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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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dadurch bedingte Schadensinteresse betonten nur, daß jene zwei Seiten existirten.
Bei dem in Italien dann in Frankreich, schließlich auch in Deutschland ge¬
waltig emporsteigenden Wechselverkehr, wo der Cursunterschied der gegen ein¬
ander gewechselten Geldsorten in jedem Wechsel, also millionenfach der kirchlich
theoretischen und weltlich praktischen Geldtaxe entgegentrat, verwies man auf
die Arbeit des Wechslers beim Bereithalten und Hingeben der verschiedenen
Gelder, auf sein Risiko bei Transport des Geldes und machte eben deshalb
unter Verwerfung der trocknen Wechsel jene zwei Momente zum Bedingniß der
Tratten und des Wechselgewinnes daraus. Man täuschte damit sich selbst kaum,
den Verkehr gar nicht; und daß man letzteren nur ein Jahrhundert lang zwang,
sich in trocknen oder in gezogenen Scheinwechseln heimlich oder offen dem ka-
nonistischen Principe entgegenzustellen, ist neuerdings für die romanischen Wech¬
selgebiete und selbst für Deutschland aus Quellen erwiesen worden.

Hieraus geht aber, was sehr wesentlich, soviel hervor, daß die Scholastiker-
allgemein entfernt waren, das Geld nur zum Kaufe geeignet anzusehen, es in
sich für unfruchtbar zu erklären. Eine einzige Stelle im Corpus des kanonischen
Rechtes weist zwar hierauf mit bestimmten Sätzen hin (e. 11 §.4. aise,. 88).
Aber diese Stelle hat eben das Geld als General-Tausch Mittel besonders im
Auge und findet deshalb so durchgreifende Unterschiede zwischen ihm und den
Verkehrsgegenstäuden, die natürliche oder civile Früchte hervorbringen (Acker
und Haus). Daß sie nicht von dem Wesen des Geldes selbst erschöpfend reden
Will, erweist die in ihr ausgedrückte einseitige Veranlassung der Unterscheidung,
serner die Absicht der ganzen Stelle, das wucherische Treiben der Kaufleute zu
beurtheilen. Und dies ist auch der Zielpunkt, gegen den sich der Angriff der
Kanonisten richtet. Sie wollen zur Verwirklichung christlicher Selbstlosigkeit
jeden Wucher, jede Vergütung für den Gebrauch fremden Capitales mit sitt¬
licher Rüge und rechtlichem Zwange beseitigen, unterdrücken, unmöglich machen.
Daher lassen sie das Gesetz vor allem befehlen: das Darlehn, das wunderliche
Hauptgeschäft, soll zinslos, unfruchtbar sein. Erst um diesen unorganisch aus
einseitiger Sittenlehre in den Verkehr geschleuderten Satz, der nur aus dieser
Sittenlehre her verstanden und begründet werden kann, auch wirthschaftlich schein.
zu begründen, greift in der erwähnten einzigen Stelle Chrysostomus --
"iso zu einer Zeit (i. I. 370), da man noch nicht kanonistisch-nationalökono-
'"'sche Systeme aufführte -- zu Aristoteles zurück und sagt in tanonistischem
leiste: das Geld sei nur zum Kaufe und habe keinen Gebrauchswerth. Dies
^ der geschichtliche Gang: erst sittliche Wucherrüge, dann rechtliches Wunder-
t^bot, zuletzt dessen Begründung aus dem Wesen des Geldes und andern
Momenten. Die Nächstenliebe ist Ausgangspunkt und Begründung des Wu-


Grenzbotm I. 186S. os

dadurch bedingte Schadensinteresse betonten nur, daß jene zwei Seiten existirten.
Bei dem in Italien dann in Frankreich, schließlich auch in Deutschland ge¬
waltig emporsteigenden Wechselverkehr, wo der Cursunterschied der gegen ein¬
ander gewechselten Geldsorten in jedem Wechsel, also millionenfach der kirchlich
theoretischen und weltlich praktischen Geldtaxe entgegentrat, verwies man auf
die Arbeit des Wechslers beim Bereithalten und Hingeben der verschiedenen
Gelder, auf sein Risiko bei Transport des Geldes und machte eben deshalb
unter Verwerfung der trocknen Wechsel jene zwei Momente zum Bedingniß der
Tratten und des Wechselgewinnes daraus. Man täuschte damit sich selbst kaum,
den Verkehr gar nicht; und daß man letzteren nur ein Jahrhundert lang zwang,
sich in trocknen oder in gezogenen Scheinwechseln heimlich oder offen dem ka-
nonistischen Principe entgegenzustellen, ist neuerdings für die romanischen Wech¬
selgebiete und selbst für Deutschland aus Quellen erwiesen worden.

Hieraus geht aber, was sehr wesentlich, soviel hervor, daß die Scholastiker-
allgemein entfernt waren, das Geld nur zum Kaufe geeignet anzusehen, es in
sich für unfruchtbar zu erklären. Eine einzige Stelle im Corpus des kanonischen
Rechtes weist zwar hierauf mit bestimmten Sätzen hin (e. 11 §.4. aise,. 88).
Aber diese Stelle hat eben das Geld als General-Tausch Mittel besonders im
Auge und findet deshalb so durchgreifende Unterschiede zwischen ihm und den
Verkehrsgegenstäuden, die natürliche oder civile Früchte hervorbringen (Acker
und Haus). Daß sie nicht von dem Wesen des Geldes selbst erschöpfend reden
Will, erweist die in ihr ausgedrückte einseitige Veranlassung der Unterscheidung,
serner die Absicht der ganzen Stelle, das wucherische Treiben der Kaufleute zu
beurtheilen. Und dies ist auch der Zielpunkt, gegen den sich der Angriff der
Kanonisten richtet. Sie wollen zur Verwirklichung christlicher Selbstlosigkeit
jeden Wucher, jede Vergütung für den Gebrauch fremden Capitales mit sitt¬
licher Rüge und rechtlichem Zwange beseitigen, unterdrücken, unmöglich machen.
Daher lassen sie das Gesetz vor allem befehlen: das Darlehn, das wunderliche
Hauptgeschäft, soll zinslos, unfruchtbar sein. Erst um diesen unorganisch aus
einseitiger Sittenlehre in den Verkehr geschleuderten Satz, der nur aus dieser
Sittenlehre her verstanden und begründet werden kann, auch wirthschaftlich schein.
zu begründen, greift in der erwähnten einzigen Stelle Chrysostomus —
"iso zu einer Zeit (i. I. 370), da man noch nicht kanonistisch-nationalökono-
'"'sche Systeme aufführte — zu Aristoteles zurück und sagt in tanonistischem
leiste: das Geld sei nur zum Kaufe und habe keinen Gebrauchswerth. Dies
^ der geschichtliche Gang: erst sittliche Wucherrüge, dann rechtliches Wunder-
t^bot, zuletzt dessen Begründung aus dem Wesen des Geldes und andern
Momenten. Die Nächstenliebe ist Ausgangspunkt und Begründung des Wu-


Grenzbotm I. 186S. os
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/459>, abgerufen am 23.07.2024.