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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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um jeden Preis!" Sie stellt, wie dem Patrioten geziemt, die Pflicht gegen
Deutschland höher als die Rücksicht auf das deutsche Privatfürstenrecht, sie be¬
handelt die Einsetzung des Herzogs Friedrich als eine offene Frage. Das sind
gute Zeichen, hocherfreuliche Thatsachen.

Statt auf die Zustände der Herzogthümer einzugehen, klammert sich Herr
Biedermann an zwei Stellen meiner Schrift. Manche ehrenwerthe Männer
meinen, das positive Recht allein müsse in Schleswig-Holstein entscheiden.
Diesen habe ich die Behauptung entgegengestellt, daß die Frage der Herzog¬
thümer nicht nur eine Rechtsfrage ist und daß auch die sogenannt" bundes¬
staatliche Unterordnung mit dem positiven Rechte nicht im Einklange steht. Ein
Herzog, der die Militärhoheit, die Vertretung des Staates nach Außen und
andre Hoheitsrechte an einen andern Fürsten abgetreten hat. befindet sich un¬
zweifelhaft nicht mehr im Genusse der bundesrechtlich vorgeschriebenen Souve-
ränetät. An dieser Thatsache wird durch sittliche Entrüstung nichts geändert.

Alsdann hebt Herr Biedermann einen andren Satz aus meinem Schrift¬
chen heraus und verwickelt denselben mit verschiedenen Bruchstücken aus meinen
"historischen und politischen Aufsätzen" zu einem Knäuel von Behauptungen.
Ich ziehe vor, diesen Knoten, der nicht von mir geschürzt ward, zu durchhauen
statt ihn zu entwirren. Schon mancher einsichtige Freund hat mir vorgeworfen,
daß ich meine Ansichten über die nationale Politik allzu offen ausspreche. Herr
Biedermann dagegen findet meine Meinung undeutlich. Ich erlaube mir, ihm
mit wenigen Worten reinen Wein einzuschenken. Den wichtigsten praktischen
Fortschritt, welchen Deutschlands Einheit in den jüngsten zwei Jahrhunderten
gemacht hat, erblicke ich darin, daß Preußen zu einer Großmacht herangewachsen
ist und verlebte Kleinstaaten beharrlich seinem kräftigen Körper angegliedert hat.
Dieses Staates Macht zu wahren und zu mehren halte ich für die erste Pflicht
des deutschen Patrioten. Trachtet Preußen, wie im gegenwärtigen Augenblicke,
mit einiger Aussicht auf Erfolg nach der Erweiterung seiner Grenzen, so sind
wir alle verpflichtet, dies preiswürdige Unternehmen zu unterstützen. Einen
solchen Gewinn zu mißachten in der Hoffnung auf einen irgendeinmal und
irgendwie eintretenden deutschen Bundesstaat scheint mir verkehrt. Ich habe in
dem von Herrn Biedermann citirten Buche versucht, die ungeheuren Schwierig¬
keiten darzulegen, welche sich einem Bundesstaate monarchischer Staaten von
sehr ungleicher Macht entgegenstellen. Ich kam dabei -- auf die Gefahr hin,
die Lieblingsvorstellungen vieler deutscher Gelehrten zu zerstören -- zu dem Er¬
gebniß, daß die Geschichte Deutschlands der Entwicklung Italiens näher M)t
als den Zuständen Nordamerikas und der Schweiz. Aber ich weiß, daß viele
Wege nach Rom führen; ich weiß, daß nicht die Logik das höchste Gesetz im
Leben der Völker bildet. Ich bin der doctrinäre Thor nicht, heute schon ein
detaillirtes Programm für eine Frage aufzustellen, welche vielleicht erst in einem


um jeden Preis!" Sie stellt, wie dem Patrioten geziemt, die Pflicht gegen
Deutschland höher als die Rücksicht auf das deutsche Privatfürstenrecht, sie be¬
handelt die Einsetzung des Herzogs Friedrich als eine offene Frage. Das sind
gute Zeichen, hocherfreuliche Thatsachen.

Statt auf die Zustände der Herzogthümer einzugehen, klammert sich Herr
Biedermann an zwei Stellen meiner Schrift. Manche ehrenwerthe Männer
meinen, das positive Recht allein müsse in Schleswig-Holstein entscheiden.
Diesen habe ich die Behauptung entgegengestellt, daß die Frage der Herzog¬
thümer nicht nur eine Rechtsfrage ist und daß auch die sogenannt« bundes¬
staatliche Unterordnung mit dem positiven Rechte nicht im Einklange steht. Ein
Herzog, der die Militärhoheit, die Vertretung des Staates nach Außen und
andre Hoheitsrechte an einen andern Fürsten abgetreten hat. befindet sich un¬
zweifelhaft nicht mehr im Genusse der bundesrechtlich vorgeschriebenen Souve-
ränetät. An dieser Thatsache wird durch sittliche Entrüstung nichts geändert.

Alsdann hebt Herr Biedermann einen andren Satz aus meinem Schrift¬
chen heraus und verwickelt denselben mit verschiedenen Bruchstücken aus meinen
„historischen und politischen Aufsätzen" zu einem Knäuel von Behauptungen.
Ich ziehe vor, diesen Knoten, der nicht von mir geschürzt ward, zu durchhauen
statt ihn zu entwirren. Schon mancher einsichtige Freund hat mir vorgeworfen,
daß ich meine Ansichten über die nationale Politik allzu offen ausspreche. Herr
Biedermann dagegen findet meine Meinung undeutlich. Ich erlaube mir, ihm
mit wenigen Worten reinen Wein einzuschenken. Den wichtigsten praktischen
Fortschritt, welchen Deutschlands Einheit in den jüngsten zwei Jahrhunderten
gemacht hat, erblicke ich darin, daß Preußen zu einer Großmacht herangewachsen
ist und verlebte Kleinstaaten beharrlich seinem kräftigen Körper angegliedert hat.
Dieses Staates Macht zu wahren und zu mehren halte ich für die erste Pflicht
des deutschen Patrioten. Trachtet Preußen, wie im gegenwärtigen Augenblicke,
mit einiger Aussicht auf Erfolg nach der Erweiterung seiner Grenzen, so sind
wir alle verpflichtet, dies preiswürdige Unternehmen zu unterstützen. Einen
solchen Gewinn zu mißachten in der Hoffnung auf einen irgendeinmal und
irgendwie eintretenden deutschen Bundesstaat scheint mir verkehrt. Ich habe in
dem von Herrn Biedermann citirten Buche versucht, die ungeheuren Schwierig¬
keiten darzulegen, welche sich einem Bundesstaate monarchischer Staaten von
sehr ungleicher Macht entgegenstellen. Ich kam dabei — auf die Gefahr hin,
die Lieblingsvorstellungen vieler deutscher Gelehrten zu zerstören — zu dem Er¬
gebniß, daß die Geschichte Deutschlands der Entwicklung Italiens näher M)t
als den Zuständen Nordamerikas und der Schweiz. Aber ich weiß, daß viele
Wege nach Rom führen; ich weiß, daß nicht die Logik das höchste Gesetz im
Leben der Völker bildet. Ich bin der doctrinäre Thor nicht, heute schon ein
detaillirtes Programm für eine Frage aufzustellen, welche vielleicht erst in einem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/420>, abgerufen am 23.07.2024.