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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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bildes. Die Schwesterkünste sind zu den dienenden Mägden der Architektur
geworden. Malerisch will diese selber sein in der reichen Verschiebung ihrer
Innenräume, Plastisch in der Behandlung des Steins; sie duldet keine Gestal¬
tung, die nicht ihr Gepräge trägt, und daher keine Fläche, auf der sich jene
ausbreiten könnten. Wo sie aber dieselben zu ihrer Verherrlichung herbeizieht,
da müssen sie ihrem Gesetz sich fügen und den Charakter ihrer Formen an¬
nehmen. Deshalb sind ihre Steinmetzen meistens auch die Bildhauer, und als
Maler genügt ihr der zünftige Schilderer, der sein Handwerk an Wirthshaus¬
und Wappentascln auszuüben gewöhnt ist.

Lange hat dieser despotische Druck die deutsche Sculptur und Malerei
niedergehalten und ihre Formengebung in den Zwang des Herkommens ge¬
schnürt. Auch in ihnen die Verläugnung der Natur; daher die Unkenntnis;
der Körperbildung und das Beharren in bestimmt ausgeprägten, fast geome¬
trischen Formen. Daher die traditionelle Schlankheit und die weiche Neigung
der Gestalten, in der doch zugleich der organische Bau wie gebrochen erscheint;
der typische Charakter, der einförmige Ausdruck der Köpfe, die Gewandung
von unbestimmtem Fluß oder hart und eckig; die Bewegung conventionell und
wie gebunden, da sie in den engen architektonischen Rahmen gefesselt ist, oder,
wo sie freigegeben wird, ins andere Extrem überspringend, maßlos und über¬
trieben. Nirgends organische Freiheit und Fülle, dagegen überall eine typische
Gleichförmigkeit, die nur eine kleine Tonleiter von Seelenstimmungen kennt
und auch diese Innerlichkeit in der Form nicht voll ausprägen kann. Der
Künstler in überlieferten Regeln befangen und so gleich unfähig zu treuer Nach¬
bildung der Natur wie zu eigenthümlicher Auffassung: die Kunst selber in ihrer
natürlichen Entwickelung gehemmt und aufgehalten. Und da sich doch die
künstlerische Phantasie niemals ganz unterdrücken läßt, so sprengt sie anderer¬
seits diese Fesseln und ergeht sich dann, aller Bande ledig, in einem wilden
Taumel abenteuerlicher Bildungen. Auch hier also das Schwanken zwischen
verfestigten Formeln und phantastischer Willkür. Dagegen freilich weiß man
nicht Rühmens genug zu machen von der Gefühlsinnigkeit der gothischen Kunst,
welche aus dem unbeholfenen Leib mit ganzer wunderbarer Macht hervorleuchte,
von der seelenvollen Andacht, in welcher die körperliche Form ganz aufgegangen
sei. Allerdings spricht aus jener Kunst, sofern sie nicht gar zu handwerks¬
mäßig ist, eine rührende und anmuthige Befangenheit in hingebender religiöser
Empfindung; aber auch dieser Ausdruck, ohne die Kraft individueller Erregung,
erstarrt in seiner endlosen Wiederkehr allmälig zur leblosen, herkömmlichen
Maske. Und überdies -- kann eine solche einseitige Gefühlsseligst jemals
Ersatz geben für alle jene Mängel, unter denen das Wesen der deutschen Kunst
und damit ihre Entwickelung bis in ihre Blüthezeit hinein gelitten hat?

So wenig es uns einfallen kann, jene Epoche der bildenden Kunst zum


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bildes. Die Schwesterkünste sind zu den dienenden Mägden der Architektur
geworden. Malerisch will diese selber sein in der reichen Verschiebung ihrer
Innenräume, Plastisch in der Behandlung des Steins; sie duldet keine Gestal¬
tung, die nicht ihr Gepräge trägt, und daher keine Fläche, auf der sich jene
ausbreiten könnten. Wo sie aber dieselben zu ihrer Verherrlichung herbeizieht,
da müssen sie ihrem Gesetz sich fügen und den Charakter ihrer Formen an¬
nehmen. Deshalb sind ihre Steinmetzen meistens auch die Bildhauer, und als
Maler genügt ihr der zünftige Schilderer, der sein Handwerk an Wirthshaus¬
und Wappentascln auszuüben gewöhnt ist.

