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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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hatte. Auch in Mecklenburg war er bis zum Jahre 1850 keineswegs ein Mann
der stricten Orthodoxie und des absolutistischen Staatskirchenregiments. Auf
der schweriner Kirchenconferenz im September 1849, wo unter Leitung Klie-
foths über die Stellung der Kirche zu dem in der Bildung begriffenen con-
stitutionellen Staat und die aus der politischen Reform für die Verfassung der
Kirche sich ergebenden Folgen verhandelt wurde, begrüßte er als Berichterstatter
den Augenblick mit der "innigsten Freude", wo die "Trennung der Kirche vom
Staate zu einer selbständigen Organisation und Befreiung derselben von der
territorialistischen Bevormundung, welche in der mecklenburgischen Landeskirche
zur vollständigsten Durchführung gekommen", nothwendig geworden sei, und es
wurde von ihm wie von seinem Freunde und Mitberichterstatter, dem damaligen
Oberappellationsrath, jetzigen Minister v. Schröter, die Organisation der
Gemeinden als nächste Aufgabe und als die unerläßliche Grundlage für den
Neubau der Kirchenverfassung bezeichnet. Im Jahre 1848 fand man Krah bes
Namen sowohl unter der Petition der Universität für Verfassungsreform und
Preßfreiheit, als auch unter der von Sternberg aus ergangenen Adresse einer
constitutionellen Partei. Aber schon im Jahre der siegreichen Reaction 1850 ge¬
hörte dieser Standpunkt für ihn zu den überwundenen und von der Herbei¬
führung einer kirchlichen Gemeindeverfassung war so wenig die Rede mehr wie
von einem Streben nach constitutioneller Landesverfassung, und sieben Jahre
später hält er über einen Collegen ein Ketzergericht, welches zu dem Schlüsse
gelangt, daß dieser ein gewissenloser und eidbrüchiger Mann, ein fundamen¬
taler Ketzer auf kirchlichem und ein arger Revolutionär auf politischem Ge¬
biet sei. Inzwischen waren freilich auch sah röter und Kliefoth in der¬
selben Richtung fortgeschritten und an dem gleichen Ziele angelangt. Seit diesem
Acte scheint er, durch das allgemeine Verwerfungsurtheil gereizt und auf die
schweriner Kirchen- und Staatssäulen gestützt, sich immer weiter in diesem todten
und fanatischen Wesen festgesponnen zu haben. Ein an ihn gerichtetes Privat¬
schreiben eines alten frommen und würdigen Geistlichen, welcher sich in seinem
Gewissen gedrungen gefunden hatte, mit Bezug auf die baumgartensche Sache
eine brüderliche Ermahnung zur Umkehr an ihn zu richten, überwies er dem
Konsistorium, welches infolge dessen den Pastor vor seine Schranken forderte
und mit einem Verweise strafte; eine von 600 Rostockern unterzeichnete Adresse,
in welcher er um Zurücknahme der gegen Baumgarten gerichteten Beschuldigun¬
gen gebeten wurde, schickte er an das großherzogliche Ministerium ein, welches
davon Anlaß nahm, eine Criminaluntersuchung gegen die Unterzeichner anzu¬
ordnen, die freilich in diesem Falle mit einer Freisprechung endigte. Krabbe
ist eine Natur von wenig Selbständigkeit, die stets das Bedürfniß nach Anleh¬
nung an festere und mächtigere Charaktere hat. Das Formelwesen, in welches
er hineingerathen ist, ist etwas von außen an ihn Herangekommenes, mehr in


hatte. Auch in Mecklenburg war er bis zum Jahre 1850 keineswegs ein Mann
der stricten Orthodoxie und des absolutistischen Staatskirchenregiments. Auf
der schweriner Kirchenconferenz im September 1849, wo unter Leitung Klie-
foths über die Stellung der Kirche zu dem in der Bildung begriffenen con-
stitutionellen Staat und die aus der politischen Reform für die Verfassung der
Kirche sich ergebenden Folgen verhandelt wurde, begrüßte er als Berichterstatter
den Augenblick mit der „innigsten Freude", wo die „Trennung der Kirche vom
Staate zu einer selbständigen Organisation und Befreiung derselben von der
territorialistischen Bevormundung, welche in der mecklenburgischen Landeskirche
zur vollständigsten Durchführung gekommen", nothwendig geworden sei, und es
wurde von ihm wie von seinem Freunde und Mitberichterstatter, dem damaligen
Oberappellationsrath, jetzigen Minister v. Schröter, die Organisation der
Gemeinden als nächste Aufgabe und als die unerläßliche Grundlage für den
Neubau der Kirchenverfassung bezeichnet. Im Jahre 1848 fand man Krah bes
Namen sowohl unter der Petition der Universität für Verfassungsreform und
Preßfreiheit, als auch unter der von Sternberg aus ergangenen Adresse einer
constitutionellen Partei. Aber schon im Jahre der siegreichen Reaction 1850 ge¬
hörte dieser Standpunkt für ihn zu den überwundenen und von der Herbei¬
führung einer kirchlichen Gemeindeverfassung war so wenig die Rede mehr wie
von einem Streben nach constitutioneller Landesverfassung, und sieben Jahre
später hält er über einen Collegen ein Ketzergericht, welches zu dem Schlüsse
gelangt, daß dieser ein gewissenloser und eidbrüchiger Mann, ein fundamen¬
taler Ketzer auf kirchlichem und ein arger Revolutionär auf politischem Ge¬
biet sei. Inzwischen waren freilich auch sah röter und Kliefoth in der¬
selben Richtung fortgeschritten und an dem gleichen Ziele angelangt. Seit diesem
Acte scheint er, durch das allgemeine Verwerfungsurtheil gereizt und auf die
schweriner Kirchen- und Staatssäulen gestützt, sich immer weiter in diesem todten
und fanatischen Wesen festgesponnen zu haben. Ein an ihn gerichtetes Privat¬
schreiben eines alten frommen und würdigen Geistlichen, welcher sich in seinem
Gewissen gedrungen gefunden hatte, mit Bezug auf die baumgartensche Sache
eine brüderliche Ermahnung zur Umkehr an ihn zu richten, überwies er dem
Konsistorium, welches infolge dessen den Pastor vor seine Schranken forderte
und mit einem Verweise strafte; eine von 600 Rostockern unterzeichnete Adresse,
in welcher er um Zurücknahme der gegen Baumgarten gerichteten Beschuldigun¬
gen gebeten wurde, schickte er an das großherzogliche Ministerium ein, welches
davon Anlaß nahm, eine Criminaluntersuchung gegen die Unterzeichner anzu¬
ordnen, die freilich in diesem Falle mit einer Freisprechung endigte. Krabbe
ist eine Natur von wenig Selbständigkeit, die stets das Bedürfniß nach Anleh¬
nung an festere und mächtigere Charaktere hat. Das Formelwesen, in welches
er hineingerathen ist, ist etwas von außen an ihn Herangekommenes, mehr in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/478>, abgerufen am 23.07.2024.