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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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sie so angelegentlich wiederholt wurden, einigermaßen verdächtig scheinen; allein
unter den gegenwärtigen Umständen war doch ihre Aufrichtigkeit kaum anzu¬
zweifeln, sie drückten nur die Wirklichkeit der Lage aus, und der Minister war
klug genug, aus der Noth eine Tugend zu machen.

Allein wie jede Tugend, welche bis zum Exceß getrieben wird, hat auch
solche Bescheidenheit ihre bedenkliche Seite. Derselbe Minister sprach das un¬
zweifelhaft wichtige Wort aus. daß Würtemberg keine Insel sei, und doch ist
sein würtembergischer Staatsbegriff ganz geeignet, ja er scheint beinahe die Ab¬
sicht zusahen, für eine insulare Auffassung des würtembergischen Staatslebens
Propaganda zu machen. Ist dies wirklich seine Absicht, so kommt ihm dabei
die allgemeine politische Abspannung und Ernüchterung trefflich zu statten.
Zeigen sich Negierung und Kammer bei dem Gang der Schleswig-holsteinischen
Angelegenheit resignirt, so ist dies nur der Reflex der allgemeinen Stimmung,
welche sich, nachdem die auflnausende Begeisterung des vorigen Jahres ver¬
flogen ist, der Bevölkerung bemächtigt hat. Daß es so kam, war unvermeid¬
lich, und es ist gut so. Mag man es immerhin bedauern, daß so viel löblicher
Eifer, so viel edler Enthusiasmus ohne Resultate aufgebraucht worden ist. mag
man es doppelt bedauern, daß gerade an der Herzvgthümerfrage die bittere Er¬
fahrung gemacht werden mußte, so ist doch das vergangene Jahr eine unschätz¬
bare Lehre für unsre politische Arbeit gewesen. Es hat den zweifelhaften Werth
einer nationalen Agitation gezeigt, hinter welcher nicht die Macht eines organi-
sirten Staates steht, den Werth von Bereinen und Bolksversammlungen, welchen
keine andern Executivorgane zu Gebote stehen, als die Regierungen von ein
paar Dutzend uneinigen Duodezstaaten. Es hat gezeigt, daß auch die laut und
nachdrücklich manifestirte Gesinnung einer staatlosen zersplitterten Gruppe kein
wirkliches Gewicht in eine politische Entscheidung zu werfen vermag. Es hat
die Ohnmacht unsrer Kleinstaaterei, selbst wo Uebereinstimmung aller in einer
Rechtsüberzeugung vorhanden ist, aufs Klarste dargethan und ebendamit die
Einsicht in Ziel und Mittel für die Hebung unsrer nationalen Schäden wesent¬
lich gefördert. Insofern verdient das Jahr, welches den Zollverein wieder zu¬
sammentrieb und Schleswig-Holstein durch die preußische Armee befreite, mit
zwei rothen Strichen in unserm nationalen Kalender angestrichen zu werden.

Aber freilich, dies sind Wahrheiten, welche denen am schwersten eingehen,
auf deren Kosten sie gemacht worden sind. Nicht daß man sie nicht einsehen
sollte. -- woher käme sonst der Haß gegen Preußen? Aber sie einzugestehen,
ist eine andere Sache. Ist es ein Wunder, wenn die nächste Folge die ist, daß
man verbittert über den eigenen Mißerfolg sich ans sich selbst zurückzieht, in
sein miltelstaatliches Sonderleben einspinnt und die Fehler überall sucht, nur
nicht da, wo sie wirklich liegen? Empfindet man es ohne Frage lebhaft, daß
wir einfach bei Seite geschoben wurden, und unsre Soldaten Tag für Tag die


sie so angelegentlich wiederholt wurden, einigermaßen verdächtig scheinen; allein
unter den gegenwärtigen Umständen war doch ihre Aufrichtigkeit kaum anzu¬
zweifeln, sie drückten nur die Wirklichkeit der Lage aus, und der Minister war
klug genug, aus der Noth eine Tugend zu machen.

Allein wie jede Tugend, welche bis zum Exceß getrieben wird, hat auch
solche Bescheidenheit ihre bedenkliche Seite. Derselbe Minister sprach das un¬
zweifelhaft wichtige Wort aus. daß Würtemberg keine Insel sei, und doch ist
sein würtembergischer Staatsbegriff ganz geeignet, ja er scheint beinahe die Ab¬
sicht zusahen, für eine insulare Auffassung des würtembergischen Staatslebens
Propaganda zu machen. Ist dies wirklich seine Absicht, so kommt ihm dabei
die allgemeine politische Abspannung und Ernüchterung trefflich zu statten.
Zeigen sich Negierung und Kammer bei dem Gang der Schleswig-holsteinischen
Angelegenheit resignirt, so ist dies nur der Reflex der allgemeinen Stimmung,
welche sich, nachdem die auflnausende Begeisterung des vorigen Jahres ver¬
flogen ist, der Bevölkerung bemächtigt hat. Daß es so kam, war unvermeid¬
lich, und es ist gut so. Mag man es immerhin bedauern, daß so viel löblicher
Eifer, so viel edler Enthusiasmus ohne Resultate aufgebraucht worden ist. mag
man es doppelt bedauern, daß gerade an der Herzvgthümerfrage die bittere Er¬
fahrung gemacht werden mußte, so ist doch das vergangene Jahr eine unschätz¬
bare Lehre für unsre politische Arbeit gewesen. Es hat den zweifelhaften Werth
einer nationalen Agitation gezeigt, hinter welcher nicht die Macht eines organi-
sirten Staates steht, den Werth von Bereinen und Bolksversammlungen, welchen
keine andern Executivorgane zu Gebote stehen, als die Regierungen von ein
paar Dutzend uneinigen Duodezstaaten. Es hat gezeigt, daß auch die laut und
nachdrücklich manifestirte Gesinnung einer staatlosen zersplitterten Gruppe kein
wirkliches Gewicht in eine politische Entscheidung zu werfen vermag. Es hat
die Ohnmacht unsrer Kleinstaaterei, selbst wo Uebereinstimmung aller in einer
Rechtsüberzeugung vorhanden ist, aufs Klarste dargethan und ebendamit die
Einsicht in Ziel und Mittel für die Hebung unsrer nationalen Schäden wesent¬
lich gefördert. Insofern verdient das Jahr, welches den Zollverein wieder zu¬
sammentrieb und Schleswig-Holstein durch die preußische Armee befreite, mit
zwei rothen Strichen in unserm nationalen Kalender angestrichen zu werden.

