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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Zwischenräume zu Kapellen gebildet, die durch Flachbögcn unter den Fenstern
gedeckt sind. Hier aber erheben sich die einförmigen todten Mauermassen der Pfeiler
bis zu der Gewölk'höhe der Kirche. In den Chor sind die Pfeiler nicht mit
hereingezogen; ihre äußeren Zwischenräume sind hier zu Wandnischen benutzt,
welche von außen den falschen Anschein eines kleinen Kapellenumgangs bieten.
Ueber diesem Umgang schrumpfen die Pfeiler zu ungefähr einem Drittel ihrer
unteren Dicke zusammen und werden dagegen durch Miniaturstrebebögen von
der ärmsten, bedürftigsten Form gestützt. Ebenso ärmlich und nüchtern sind die
Seitenihürme, die der Fialen an der Stelle entbehren, wo sich der achteckige
Theil aus dem viereckigen erhebt, und die somit ohne jeden Schein von Ver¬
mittlung schwerfällig Stück auf Stück setzen. Es ist überflüssig, noch von den
Thurmhelmen zu reden, die in unschönem Wechsel geschlossene Füllungen zwischen
durchbrochenen haben, von den viereckigen Fenstereinfassungen des Chorumgangs,
dem aus später Zeit hervorgeholter Maßwerk der Galerien. Noch ist der Bau
nicht ganz vollendet und wir wissen nicht, welche Ausschmückung dem Inneren
bestimmt ist: aber auch schon so zeigt sich, daß eine solche kleinliche Erinnerung
der "christlichen Kunst" nichts weiter ist, als ein versteinertes Mißverständniß
der Bauaufgabe der modernen Zeit und das leblose Machwerk spielender Nach¬
ahmung.

Bezeichnend für den despotischen, der Kunst überhaupt wie der Geschichte
feindlichen Charakter der modernen Gothik ist die Art, wie die Frauenkirche
restaurirt worden. Offenbar sehen die Gothiker einen solchen Bau, in dem die
sich folgenden Geschlechter in Altären und Monumenten ihrer Gesittung und
ihrem Kunstleben ebensoviele Denkmäler wie ihrer Frömmigkeit gestiftet haben,
für einen mit allerlei bunten Fetzen berasten Rock an, die sie abtrennen müssen,
um neue Flicken von möglichst gleicher Farbe und Textur aufzusetzen. Herstellen
heißt ihnen nicht die den Bau selber entstellenden Umbildungen oder Bekleidungen
späterer Kunstepochen entfernen und ihm seine ursprüngliche architektonische Ge¬
stalt zurückgeben; sondern kurzweg alle Spuren vertilgen, welche die Entwickelung
der Geschichte und der Kunst als denkwürdige Zeichen im Gotteshaus zurück¬
gelassen haben. Aerger kann man den tieferen Zusammenhang von Religion
und Kunst und die schöne Bestimmung christlicher Kirchen nicht verkennen. Diese
haben ja das religiöse Dasein nicht eines, sondern vieler Geschlechter aufzu¬
nehmen und durch das Band gemeinsamer Gottesverehrung die Nachkommen
mit den Vorfahren zu verknüpfen, wie zum Beweis der alle Zeit überragenden
Macht des Glaubens. So zerstört der Bandalismus einer solchen Herstellung
nicht blos Kunstwerke von einem Werth, den vielleicht die Producte unseres
stolzen Jahrhunderts nicht einmal erreichen, sondern auch die Geschichte und die
ehrwürdige Stimmung des Baues, dem er gleichsam seine Erlebnisse nimmt.
Und was tritt an die Stelle der verschleuderten Altäre und Monumente? Aller-


Zwischenräume zu Kapellen gebildet, die durch Flachbögcn unter den Fenstern
gedeckt sind. Hier aber erheben sich die einförmigen todten Mauermassen der Pfeiler
bis zu der Gewölk'höhe der Kirche. In den Chor sind die Pfeiler nicht mit
hereingezogen; ihre äußeren Zwischenräume sind hier zu Wandnischen benutzt,
welche von außen den falschen Anschein eines kleinen Kapellenumgangs bieten.
Ueber diesem Umgang schrumpfen die Pfeiler zu ungefähr einem Drittel ihrer
unteren Dicke zusammen und werden dagegen durch Miniaturstrebebögen von
der ärmsten, bedürftigsten Form gestützt. Ebenso ärmlich und nüchtern sind die
Seitenihürme, die der Fialen an der Stelle entbehren, wo sich der achteckige
Theil aus dem viereckigen erhebt, und die somit ohne jeden Schein von Ver¬
mittlung schwerfällig Stück auf Stück setzen. Es ist überflüssig, noch von den
Thurmhelmen zu reden, die in unschönem Wechsel geschlossene Füllungen zwischen
durchbrochenen haben, von den viereckigen Fenstereinfassungen des Chorumgangs,
dem aus später Zeit hervorgeholter Maßwerk der Galerien. Noch ist der Bau
nicht ganz vollendet und wir wissen nicht, welche Ausschmückung dem Inneren
bestimmt ist: aber auch schon so zeigt sich, daß eine solche kleinliche Erinnerung
der „christlichen Kunst" nichts weiter ist, als ein versteinertes Mißverständniß
der Bauaufgabe der modernen Zeit und das leblose Machwerk spielender Nach¬
ahmung.

