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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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merklich; die klerikalen Proteste machten die Angelegenheit täglich mehr zu
einer Principienfrage und M Negierung sach ihre wohlmeinenden Absichten
verdächtigt und den Grund, auf dem sie das neue Gebäude aufzuführen
gedachte, völlig unterwühlt. Freunde der Negierung konnten sich eines leb-
haften Bedauerns darüber nicht erwehren, daß man durch die Publication
der Thesen, die in ihrer doctrinären Form gar manche Schroffheit und Ein¬
seitigkeit 'zeigten, welche das Leben sofort beseitigt hätte, die Agitation des
Klerus geradezu provocirt, daß man namentlich dadurch ein freundliches Ein¬
vernehmen mit der Kurie, welches auf dem so zu sagen neutralen Boden,
den Leben und Praxis zwischen den beiderseitigen principiellen Standpunk¬
ten offen hielten, zu erreichen war. sehr erschwert hatte. Aber die Thesen
Waren nun einmal veröffentlicht, die Agitation war da. die Regierung konnte
unmöglich einen Schritt rückwärts thun. Die Kammern waren versammelt und
in zahlreichen Petitionen kam das Ersuchen an sie. den Erlaß eines Schulgesetzes
so viel als möglich zu beschleunigen. Aber nun zeigte sich doch, daß die Vor¬
bereitungen noch nicht weit genug gediehen waren und wenn je irgendein Ge¬
setz, so war dieses der reifsten Erwägungen am meisten bedürftig, bevor man
den Entwurf den Berathungen der Stände vorlegte. Andrerseits schien die
unveränderte Fortdauer des bisherigen Zustandes unerträglich. Die Kirche be-
nutzte ihre Stellung gegenüber der Schule zur entschiedensten Befehdung der
Regierung und dem Staat waren durch die Gesetzgebung vom October 1860
alle Mittel genommen, mit denen die Gesetze der Aufklärungsperiode die Om-
nipotenz der Bureaukratie auch der Kirche gegenüber ausgerüstet hatten. Unter
diesen Verhältnissen entschloß man sich, den Theil des Schulgesetzes, welcher
die Aufsicht über die Volksschulen betrifft, zunächst allein vorzulegen. Der
Entwurf wurde in der zweiten Kammer mit allen gegen zwei Stimmen an-
genommen und auch in der ersten Kammer waren es nur zwei Stimmen, welche
sich dagegen erklärten.

Nach diesem also fast einstimmig beschlossenen Gesetze wird die örtliche
Aufsicht über die Volksschule durch den Ortsschulrath besorgt. Der Ortsschul¬
rath für die konfessionellen Volksschulen besteht aus dem Ortspfarrer der be¬
treffenden Confession, dem Bürgermeister, dem Schullehrer, endlich 3 bis 5
"ewählten Mitgliedern, je nach der Größe der Schulstelle; für eine gemischte
Schule besteht er aus je einem Ortspfarrer für jede betheiligte Confession, dem
Bürgermeister, den Schullehrern, je einem für eine betheiligte Confession. end-
Uch 2 bis 6 in der Weise gewählten Mitgliedern, daß jede Confession durch eine
gleiche Zahl vertreten ist. Die Wahlen finden für je 6 Jahre statt; die Ver¬
weigerung der Annahme der Wahl ohne genügenden Entschuldigungsgrund
Zieht eine für Ortsschulzwecke zu verwendende Geldstrafe von 2S bis 60 Gul-
den nach sich. Der Vorsitzende des Ortsschulrathes wird aus der Müde desselben


merklich; die klerikalen Proteste machten die Angelegenheit täglich mehr zu
einer Principienfrage und M Negierung sach ihre wohlmeinenden Absichten
verdächtigt und den Grund, auf dem sie das neue Gebäude aufzuführen
gedachte, völlig unterwühlt. Freunde der Negierung konnten sich eines leb-
haften Bedauerns darüber nicht erwehren, daß man durch die Publication
der Thesen, die in ihrer doctrinären Form gar manche Schroffheit und Ein¬
seitigkeit 'zeigten, welche das Leben sofort beseitigt hätte, die Agitation des
Klerus geradezu provocirt, daß man namentlich dadurch ein freundliches Ein¬
vernehmen mit der Kurie, welches auf dem so zu sagen neutralen Boden,
den Leben und Praxis zwischen den beiderseitigen principiellen Standpunk¬
ten offen hielten, zu erreichen war. sehr erschwert hatte. Aber die Thesen
Waren nun einmal veröffentlicht, die Agitation war da. die Regierung konnte
unmöglich einen Schritt rückwärts thun. Die Kammern waren versammelt und
in zahlreichen Petitionen kam das Ersuchen an sie. den Erlaß eines Schulgesetzes
so viel als möglich zu beschleunigen. Aber nun zeigte sich doch, daß die Vor¬
bereitungen noch nicht weit genug gediehen waren und wenn je irgendein Ge¬
setz, so war dieses der reifsten Erwägungen am meisten bedürftig, bevor man
den Entwurf den Berathungen der Stände vorlegte. Andrerseits schien die
unveränderte Fortdauer des bisherigen Zustandes unerträglich. Die Kirche be-
nutzte ihre Stellung gegenüber der Schule zur entschiedensten Befehdung der
Regierung und dem Staat waren durch die Gesetzgebung vom October 1860
alle Mittel genommen, mit denen die Gesetze der Aufklärungsperiode die Om-
nipotenz der Bureaukratie auch der Kirche gegenüber ausgerüstet hatten. Unter
diesen Verhältnissen entschloß man sich, den Theil des Schulgesetzes, welcher
die Aufsicht über die Volksschulen betrifft, zunächst allein vorzulegen. Der
Entwurf wurde in der zweiten Kammer mit allen gegen zwei Stimmen an-
genommen und auch in der ersten Kammer waren es nur zwei Stimmen, welche
sich dagegen erklärten.

Nach diesem also fast einstimmig beschlossenen Gesetze wird die örtliche
Aufsicht über die Volksschule durch den Ortsschulrath besorgt. Der Ortsschul¬
rath für die konfessionellen Volksschulen besteht aus dem Ortspfarrer der be¬
treffenden Confession, dem Bürgermeister, dem Schullehrer, endlich 3 bis 5
«ewählten Mitgliedern, je nach der Größe der Schulstelle; für eine gemischte
Schule besteht er aus je einem Ortspfarrer für jede betheiligte Confession, dem
Bürgermeister, den Schullehrern, je einem für eine betheiligte Confession. end-
Uch 2 bis 6 in der Weise gewählten Mitgliedern, daß jede Confession durch eine
gleiche Zahl vertreten ist. Die Wahlen finden für je 6 Jahre statt; die Ver¬
weigerung der Annahme der Wahl ohne genügenden Entschuldigungsgrund
Zieht eine für Ortsschulzwecke zu verwendende Geldstrafe von 2S bis 60 Gul-
den nach sich. Der Vorsitzende des Ortsschulrathes wird aus der Müde desselben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/513>, abgerufen am 23.07.2024.