Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Gelehrter, durch hervorragende Rednergabe als Abgeordneter, hochgeachteter Mann,
bis dahin Professor in Freiburg, Karl Knies berufen, das Collegium ward
aus je einem Geistlichen der beiden christlichen Konfessionen, einem Philologen,
zwei Reallehrern und einem Volksschullehrer zusammengesetzt, zu denen noch ein
juristisches und ein cameralistisches Mitglied kam.

Der Oberschulrath oder vielmehr sein Director begann seine Thätigkeit mit
der Ausarbeitung von Thesen über eine Reform des Jolksschulwesens. die
zunächst dem Minister des Innern vorgelegt, sodann von einer Versammlung
von Vertrauensmännern aus dem Lehrerstande besprochen wurden und die
Grundlage eines neuen Schulgesetzes werden sollten. Gegen sie erhob sich zuerst
ein heftiger Widerspruch der ultramontanen Partei, dann des Klerus, endlich
des Erzbischofs. Diese Thesen sind keineswegs radical. Im Gegentheil, die
fortgeschrittenere Fraction der liberalen Partei erhebt fortwährend gegen sie den
Vorwurf, daß sie auf halbem Wege stehen bleiben. Die Thesen kennen keine
Communalschulen. sie halten in der Regel die scharfe Trennung der Schulen
nach Confessionen aufrecht, nur da, wo in einer Gemeinde beide Bekenntnisse
vertreten sind, ohne daß jedes eine so große Zahl erreichte, daß sich die Er¬
richtung zweier Schulen als zweckdienlich erwiese, nur da sollen gemischte Schulen
und auch da nicht ohne die Zustimmung von zwei Drittheilen der Schulgemeinde,
errichtet werden. Der Religionsunterricht bleibt den Kirchen vollständig über¬
lassen und auch die Lehrer sollen in Verhinderung des Geistlichen diesen Unter¬
richt zu ertheilen ermächtigt sein; die Stunden in denen der Geistliche die
Schule besucht, sollen mit der Kirchenbehörde vereinbart, dann aber unveränder¬
lich festgestellt werden. Diese letzten Bestimmungen erregten hauptsächlich den
Unwillen der Kurie. Bisher war der Religionsunterricht nicht nur in dem
Sinne der Hauptlehrgegenstand gewesen, daß der ganze Unterricht von einem
wahrhaft religiösen Geist geleitet und durchdrungen wurde, sondern der for¬
melle Religionsunterricht hatte, besonders auf dem Lande, die Thätigkeit der
Lehrer und Schüler zum größten Theile absorbirt. Zu jeder beliebigen Stunde
hatte der Geistliche seine Unterrichtsstunden abhalten und dadurch die andern
Lehrgegenstände nach Belieben verkürzen können. Das war namentlich auf
Kosten der Realien geschehen, gegen deren Betreibung in der Volksschule die
Geistlichen von jeher eine besondere Abneigung bewiesen hatten.

Der Wunsch, diesen Zustand fortdauern zu sehen, die Abneigung der
Pfarrer, mit schlichten Gemeindegliedern in einer und derselben Commission
-- dem Ortsschulrath -- sitzen und tagen zu sollen waren die Hauptursachen
der klerikalen Agitation, die sofort begann, kaum daß jene Thesen durch den
Druck den weitesten Kreisen zugänglich gemacht waren. Ihre schlimmen Fol¬
gen machten sich zunächst in dem Verhältnisse der Geistlichen zu den Lehrern,
in den Beziehungen der Schulvisitatoren zu der obersten Schulbehörde be-


Gelehrter, durch hervorragende Rednergabe als Abgeordneter, hochgeachteter Mann,
bis dahin Professor in Freiburg, Karl Knies berufen, das Collegium ward
aus je einem Geistlichen der beiden christlichen Konfessionen, einem Philologen,
zwei Reallehrern und einem Volksschullehrer zusammengesetzt, zu denen noch ein
juristisches und ein cameralistisches Mitglied kam.

