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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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für Winckelmann war jetzt das Streben der Kunst auf Darstellung des Schön¬
heitsideals gerichtet; aber freilich faßte jedes Volk dieses höchste Ideal sein em
nationalen Charakter gemäß und in verschiedenen Zeiten seiner Entwicklung
verschieden auf. suchte jeder Künstler seine individuelle Auffassung der Idee zum
Auedruck zu dringen. Mochte auch das persönliche Verhältniß zwischen beiden
Männern hin und her schwanken; wie hoch Lessing Winckelmanns Verdienst
und Bedeutung anschlug, das zeigte er durch die schöne Aeußerung, da er die
Kunde vini dessen Ermordung vernommen: "das ist seit Kurzem der zweite
Schriftsteller -- Sterne war kurz zuvor gestorben -- dem ich mit Vergnügen
ein paar Jahre von meinem Leben geschenkt hätte."

Mächtiger noch als auf den schon gereiften und auf eigener Bahn einher-
wandelnden Lessing wirkte die Kunstgeschichte auf den damals zwanzigjährigen
Herder, der in den anonymen Fragmenten über die neuere deutsche Literatur
seiner Bewunderung in einem dithyrambischen Lobe Winckelmanns Ausdruck
lieh. "Ich führe es nicht an, wie er die besten Blüthen jeder antiken Schön¬
heit in seine Seele gesammelt, wie er hier unter Schriften, dort unter Denk¬
mälern sein Auge und seinen Geist gebildet, wie er seine Werke so wie Ra-
phael seine Gemälde mit Feuer entwarf und mit einem glücklichen Phlegma
vollendete, wie er eine systematische Geschichte unter Ruinen und Ueberbleibseln
liefern konnte; sondern ich muß mich hier blos auf die Schreibart einschränken
.....Einfältig im Vortrage, natürlich in der Ausführung und erhaben in
den Schilderungen sind die winckelmannschen Schriften Werke der Unsterblichkeit
würdig und der Name unsres Jahrhunderts." Die Geschichte der Kunst ist für
Herder das Muster jeglicher Geschichtsschreibung; "wo ist aber noch ein deutscher
Winckelmann, der uns den Tempel der griechischen Weisheit und Dichtkunst so
eröffne, als er den Künstlern das Geheimniß der Griechen von ferne gezeigt?"
-- Aber das Werk des Meisters verlangt nicht blos Lob und Preis, es erheischt
auch Nacheiferung; die nächsten Jahre Herders waren eifriger und eindringender
Forschung auf den Gebieten gewidmet, welche Winckelmann und Lessing eröffnet
halten. Die Fragen über Ursprung und Wesen, über Grenzen und Ziel der
Kunst und der Künste war auch er an seinem Theile zu erörtern und nach
Kräften zu lösen beflissen, und gar oft ereignete es sich dabei, daß er sich in
streitigen Punkten auf Seiten Winckelmanns gegen Lessing stellen mußte. Ein
Gegengewicht gegen Lessings Hervorhebung der Malerei und zugleich eine Folge
von Winckelmanns Werk, in welchem schon wegen der Natur des auf uns ge¬
langten Stoffes die Rücksicht auf die Sculptur überwiegt, zeigte sich darin,
daß Herder zu dem Entwurf einer Darstellung der Plastik schritt. Er suchte
die Unterschiede der beiden Schwesterkünste tiefer zu ergründen und die Be¬
deutung jener Unterschiede für die Wahl und Durchführung der Gegenstände
sowohl wie für die Auffassung und Beurtheilung von Seiten des Beschauers


für Winckelmann war jetzt das Streben der Kunst auf Darstellung des Schön¬
heitsideals gerichtet; aber freilich faßte jedes Volk dieses höchste Ideal sein em
nationalen Charakter gemäß und in verschiedenen Zeiten seiner Entwicklung
verschieden auf. suchte jeder Künstler seine individuelle Auffassung der Idee zum
Auedruck zu dringen. Mochte auch das persönliche Verhältniß zwischen beiden
Männern hin und her schwanken; wie hoch Lessing Winckelmanns Verdienst
und Bedeutung anschlug, das zeigte er durch die schöne Aeußerung, da er die
Kunde vini dessen Ermordung vernommen: „das ist seit Kurzem der zweite
Schriftsteller — Sterne war kurz zuvor gestorben — dem ich mit Vergnügen
ein paar Jahre von meinem Leben geschenkt hätte."

Mächtiger noch als auf den schon gereiften und auf eigener Bahn einher-
wandelnden Lessing wirkte die Kunstgeschichte auf den damals zwanzigjährigen
Herder, der in den anonymen Fragmenten über die neuere deutsche Literatur
seiner Bewunderung in einem dithyrambischen Lobe Winckelmanns Ausdruck
lieh. „Ich führe es nicht an, wie er die besten Blüthen jeder antiken Schön¬
heit in seine Seele gesammelt, wie er hier unter Schriften, dort unter Denk¬
mälern sein Auge und seinen Geist gebildet, wie er seine Werke so wie Ra-
phael seine Gemälde mit Feuer entwarf und mit einem glücklichen Phlegma
vollendete, wie er eine systematische Geschichte unter Ruinen und Ueberbleibseln
liefern konnte; sondern ich muß mich hier blos auf die Schreibart einschränken
.....Einfältig im Vortrage, natürlich in der Ausführung und erhaben in
den Schilderungen sind die winckelmannschen Schriften Werke der Unsterblichkeit
würdig und der Name unsres Jahrhunderts." Die Geschichte der Kunst ist für
Herder das Muster jeglicher Geschichtsschreibung; „wo ist aber noch ein deutscher
Winckelmann, der uns den Tempel der griechischen Weisheit und Dichtkunst so
eröffne, als er den Künstlern das Geheimniß der Griechen von ferne gezeigt?"
— Aber das Werk des Meisters verlangt nicht blos Lob und Preis, es erheischt
auch Nacheiferung; die nächsten Jahre Herders waren eifriger und eindringender
Forschung auf den Gebieten gewidmet, welche Winckelmann und Lessing eröffnet
halten. Die Fragen über Ursprung und Wesen, über Grenzen und Ziel der
Kunst und der Künste war auch er an seinem Theile zu erörtern und nach
Kräften zu lösen beflissen, und gar oft ereignete es sich dabei, daß er sich in
streitigen Punkten auf Seiten Winckelmanns gegen Lessing stellen mußte. Ein
Gegengewicht gegen Lessings Hervorhebung der Malerei und zugleich eine Folge
von Winckelmanns Werk, in welchem schon wegen der Natur des auf uns ge¬
langten Stoffes die Rücksicht auf die Sculptur überwiegt, zeigte sich darin,
daß Herder zu dem Entwurf einer Darstellung der Plastik schritt. Er suchte
die Unterschiede der beiden Schwesterkünste tiefer zu ergründen und die Be¬
deutung jener Unterschiede für die Wahl und Durchführung der Gegenstände
sowohl wie für die Auffassung und Beurtheilung von Seiten des Beschauers


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/50>, abgerufen am 26.08.2024.