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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Budgets gewidmet ist. keine ernsten Conflicte in ihrem Schoße birgt, läßt sich
jetzt schon voraussehen. Es herrscht ein ziemlich verträgliches Verhältniß zwischen
der Negierung und der Kammer. Gleich zur Eröffnung der Session hatte die
Regierung dem Land eine Ueberraschung bereitet, indem sie am Vorabend die
Ordonnanzen des Bundestags aus dem Jahre 1834, betreffend die Presse und
das Vereinswesen, aufhob, eine Maßregel, die guten Eindruck machte, obwohl
damit zunächst nur wieder die Gesetzgebung von 1817 in Kraft trat. Ihren
guten Willen, ihre constitutionelle Gesinnung hat die Regierung wiederholt
versichert. Ein anderes ist freilich, ob sie sich bald dazu entschließen wird, den
Wünschen nach umfassenden Reformen, wie sie'in der Adresse der 2. Kammer
ihren Ausdruck gefunden haben, zu willfahren. Diese Reformen sind haupt¬
sächlich dreierlei Art, einmal eine Reform der Landesverfassung, wobei es vor¬
nehmlich aus die Beseitigung der Privilegirten (Ritter und Prälaten) aus der
zweiten Kammer, sowie aus die Aufhebung des Geheimenraths abgesehen ist;
sodann eine Reform der Justizgesetzgebung im Sinne der Durchführung des
öffentlichen und mündlichen Verfahrens, wofür längst die nöthigen Vorarbeiten
vorhanden sind, endlich eine durchgreifende Vereinfachung des Verwaltungs¬
organismus.

Was die Verfassungsabänderungen betrifft, so wird man eine Vorlage der
Negierung in dieser Session schwerlich erwarten dürfen. Sodann darf die
Reform der Justizgesetzgebung so lange als vertagt gelten, als Herr von Neurath
an der Spitze des Justizdepartements steht. Als Vorstand des Geheimrathes
war eben er es gewesen, der das vom vorigen Ministerium eingeleitete Neor-
ganisationswerk hintertrieb und die von unsern ausgezeichnetsten Juristen aus¬
gearbeiteten Entwürfe einer Strafproceßordnung und einer neuen Gerichtsor¬
ganisation zurückhielt. Dagegen hat sich die Kammer bereits mit solchem Nach¬
druck für Reformen in der Administration ausgesprochen, daß das Ministerium
sich wenigstens vorläufig zu bestimmten Versprechungen genöthigt sah. Die
Veranlassung dazu gab das von der Regierung eingebrachte Gesetz über Er¬
höhung der Besoldungen und Pensionen der Staatsdiener. Die Linke wollte
die Zustimmung zu diesem Gesetz solange verweigern, bis die Regierung einen
Organisationsplan vorgelegt habe. Sie ging dabei von dem unstreitig richtigen
constitutionellen Grundsatz aus, daß eine Volksvertretung nur durch Zurück¬
haltung der Mittel der Regierung Zugeständnisse abnöthigen könne. Auch war
ein gewisser Zusammenhang beider Fragen insofern vorhanden, als man hoffen
konnte, durch Vereinfachung des Va'rwaltungsapparates auch eine Verminderung
der Beamtenzahl zu erzielen. Praktisch stellte sich freilich dem theoretischen
Grundsatz die Erwägung entgegen, daß bei den gegebenen Verhältnissen die
Erhöhung der Besoldungen auf alle Fälle dringlich war und im Interesse der
Billigkeit keinen Aufschub duldete. Es zeigte deshalb wenig politischen Takt,


Budgets gewidmet ist. keine ernsten Conflicte in ihrem Schoße birgt, läßt sich
jetzt schon voraussehen. Es herrscht ein ziemlich verträgliches Verhältniß zwischen
der Negierung und der Kammer. Gleich zur Eröffnung der Session hatte die
Regierung dem Land eine Ueberraschung bereitet, indem sie am Vorabend die
Ordonnanzen des Bundestags aus dem Jahre 1834, betreffend die Presse und
das Vereinswesen, aufhob, eine Maßregel, die guten Eindruck machte, obwohl
damit zunächst nur wieder die Gesetzgebung von 1817 in Kraft trat. Ihren
guten Willen, ihre constitutionelle Gesinnung hat die Regierung wiederholt
versichert. Ein anderes ist freilich, ob sie sich bald dazu entschließen wird, den
Wünschen nach umfassenden Reformen, wie sie'in der Adresse der 2. Kammer
ihren Ausdruck gefunden haben, zu willfahren. Diese Reformen sind haupt¬
sächlich dreierlei Art, einmal eine Reform der Landesverfassung, wobei es vor¬
nehmlich aus die Beseitigung der Privilegirten (Ritter und Prälaten) aus der
zweiten Kammer, sowie aus die Aufhebung des Geheimenraths abgesehen ist;
sodann eine Reform der Justizgesetzgebung im Sinne der Durchführung des
öffentlichen und mündlichen Verfahrens, wofür längst die nöthigen Vorarbeiten
vorhanden sind, endlich eine durchgreifende Vereinfachung des Verwaltungs¬
organismus.

Was die Verfassungsabänderungen betrifft, so wird man eine Vorlage der
Negierung in dieser Session schwerlich erwarten dürfen. Sodann darf die
Reform der Justizgesetzgebung so lange als vertagt gelten, als Herr von Neurath
an der Spitze des Justizdepartements steht. Als Vorstand des Geheimrathes
war eben er es gewesen, der das vom vorigen Ministerium eingeleitete Neor-
ganisationswerk hintertrieb und die von unsern ausgezeichnetsten Juristen aus¬
gearbeiteten Entwürfe einer Strafproceßordnung und einer neuen Gerichtsor¬
ganisation zurückhielt. Dagegen hat sich die Kammer bereits mit solchem Nach¬
druck für Reformen in der Administration ausgesprochen, daß das Ministerium
sich wenigstens vorläufig zu bestimmten Versprechungen genöthigt sah. Die
Veranlassung dazu gab das von der Regierung eingebrachte Gesetz über Er¬
höhung der Besoldungen und Pensionen der Staatsdiener. Die Linke wollte
die Zustimmung zu diesem Gesetz solange verweigern, bis die Regierung einen
Organisationsplan vorgelegt habe. Sie ging dabei von dem unstreitig richtigen
constitutionellen Grundsatz aus, daß eine Volksvertretung nur durch Zurück¬
haltung der Mittel der Regierung Zugeständnisse abnöthigen könne. Auch war
ein gewisser Zusammenhang beider Fragen insofern vorhanden, als man hoffen
konnte, durch Vereinfachung des Va'rwaltungsapparates auch eine Verminderung
der Beamtenzahl zu erzielen. Praktisch stellte sich freilich dem theoretischen
Grundsatz die Erwägung entgegen, daß bei den gegebenen Verhältnissen die
Erhöhung der Besoldungen auf alle Fälle dringlich war und im Interesse der
Billigkeit keinen Aufschub duldete. Es zeigte deshalb wenig politischen Takt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/414>, abgerufen am 23.07.2024.