Aber freilich, dies sind Wahrheiten, welche denen am schwersten eingehen,
auf deren Kosten sie gemacht worden sind. Nicht daß man sie nicht einsehen
sollte. — woher käme sonst der Haß gegen Preußen? Aber sie einzugestehen,
ist eine andere Sache. Ist es ein Wunder, wenn die nächste Folge die ist, daß
man verbittert über den eigenen Mißerfolg sich ans sich selbst zurückzieht, in
sein miltelstaatliches Sonderleben einspinnt und die Fehler überall sucht, nur
nicht da, wo sie wirklich liegen? Empfindet man es ohne Frage lebhaft, daß
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[0412] sie so angelegentlich wiederholt wurden, einigermaßen verdächtig scheinen; allein unter den gegenwärtigen Umständen war doch ihre Aufrichtigkeit kaum anzu¬ zweifeln, sie drückten nur die Wirklichkeit der Lage aus, und der Minister war klug genug, aus der Noth eine Tugend zu machen. Allein wie jede Tugend, welche bis zum Exceß getrieben wird, hat auch solche Bescheidenheit ihre bedenkliche Seite. Derselbe Minister sprach das un¬ zweifelhaft wichtige Wort aus. daß Würtemberg keine Insel sei, und doch ist sein würtembergischer Staatsbegriff ganz geeignet, ja er scheint beinahe die Ab¬ sicht zusahen, für eine insulare Auffassung des würtembergischen Staatslebens Propaganda zu machen. Ist dies wirklich seine Absicht, so kommt ihm dabei die allgemeine politische Abspannung und Ernüchterung trefflich zu statten. Zeigen sich Negierung und Kammer bei dem Gang der Schleswig-holsteinischen Angelegenheit resignirt, so ist dies nur der Reflex der allgemeinen Stimmung, welche sich, nachdem die auflnausende Begeisterung des vorigen Jahres ver¬ flogen ist, der Bevölkerung bemächtigt hat. Daß es so kam, war unvermeid¬ lich, und es ist gut so. Mag man es immerhin bedauern, daß so viel löblicher Eifer, so viel edler Enthusiasmus ohne Resultate aufgebraucht worden ist. mag man es doppelt bedauern, daß gerade an der Herzvgthümerfrage die bittere Er¬ fahrung gemacht werden mußte, so ist doch das vergangene Jahr eine unschätz¬ bare Lehre für unsre politische Arbeit gewesen. Es hat den zweifelhaften Werth einer nationalen Agitation gezeigt, hinter welcher nicht die Macht eines organi- sirten Staates steht, den Werth von Bereinen und Bolksversammlungen, welchen keine andern Executivorgane zu Gebote stehen, als die Regierungen von ein paar Dutzend uneinigen Duodezstaaten. Es hat gezeigt, daß auch die laut und nachdrücklich manifestirte Gesinnung einer staatlosen zersplitterten Gruppe kein wirkliches Gewicht in eine politische Entscheidung zu werfen vermag. Es hat die Ohnmacht unsrer Kleinstaaterei, selbst wo Uebereinstimmung aller in einer Rechtsüberzeugung vorhanden ist, aufs Klarste dargethan und ebendamit die Einsicht in Ziel und Mittel für die Hebung unsrer nationalen Schäden wesent¬ lich gefördert. Insofern verdient das Jahr, welches den Zollverein wieder zu¬ sammentrieb und Schleswig-Holstein durch die preußische Armee befreite, mit zwei rothen Strichen in unserm nationalen Kalender angestrichen zu werden. Aber freilich, dies sind Wahrheiten, welche denen am schwersten eingehen, auf deren Kosten sie gemacht worden sind. Nicht daß man sie nicht einsehen sollte. — woher käme sonst der Haß gegen Preußen? Aber sie einzugestehen, ist eine andere Sache. Ist es ein Wunder, wenn die nächste Folge die ist, daß man verbittert über den eigenen Mißerfolg sich ans sich selbst zurückzieht, in sein miltelstaatliches Sonderleben einspinnt und die Fehler überall sucht, nur nicht da, wo sie wirklich liegen? Empfindet man es ohne Frage lebhaft, daß wir einfach bei Seite geschoben wurden, und unsre Soldaten Tag für Tag die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/412>, abgerufen am 23.07.2024.