüthern
Kummer erregt, daß er unter Zurücksetzung der Mecklenburger zwei junge
Hessen-Darmstädter herangezogen und in die von Studenten versehenen und
von diesen sehr gesuchten Gehilsenstellen bei der Klinik und mit Zustimmung
seines Kollegen Winckel auch in den Dienst bei der Entbindungsanstalt ein-
geschoben hat.

Die Geburtshilfe hatte früher in Krauel, einem Rostocker von Geburt
(1' 1854), einen nicht gerade genialen, aber fleißigen Vertreter, der auch als
klinischer Lehrer, bei geringem Material, recht tüchtig und beliebt war. Er
starb in dem Zeitpunkt, als das neue Gebäude für geburtshilfliche und gynä¬
kologische Klinik eben seiner Vollendung entgegenging und hinterließ das damit
wesentlich bereicherte Unterrichtsmaterial seinem Nachfolger, Gustav Veit, einem
gediegenen und strebsamen Forscher und Lehrer, bekannt u. a. durch feine vor¬
trefflichen Berichte über Frauenkrankheiten in Canstatts Jahresberichten über die


Grenzbo,-,n I. MS. 63

„über Verdunstung" (1860) und eine Doctordissertation „über den Bau der
Rinde des kleinen Gehirns" (1863) veröffentlicht hat.

Einer der tüchtigsten Professoren und beliebtesten Lehrer der Hochschule ist
Benjamin Theodor Thierfelder, zu Ostern 1856 als außerordentlicher Pro-
fessor von Leipzig, wo er Wunderlichs Assistent war, berufen, seit 1857 ordent¬
licher Professor. Pathologie und Therapie, die sich bisher in den Händen des
gänzlich veralteten Spitta befunden hatten, wurden nach langem Zwischenraum
durch ihn wieder in den Kreis der wirklich gehaltenen Vorlesungen eingeführt.
Außerdem liest er pathologische Anatomie und Encyklopädie. Er ist ein Mann
von anerkannter Gelehrsamkeit und gründlicher wissenschaftlicher Durchbildung.
Wegen seiner Kenntnisse und seiner liebenswürdigen Persönlichkeit ist er auch
als consultirender Arzt sehr gesucht und bei seinen ärztlichen College» kaum
weniger beliebt als bei den Kranken. Es ist nur zu befürchten, daß seine aus¬
gebreitete Privatpraxis ihn mehr, als für seine akademische Wirksamkeit und
für seine Muße zu selbstthätiger Förderung der Wissenschaft gut ist, in Anspruch
nimmt. Auf dem literarischen Felde ist er nur mit einer kleinen Schrift über
Temperaturen in Krankheiten hervorgetreten.

Für das chirurgische Fach wurde Gustav Simon zu Michaelis 1861 als
außerordentlicher Professor aus Darmstadt berufen und ein halbes Jahr später
zum ordentlichen Professor befördert. Durch einzelne sehr mühsame Operationen
(Blasenscheidenfistel, Gaumenspalte u. s. w.) hat er sich als Operateur einen
bedeutenden Ruf sowohl in der ärztlichen Welt als im Publikum erworben.
Sonst läßt vielleicht seine übrige medicinisch-chirurgische Bildung, sowie seine
Fähigkeit als Docent und klinischer Lehrer Einiges zu wünschen übrig. Bei
den Studenten ist er wegen dieser Mängel und wegen seines etwas schroffen
Wesens weniger beliebt als sein College bei der medicinischen Abtheilung der
Klinik, Thierfelder. In neuester Zeit hat er dadurch bei patriotischen Gemüthern
Kummer erregt, daß er unter Zurücksetzung der Mecklenburger zwei junge
Hessen-Darmstädter herangezogen und in die von Studenten versehenen und
von diesen sehr gesuchten Gehilsenstellen bei der Klinik und mit Zustimmung
seines Kollegen Winckel auch in den Dienst bei der Entbindungsanstalt ein-
geschoben hat.