Der Oberschulrath oder vielmehr sein Director begann seine Thätigkeit mit
der Ausarbeitung von Thesen über eine Reform des Jolksschulwesens. die
zunächst dem Minister des Innern vorgelegt, sodann von einer Versammlung
von Vertrauensmännern aus dem Lehrerstande besprochen wurden und die
Grundlage eines neuen Schulgesetzes werden sollten. Gegen sie erhob sich zuerst
ein heftiger Widerspruch der ultramontanen Partei, dann des Klerus, endlich
des Erzbischofs. Diese Thesen sind keineswegs radical. Im Gegentheil, die
fortgeschrittenere Fraction der liberalen Partei erhebt fortwährend gegen sie den
Vorwurf, daß sie auf halbem Wege stehen bleiben. Die Thesen kennen keine
Communalschulen. sie halten in der Regel die scharfe Trennung der Schulen
nach Confessionen aufrecht, nur da, wo in einer Gemeinde beide Bekenntnisse
vertreten sind, ohne daß jedes eine so große Zahl erreichte, daß sich die Er¬
richtung zweier Schulen als zweckdienlich erwiese, nur da sollen gemischte Schulen
und auch da nicht ohne die Zustimmung von zwei Drittheilen der Schulgemeinde,
errichtet werden. Der Religionsunterricht bleibt den Kirchen vollständig über¬
lassen und auch die Lehrer sollen in Verhinderung des Geistlichen diesen Unter¬
richt zu ertheilen ermächtigt sein; die Stunden in denen der Geistliche die
Schule besucht, sollen mit der Kirchenbehörde vereinbart, dann aber unveränder¬
lich festgestellt werden. Diese letzten Bestimmungen erregten hauptsächlich den
Unwillen der Kurie. Bisher war der Religionsunterricht nicht nur in dem
Sinne der Hauptlehrgegenstand gewesen, daß der ganze Unterricht von einem
wahrhaft religiösen Geist geleitet und durchdrungen wurde, sondern der for¬
melle Religionsunterricht hatte, besonders auf dem Lande, die Thätigkeit der
Lehrer und Schüler zum größten Theile absorbirt. Zu jeder beliebigen Stunde
hatte der Geistliche seine Unterrichtsstunden abhalten und dadurch die andern
Lehrgegenstände nach Belieben verkürzen können. Das war namentlich auf
Kosten der Realien geschehen, gegen deren Betreibung in der Volksschule die
Geistlichen von jeher eine besondere Abneigung bewiesen hatten.

