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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Halts auf preußischen Universitäten nichts wahrzunehmen war, zum Ausdruck
gelangte. Daß er im Jahre 1848 einer mit dem lutherischen Landeskirchen-
und Oberbischofthum sehr wenig zusammenstimmenden Kirchenverfassungstheorie
huldigte, beweist eine damals von ihm herausgegebene Brochüre: "die deutsche
Kirchenfreiheit". In der baumgartenschen Sache sprach er sich, wie Krabbe
mitgetheilt hat. für die Unabweislichkeit des dem Consistorium ertheilten mini¬
steriellen Auftrages aus; auf eine Bestreitung der alleinigen krabbeschen Urheber¬
schaft des Consistorialerachtens scheint sein Ehrgeiz nicht gerichtet zu sein, er
hat diesem die Vertheidigung des Erachtens ebenso allein überlassen wie die
Abfassung. Sein gewandtes, diplomatisches Wesen, welches bei einem Aufent¬
halt in Rom die Abrundung erhalten zu haben scheint, bewahrt ihn sowohl
auf dem kirchlichen wie auf dem politischen Gebiete vor zu schroffem Auftreten,
ohne ihm in der guten Meinung der herrschenden Partei zu schaden. Von
Vereinen und Versammlungen in Angelegenheiten der äußeren und inneren
Mission hat er sich stets zurückgehalten. In seinen Vorträgen über Kirchenrecht
'se es den Zuhörern aufgefallen, wie ausführlich und eingehend er bei der
^mischen Kirchenverfassung verweilt und wie mäßig, ja jämmerlich neben deren
stolzem Bau die protestantische Kirchenverfassung erscheint, sodaß es lediglich an
den Zuhörern liegt, wenn sie nicht von Bewunderung gegen die erstere ergriffen
werden und die letztere geringschätzen lernen.

Institutionen und Geschichte des römischen Rechts werden von Hera.
Aug. Schwan ert vorgetragen, welcher, aus Prag berufen, im Jahre 1853
als Ersatzmann für Leist, der nach Jena abging, bei der Facultät eintrat. Er
liest außerdem Erbrecht und Obligationenrecht und veranstaltet seit einigen
fahren auch Civilpraktika. Die Vorlesungen über Pandekten scheint er an
Muth er abgetreten zu haben. Bei seinen Zuhörern gilt er als ein Mann
bon sehr bedeutender Gelehrsamkeit, der so ziemlich alle Ansichten über die juri¬
stischen Controversen kennt. Sein Wissen reicht nach vielen Seiten hin über das
juristische Gebiet hinaus. Die Collegia werden gut besucht, wobei freilich in
Anschlag kommt, daß er Mitglied der juristischen Prüfungscommisflon ist. Auf
literarischem Felde hat er mit seinem Hauptwert: "Die Naturalobligationen des
römischen Rechts" (Göttingen 1861) kein besonderes Glück gemacht. Ein Re¬
censent resumirt die darin ausgesprochene Ansicht dahin, daß die Naturalobli-
gation zwar ein Rechtsverhältniß unter den Parteien begründe und somit
"rechtliche Bedeutung", aber keine "rechtliche Wirkung" habe, und erklärt eine
Kritik dieser Ansicht für überflüssig. Die Anzeige schließt mit der Bemerkung:
"Der Versasser hätte besser gethan, uns die Quintessenz seines Buches auf
wenigen Seiten zu geben, anstatt uns schon anderweitig ganz bekannte Sachen und
unklare eigene Vorstellungen in der weitschweifigsten und durch ihre langathmigen
Sätze wahrhaft unverdaulichen Darstellung mit selbstgefälliger Breite aufzutischen."


Halts auf preußischen Universitäten nichts wahrzunehmen war, zum Ausdruck
gelangte. Daß er im Jahre 1848 einer mit dem lutherischen Landeskirchen-
und Oberbischofthum sehr wenig zusammenstimmenden Kirchenverfassungstheorie
huldigte, beweist eine damals von ihm herausgegebene Brochüre: „die deutsche
Kirchenfreiheit". In der baumgartenschen Sache sprach er sich, wie Krabbe
mitgetheilt hat. für die Unabweislichkeit des dem Consistorium ertheilten mini¬
steriellen Auftrages aus; auf eine Bestreitung der alleinigen krabbeschen Urheber¬
schaft des Consistorialerachtens scheint sein Ehrgeiz nicht gerichtet zu sein, er
hat diesem die Vertheidigung des Erachtens ebenso allein überlassen wie die
Abfassung. Sein gewandtes, diplomatisches Wesen, welches bei einem Aufent¬
halt in Rom die Abrundung erhalten zu haben scheint, bewahrt ihn sowohl
auf dem kirchlichen wie auf dem politischen Gebiete vor zu schroffem Auftreten,
ohne ihm in der guten Meinung der herrschenden Partei zu schaden. Von
Vereinen und Versammlungen in Angelegenheiten der äußeren und inneren
Mission hat er sich stets zurückgehalten. In seinen Vorträgen über Kirchenrecht
'se es den Zuhörern aufgefallen, wie ausführlich und eingehend er bei der
^mischen Kirchenverfassung verweilt und wie mäßig, ja jämmerlich neben deren
stolzem Bau die protestantische Kirchenverfassung erscheint, sodaß es lediglich an
den Zuhörern liegt, wenn sie nicht von Bewunderung gegen die erstere ergriffen
werden und die letztere geringschätzen lernen.