Bezeichnend für den despotischen, der Kunst überhaupt wie der Geschichte
feindlichen Charakter der modernen Gothik ist die Art, wie die Frauenkirche
restaurirt worden. Offenbar sehen die Gothiker einen solchen Bau, in dem die
sich folgenden Geschlechter in Altären und Monumenten ihrer Gesittung und
ihrem Kunstleben ebensoviele Denkmäler wie ihrer Frömmigkeit gestiftet haben,
für einen mit allerlei bunten Fetzen berasten Rock an, die sie abtrennen müssen,
um neue Flicken von möglichst gleicher Farbe und Textur aufzusetzen. Herstellen
heißt ihnen nicht die den Bau selber entstellenden Umbildungen oder Bekleidungen
späterer Kunstepochen entfernen und ihm seine ursprüngliche architektonische Ge¬
stalt zurückgeben; sondern kurzweg alle Spuren vertilgen, welche die Entwickelung
der Geschichte und der Kunst als denkwürdige Zeichen im Gotteshaus zurück¬
gelassen haben. Aerger kann man den tieferen Zusammenhang von Religion
und Kunst und die schöne Bestimmung christlicher Kirchen nicht verkennen. Diese
haben ja das religiöse Dasein nicht eines, sondern vieler Geschlechter aufzu¬
nehmen und durch das Band gemeinsamer Gottesverehrung die Nachkommen
mit den Vorfahren zu verknüpfen, wie zum Beweis der alle Zeit überragenden
Macht des Glaubens. So zerstört der Bandalismus einer solchen Herstellung
nicht blos Kunstwerke von einem Werth, den vielleicht die Producte unseres
stolzen Jahrhunderts nicht einmal erreichen, sondern auch die Geschichte und die
ehrwürdige Stimmung des Baues, dem er gleichsam seine Erlebnisse nimmt.
Und was tritt an die Stelle der verschleuderten Altäre und Monumente? Aller-


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[0523] Zwischenräume zu Kapellen gebildet, die durch Flachbögcn unter den Fenstern gedeckt sind. Hier aber erheben sich die einförmigen todten Mauermassen der Pfeiler bis zu der Gewölk'höhe der Kirche. In den Chor sind die Pfeiler nicht mit hereingezogen; ihre äußeren Zwischenräume sind hier zu Wandnischen benutzt, welche von außen den falschen Anschein eines kleinen Kapellenumgangs bieten. Ueber diesem Umgang schrumpfen die Pfeiler zu ungefähr einem Drittel ihrer unteren Dicke zusammen und werden dagegen durch Miniaturstrebebögen von der ärmsten, bedürftigsten Form gestützt. Ebenso ärmlich und nüchtern sind die Seitenihürme, die der Fialen an der Stelle entbehren, wo sich der achteckige Theil aus dem viereckigen erhebt, und die somit ohne jeden Schein von Ver¬ mittlung schwerfällig Stück auf Stück setzen. Es ist überflüssig, noch von den Thurmhelmen zu reden, die in unschönem Wechsel geschlossene Füllungen zwischen durchbrochenen haben, von den viereckigen Fenstereinfassungen des Chorumgangs, dem aus später Zeit hervorgeholter Maßwerk der Galerien. Noch ist der Bau nicht ganz vollendet und wir wissen nicht, welche Ausschmückung dem Inneren bestimmt ist: aber auch schon so zeigt sich, daß eine solche kleinliche Erinnerung der „christlichen Kunst" nichts weiter ist, als ein versteinertes Mißverständniß der Bauaufgabe der modernen Zeit und das leblose Machwerk spielender Nach¬ ahmung. Bezeichnend für den despotischen, der Kunst überhaupt wie der Geschichte feindlichen Charakter der modernen Gothik ist die Art, wie die Frauenkirche restaurirt worden. Offenbar sehen die Gothiker einen solchen Bau, in dem die sich folgenden Geschlechter in Altären und Monumenten ihrer Gesittung und ihrem Kunstleben ebensoviele Denkmäler wie ihrer Frömmigkeit gestiftet haben, für einen mit allerlei bunten Fetzen berasten Rock an, die sie abtrennen müssen, um neue Flicken von möglichst gleicher Farbe und Textur aufzusetzen. Herstellen heißt ihnen nicht die den Bau selber entstellenden Umbildungen oder Bekleidungen späterer Kunstepochen entfernen und ihm seine ursprüngliche architektonische Ge¬ stalt zurückgeben; sondern kurzweg alle Spuren vertilgen, welche die Entwickelung der Geschichte und der Kunst als denkwürdige Zeichen im Gotteshaus zurück¬ gelassen haben. Aerger kann man den tieferen Zusammenhang von Religion und Kunst und die schöne Bestimmung christlicher Kirchen nicht verkennen. Diese haben ja das religiöse Dasein nicht eines, sondern vieler Geschlechter aufzu¬ nehmen und durch das Band gemeinsamer Gottesverehrung die Nachkommen mit den Vorfahren zu verknüpfen, wie zum Beweis der alle Zeit überragenden Macht des Glaubens. So zerstört der Bandalismus einer solchen Herstellung nicht blos Kunstwerke von einem Werth, den vielleicht die Producte unseres stolzen Jahrhunderts nicht einmal erreichen, sondern auch die Geschichte und die ehrwürdige Stimmung des Baues, dem er gleichsam seine Erlebnisse nimmt. Und was tritt an die Stelle der verschleuderten Altäre und Monumente? Aller-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/523>, abgerufen am 23.07.2024.