Die Geburtshilfe hatte früher in Krauel, einem Rostocker von Geburt
(1' 1854), einen nicht gerade genialen, aber fleißigen Vertreter, der auch als
klinischer Lehrer, bei geringem Material, recht tüchtig und beliebt war. Er
starb in dem Zeitpunkt, als das neue Gebäude für geburtshilfliche und gynä¬
kologische Klinik eben seiner Vollendung entgegenging und hinterließ das damit
wesentlich bereicherte Unterrichtsmaterial seinem Nachfolger, Gustav Veit, einem
gediegenen und strebsamen Forscher und Lehrer, bekannt u. a. durch feine vor¬
trefflichen Berichte über Frauenkrankheiten in Canstatts Jahresberichten über die


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[0527] „über Verdunstung" (1860) und eine Doctordissertation „über den Bau der Rinde des kleinen Gehirns" (1863) veröffentlicht hat. Einer der tüchtigsten Professoren und beliebtesten Lehrer der Hochschule ist Benjamin Theodor Thierfelder, zu Ostern 1856 als außerordentlicher Pro- fessor von Leipzig, wo er Wunderlichs Assistent war, berufen, seit 1857 ordent¬ licher Professor. Pathologie und Therapie, die sich bisher in den Händen des gänzlich veralteten Spitta befunden hatten, wurden nach langem Zwischenraum durch ihn wieder in den Kreis der wirklich gehaltenen Vorlesungen eingeführt. Außerdem liest er pathologische Anatomie und Encyklopädie. Er ist ein Mann von anerkannter Gelehrsamkeit und gründlicher wissenschaftlicher Durchbildung. Wegen seiner Kenntnisse und seiner liebenswürdigen Persönlichkeit ist er auch als consultirender Arzt sehr gesucht und bei seinen ärztlichen College» kaum weniger beliebt als bei den Kranken. Es ist nur zu befürchten, daß seine aus¬ gebreitete Privatpraxis ihn mehr, als für seine akademische Wirksamkeit und für seine Muße zu selbstthätiger Förderung der Wissenschaft gut ist, in Anspruch nimmt. Auf dem literarischen Felde ist er nur mit einer kleinen Schrift über Temperaturen in Krankheiten hervorgetreten. Für das chirurgische Fach wurde Gustav Simon zu Michaelis 1861 als außerordentlicher Professor aus Darmstadt berufen und ein halbes Jahr später zum ordentlichen Professor befördert. Durch einzelne sehr mühsame Operationen (Blasenscheidenfistel, Gaumenspalte u. s. w.) hat er sich als Operateur einen bedeutenden Ruf sowohl in der ärztlichen Welt als im Publikum erworben. Sonst läßt vielleicht seine übrige medicinisch-chirurgische Bildung, sowie seine Fähigkeit als Docent und klinischer Lehrer Einiges zu wünschen übrig. Bei den Studenten ist er wegen dieser Mängel und wegen seines etwas schroffen Wesens weniger beliebt als sein College bei der medicinischen Abtheilung der Klinik, Thierfelder. In neuester Zeit hat er dadurch bei patriotischen Gemüthern Kummer erregt, daß er unter Zurücksetzung der Mecklenburger zwei junge Hessen-Darmstädter herangezogen und in die von Studenten versehenen und von diesen sehr gesuchten Gehilsenstellen bei der Klinik und mit Zustimmung seines Kollegen Winckel auch in den Dienst bei der Entbindungsanstalt ein- geschoben hat. Die Geburtshilfe hatte früher in Krauel, einem Rostocker von Geburt (1' 1854), einen nicht gerade genialen, aber fleißigen Vertreter, der auch als klinischer Lehrer, bei geringem Material, recht tüchtig und beliebt war. Er starb in dem Zeitpunkt, als das neue Gebäude für geburtshilfliche und gynä¬ kologische Klinik eben seiner Vollendung entgegenging und hinterließ das damit wesentlich bereicherte Unterrichtsmaterial seinem Nachfolger, Gustav Veit, einem gediegenen und strebsamen Forscher und Lehrer, bekannt u. a. durch feine vor¬ trefflichen Berichte über Frauenkrankheiten in Canstatts Jahresberichten über die Grenzbo,-,n I. MS. 63

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/527>, abgerufen am 23.07.2024.