Institutionen und Geschichte des römischen Rechts werden von Hera.
Aug. Schwan ert vorgetragen, welcher, aus Prag berufen, im Jahre 1853
als Ersatzmann für Leist, der nach Jena abging, bei der Facultät eintrat. Er
liest außerdem Erbrecht und Obligationenrecht und veranstaltet seit einigen
fahren auch Civilpraktika. Die Vorlesungen über Pandekten scheint er an
Muth er abgetreten zu haben. Bei seinen Zuhörern gilt er als ein Mann
bon sehr bedeutender Gelehrsamkeit, der so ziemlich alle Ansichten über die juri¬
stischen Controversen kennt. Sein Wissen reicht nach vielen Seiten hin über das
juristische Gebiet hinaus. Die Collegia werden gut besucht, wobei freilich in
Anschlag kommt, daß er Mitglied der juristischen Prüfungscommisflon ist. Auf
literarischem Felde hat er mit seinem Hauptwert: „Die Naturalobligationen des
römischen Rechts" (Göttingen 1861) kein besonderes Glück gemacht. Ein Re¬
censent resumirt die darin ausgesprochene Ansicht dahin, daß die Naturalobli-
gation zwar ein Rechtsverhältniß unter den Parteien begründe und somit
»rechtliche Bedeutung", aber keine „rechtliche Wirkung" habe, und erklärt eine
Kritik dieser Ansicht für überflüssig. Die Anzeige schließt mit der Bemerkung:
"Der Versasser hätte besser gethan, uns die Quintessenz seines Buches auf
wenigen Seiten zu geben, anstatt uns schon anderweitig ganz bekannte Sachen und
unklare eigene Vorstellungen in der weitschweifigsten und durch ihre langathmigen
Sätze wahrhaft unverdaulichen Darstellung mit selbstgefälliger Breite aufzutischen."


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[0483] Halts auf preußischen Universitäten nichts wahrzunehmen war, zum Ausdruck gelangte. Daß er im Jahre 1848 einer mit dem lutherischen Landeskirchen- und Oberbischofthum sehr wenig zusammenstimmenden Kirchenverfassungstheorie huldigte, beweist eine damals von ihm herausgegebene Brochüre: „die deutsche Kirchenfreiheit". In der baumgartenschen Sache sprach er sich, wie Krabbe mitgetheilt hat. für die Unabweislichkeit des dem Consistorium ertheilten mini¬ steriellen Auftrages aus; auf eine Bestreitung der alleinigen krabbeschen Urheber¬ schaft des Consistorialerachtens scheint sein Ehrgeiz nicht gerichtet zu sein, er hat diesem die Vertheidigung des Erachtens ebenso allein überlassen wie die Abfassung. Sein gewandtes, diplomatisches Wesen, welches bei einem Aufent¬ halt in Rom die Abrundung erhalten zu haben scheint, bewahrt ihn sowohl auf dem kirchlichen wie auf dem politischen Gebiete vor zu schroffem Auftreten, ohne ihm in der guten Meinung der herrschenden Partei zu schaden. Von Vereinen und Versammlungen in Angelegenheiten der äußeren und inneren Mission hat er sich stets zurückgehalten. In seinen Vorträgen über Kirchenrecht 'se es den Zuhörern aufgefallen, wie ausführlich und eingehend er bei der ^mischen Kirchenverfassung verweilt und wie mäßig, ja jämmerlich neben deren stolzem Bau die protestantische Kirchenverfassung erscheint, sodaß es lediglich an den Zuhörern liegt, wenn sie nicht von Bewunderung gegen die erstere ergriffen werden und die letztere geringschätzen lernen. Institutionen und Geschichte des römischen Rechts werden von Hera. Aug. Schwan ert vorgetragen, welcher, aus Prag berufen, im Jahre 1853 als Ersatzmann für Leist, der nach Jena abging, bei der Facultät eintrat. Er liest außerdem Erbrecht und Obligationenrecht und veranstaltet seit einigen fahren auch Civilpraktika. Die Vorlesungen über Pandekten scheint er an Muth er abgetreten zu haben. Bei seinen Zuhörern gilt er als ein Mann bon sehr bedeutender Gelehrsamkeit, der so ziemlich alle Ansichten über die juri¬ stischen Controversen kennt. Sein Wissen reicht nach vielen Seiten hin über das juristische Gebiet hinaus. Die Collegia werden gut besucht, wobei freilich in Anschlag kommt, daß er Mitglied der juristischen Prüfungscommisflon ist. Auf literarischem Felde hat er mit seinem Hauptwert: „Die Naturalobligationen des römischen Rechts" (Göttingen 1861) kein besonderes Glück gemacht. Ein Re¬ censent resumirt die darin ausgesprochene Ansicht dahin, daß die Naturalobli- gation zwar ein Rechtsverhältniß unter den Parteien begründe und somit »rechtliche Bedeutung", aber keine „rechtliche Wirkung" habe, und erklärt eine Kritik dieser Ansicht für überflüssig. Die Anzeige schließt mit der Bemerkung: "Der Versasser hätte besser gethan, uns die Quintessenz seines Buches auf wenigen Seiten zu geben, anstatt uns schon anderweitig ganz bekannte Sachen und unklare eigene Vorstellungen in der weitschweifigsten und durch ihre langathmigen Sätze wahrhaft unverdaulichen Darstellung mit selbstgefälliger Breite aufzutischen."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/483>, abgerufen am 23.07.2024.