Der Wunsch, diesen Zustand fortdauern zu sehen, die Abneigung der
Pfarrer, mit schlichten Gemeindegliedern in einer und derselben Commission
— dem Ortsschulrath — sitzen und tagen zu sollen waren die Hauptursachen
der klerikalen Agitation, die sofort begann, kaum daß jene Thesen durch den
Druck den weitesten Kreisen zugänglich gemacht waren. Ihre schlimmen Fol¬
gen machten sich zunächst in dem Verhältnisse der Geistlichen zu den Lehrern,
in den Beziehungen der Schulvisitatoren zu der obersten Schulbehörde be-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0512" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/282753"/>
          <p xml:id="ID_1394" prev="#ID_1393"> Gelehrter, durch hervorragende Rednergabe als Abgeordneter, hochgeachteter Mann,<lb/>
bis dahin Professor in Freiburg, Karl Knies berufen, das Collegium ward<lb/>
aus je einem Geistlichen der beiden christlichen Konfessionen, einem Philologen,<lb/>
zwei Reallehrern und einem Volksschullehrer zusammengesetzt, zu denen noch ein<lb/>
juristisches und ein cameralistisches Mitglied kam.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1395"> Der Oberschulrath oder vielmehr sein Director begann seine Thätigkeit mit<lb/>
der Ausarbeitung von Thesen über eine Reform des Jolksschulwesens. die<lb/>
zunächst dem Minister des Innern vorgelegt, sodann von einer Versammlung<lb/>
von Vertrauensmännern aus dem Lehrerstande besprochen wurden und die<lb/>
Grundlage eines neuen Schulgesetzes werden sollten. Gegen sie erhob sich zuerst<lb/>
ein heftiger Widerspruch der ultramontanen Partei, dann des Klerus, endlich<lb/>
des Erzbischofs. Diese Thesen sind keineswegs radical. Im Gegentheil, die<lb/>
fortgeschrittenere Fraction der liberalen Partei erhebt fortwährend gegen sie den<lb/>
Vorwurf, daß sie auf halbem Wege stehen bleiben. Die Thesen kennen keine<lb/>
Communalschulen. sie halten in der Regel die scharfe Trennung der Schulen<lb/>
nach Confessionen aufrecht, nur da, wo in einer Gemeinde beide Bekenntnisse<lb/>
vertreten sind, ohne daß jedes eine so große Zahl erreichte, daß sich die Er¬<lb/>
richtung zweier Schulen als zweckdienlich erwiese, nur da sollen gemischte Schulen<lb/>
und auch da nicht ohne die Zustimmung von zwei Drittheilen der Schulgemeinde,<lb/>
errichtet werden. Der Religionsunterricht bleibt den Kirchen vollständig über¬<lb/>
lassen und auch die Lehrer sollen in Verhinderung des Geistlichen diesen Unter¬<lb/>
richt zu ertheilen ermächtigt sein; die Stunden in denen der Geistliche die<lb/>
Schule besucht, sollen mit der Kirchenbehörde vereinbart, dann aber unveränder¬<lb/>
lich festgestellt werden. Diese letzten Bestimmungen erregten hauptsächlich den<lb/>
Unwillen der Kurie. Bisher war der Religionsunterricht nicht nur in dem<lb/>
Sinne der Hauptlehrgegenstand gewesen, daß der ganze Unterricht von einem<lb/>
wahrhaft religiösen Geist geleitet und durchdrungen wurde, sondern der for¬<lb/>
melle Religionsunterricht hatte, besonders auf dem Lande, die Thätigkeit der<lb/>
Lehrer und Schüler zum größten Theile absorbirt. Zu jeder beliebigen Stunde<lb/>
hatte der Geistliche seine Unterrichtsstunden abhalten und dadurch die andern<lb/>
Lehrgegenstände nach Belieben verkürzen können. Das war namentlich auf<lb/>
Kosten der Realien geschehen, gegen deren Betreibung in der Volksschule die<lb/>
Geistlichen von jeher eine besondere Abneigung bewiesen hatten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1396" next="#ID_1397"> Der Wunsch, diesen Zustand fortdauern zu sehen, die Abneigung der<lb/>
Pfarrer, mit schlichten Gemeindegliedern in einer und derselben Commission<lb/>
&#x2014; dem Ortsschulrath &#x2014; sitzen und tagen zu sollen waren die Hauptursachen<lb/>
der klerikalen Agitation, die sofort begann, kaum daß jene Thesen durch den<lb/>
Druck den weitesten Kreisen zugänglich gemacht waren. Ihre schlimmen Fol¬<lb/>
gen machten sich zunächst in dem Verhältnisse der Geistlichen zu den Lehrern,<lb/>
in den Beziehungen der Schulvisitatoren zu der obersten Schulbehörde be-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0512] Gelehrter, durch hervorragende Rednergabe als Abgeordneter, hochgeachteter Mann, bis dahin Professor in Freiburg, Karl Knies berufen, das Collegium ward aus je einem Geistlichen der beiden christlichen Konfessionen, einem Philologen, zwei Reallehrern und einem Volksschullehrer zusammengesetzt, zu denen noch ein juristisches und ein cameralistisches Mitglied kam. Der Oberschulrath oder vielmehr sein Director begann seine Thätigkeit mit der Ausarbeitung von Thesen über eine Reform des Jolksschulwesens. die zunächst dem Minister des Innern vorgelegt, sodann von einer Versammlung von Vertrauensmännern aus dem Lehrerstande besprochen wurden und die Grundlage eines neuen Schulgesetzes werden sollten. Gegen sie erhob sich zuerst ein heftiger Widerspruch der ultramontanen Partei, dann des Klerus, endlich des Erzbischofs. Diese Thesen sind keineswegs radical. Im Gegentheil, die fortgeschrittenere Fraction der liberalen Partei erhebt fortwährend gegen sie den Vorwurf, daß sie auf halbem Wege stehen bleiben. Die Thesen kennen keine Communalschulen. sie halten in der Regel die scharfe Trennung der Schulen nach Confessionen aufrecht, nur da, wo in einer Gemeinde beide Bekenntnisse vertreten sind, ohne daß jedes eine so große Zahl erreichte, daß sich die Er¬ richtung zweier Schulen als zweckdienlich erwiese, nur da sollen gemischte Schulen und auch da nicht ohne die Zustimmung von zwei Drittheilen der Schulgemeinde, errichtet werden. Der Religionsunterricht bleibt den Kirchen vollständig über¬ lassen und auch die Lehrer sollen in Verhinderung des Geistlichen diesen Unter¬ richt zu ertheilen ermächtigt sein; die Stunden in denen der Geistliche die Schule besucht, sollen mit der Kirchenbehörde vereinbart, dann aber unveränder¬ lich festgestellt werden. Diese letzten Bestimmungen erregten hauptsächlich den Unwillen der Kurie. Bisher war der Religionsunterricht nicht nur in dem Sinne der Hauptlehrgegenstand gewesen, daß der ganze Unterricht von einem wahrhaft religiösen Geist geleitet und durchdrungen wurde, sondern der for¬ melle Religionsunterricht hatte, besonders auf dem Lande, die Thätigkeit der Lehrer und Schüler zum größten Theile absorbirt. Zu jeder beliebigen Stunde hatte der Geistliche seine Unterrichtsstunden abhalten und dadurch die andern Lehrgegenstände nach Belieben verkürzen können. Das war namentlich auf Kosten der Realien geschehen, gegen deren Betreibung in der Volksschule die Geistlichen von jeher eine besondere Abneigung bewiesen hatten. Der Wunsch, diesen Zustand fortdauern zu sehen, die Abneigung der Pfarrer, mit schlichten Gemeindegliedern in einer und derselben Commission — dem Ortsschulrath — sitzen und tagen zu sollen waren die Hauptursachen der klerikalen Agitation, die sofort begann, kaum daß jene Thesen durch den Druck den weitesten Kreisen zugänglich gemacht waren. Ihre schlimmen Fol¬ gen machten sich zunächst in dem Verhältnisse der Geistlichen zu den Lehrern, in den Beziehungen der Schulvisitatoren zu der obersten Schulbehörde be-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/512
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/512>, abgerufen am 23.07.2024.