Lange hat dieser despotische Druck die deutsche Sculptur und Malerei
niedergehalten und ihre Formengebung in den Zwang des Herkommens ge¬
schnürt. Auch in ihnen die Verläugnung der Natur; daher die Unkenntnis;
der Körperbildung und das Beharren in bestimmt ausgeprägten, fast geome¬
trischen Formen. Daher die traditionelle Schlankheit und die weiche Neigung
der Gestalten, in der doch zugleich der organische Bau wie gebrochen erscheint;
der typische Charakter, der einförmige Ausdruck der Köpfe, die Gewandung
von unbestimmtem Fluß oder hart und eckig; die Bewegung conventionell und
wie gebunden, da sie in den engen architektonischen Rahmen gefesselt ist, oder,
wo sie freigegeben wird, ins andere Extrem überspringend, maßlos und über¬
trieben. Nirgends organische Freiheit und Fülle, dagegen überall eine typische
Gleichförmigkeit, die nur eine kleine Tonleiter von Seelenstimmungen kennt
und auch diese Innerlichkeit in der Form nicht voll ausprägen kann. Der
Künstler in überlieferten Regeln befangen und so gleich unfähig zu treuer Nach¬
bildung der Natur wie zu eigenthümlicher Auffassung: die Kunst selber in ihrer
natürlichen Entwickelung gehemmt und aufgehalten. Und da sich doch die
künstlerische Phantasie niemals ganz unterdrücken läßt, so sprengt sie anderer¬
seits diese Fesseln und ergeht sich dann, aller Bande ledig, in einem wilden
Taumel abenteuerlicher Bildungen. Auch hier also das Schwanken zwischen
verfestigten Formeln und phantastischer Willkür. Dagegen freilich weiß man
nicht Rühmens genug zu machen von der Gefühlsinnigkeit der gothischen Kunst,
welche aus dem unbeholfenen Leib mit ganzer wunderbarer Macht hervorleuchte,
von der seelenvollen Andacht, in welcher die körperliche Form ganz aufgegangen
sei. Allerdings spricht aus jener Kunst, sofern sie nicht gar zu handwerks¬
mäßig ist, eine rührende und anmuthige Befangenheit in hingebender religiöser
Empfindung; aber auch dieser Ausdruck, ohne die Kraft individueller Erregung,
erstarrt in seiner endlosen Wiederkehr allmälig zur leblosen, herkömmlichen
Maske. Und überdies — kann eine solche einseitige Gefühlsseligst jemals
Ersatz geben für alle jene Mängel, unter denen das Wesen der deutschen Kunst
und damit ihre Entwickelung bis in ihre Blüthezeit hinein gelitten hat?

So wenig es uns einfallen kann, jene Epoche der bildenden Kunst zum


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[0521] bildes. Die Schwesterkünste sind zu den dienenden Mägden der Architektur geworden. Malerisch will diese selber sein in der reichen Verschiebung ihrer Innenräume, Plastisch in der Behandlung des Steins; sie duldet keine Gestal¬ tung, die nicht ihr Gepräge trägt, und daher keine Fläche, auf der sich jene ausbreiten könnten. Wo sie aber dieselben zu ihrer Verherrlichung herbeizieht, da müssen sie ihrem Gesetz sich fügen und den Charakter ihrer Formen an¬ nehmen. Deshalb sind ihre Steinmetzen meistens auch die Bildhauer, und als Maler genügt ihr der zünftige Schilderer, der sein Handwerk an Wirthshaus¬ und Wappentascln auszuüben gewöhnt ist. Lange hat dieser despotische Druck die deutsche Sculptur und Malerei niedergehalten und ihre Formengebung in den Zwang des Herkommens ge¬ schnürt. Auch in ihnen die Verläugnung der Natur; daher die Unkenntnis; der Körperbildung und das Beharren in bestimmt ausgeprägten, fast geome¬ trischen Formen. Daher die traditionelle Schlankheit und die weiche Neigung der Gestalten, in der doch zugleich der organische Bau wie gebrochen erscheint; der typische Charakter, der einförmige Ausdruck der Köpfe, die Gewandung von unbestimmtem Fluß oder hart und eckig; die Bewegung conventionell und wie gebunden, da sie in den engen architektonischen Rahmen gefesselt ist, oder, wo sie freigegeben wird, ins andere Extrem überspringend, maßlos und über¬ trieben. Nirgends organische Freiheit und Fülle, dagegen überall eine typische Gleichförmigkeit, die nur eine kleine Tonleiter von Seelenstimmungen kennt und auch diese Innerlichkeit in der Form nicht voll ausprägen kann. Der Künstler in überlieferten Regeln befangen und so gleich unfähig zu treuer Nach¬ bildung der Natur wie zu eigenthümlicher Auffassung: die Kunst selber in ihrer natürlichen Entwickelung gehemmt und aufgehalten. Und da sich doch die künstlerische Phantasie niemals ganz unterdrücken läßt, so sprengt sie anderer¬ seits diese Fesseln und ergeht sich dann, aller Bande ledig, in einem wilden Taumel abenteuerlicher Bildungen. Auch hier also das Schwanken zwischen verfestigten Formeln und phantastischer Willkür. Dagegen freilich weiß man nicht Rühmens genug zu machen von der Gefühlsinnigkeit der gothischen Kunst, welche aus dem unbeholfenen Leib mit ganzer wunderbarer Macht hervorleuchte, von der seelenvollen Andacht, in welcher die körperliche Form ganz aufgegangen sei. Allerdings spricht aus jener Kunst, sofern sie nicht gar zu handwerks¬ mäßig ist, eine rührende und anmuthige Befangenheit in hingebender religiöser Empfindung; aber auch dieser Ausdruck, ohne die Kraft individueller Erregung, erstarrt in seiner endlosen Wiederkehr allmälig zur leblosen, herkömmlichen Maske. Und überdies — kann eine solche einseitige Gefühlsseligst jemals Ersatz geben für alle jene Mängel, unter denen das Wesen der deutschen Kunst und damit ihre Entwickelung bis in ihre Blüthezeit hinein gelitten hat? So wenig es uns einfallen kann, jene Epoche der bildenden Kunst zum 62"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/521>, abgerufen am 03.07.2024.