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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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miitelstaatliches Rcformproject bereitwilliger gemacht, ihre Kräfte dem Aufbau
des Gesammtstaates zu widmen? Allerdings liebt man in Ungarn die Bundes-
reformprojecte; aber doch nur deshalb, weil man sich klar des Widerspruchs
bewußt ist, in dem dieselben mit der angestrebten organischen Neichseinheit
stehen und weil man daher von ihnen ein Aufgeben der.Gesammtstaatsidee hofft ;
das haben wir im Jahre 1863 gesehen. Und vor allem ist es wunderbar, daß
man in Oestreich einer Macht die Fähigkeit zu helfen und zu stützen zutraut,
die ihrerseits ganz auf Oestreichs Schutz angewiesen ist, die ohne fremde Pro¬
tektion gar nicht existiren kann. Daher kann sich auch Herr Fröbel eine östrei¬
chisch-mittelstaatliche Politik nicht anders denken, als in engster Verbindung mit
Frankreich, das dem Bunde die Kraft gewähren soll, die er in sich selbst nicht
besitzt! -- Oestreich bedarf der Unterstützung Deutschlands, das heißt nichts
anderes, als Oestreich bedarf der Unterstützung Preußens; jede andere Aus¬
legung dieses Satzes ist verkehrt. Es ist sehr zu bedauern, daß gerade in den
parlamentarischen, liberalen Kreisen Oestreichs, die das Wohl des Reiches in
der aufrichtigen Durchführung der Verfassung sehen, eine einsichtsvolle Wür¬
digung der deutschen Verhältnisse so schwer Eingang findet und namentlich die
Abneigung gegen Preußen durch dessen Erfolge gesteigert worden ist. Zum Theil
liegt dem wohl der Verdacht zu Grunde, als ob in Preußen die öffentliche
Meinung der östreichischen Verfassungsentwickelung gegenüber eine feindselige
Stellung einnehme. Dieser Verdacht ist aber nicht begründet. Abgesehen von
der äußersten radicalen Partei, die einen Zerfall Oestreichs wünscht, und von
der Kreuzzeitungspartei, die in ihrer eingewurzelten Antipathie gegen alles, waS
liberal und constitutionell heißt, seltsamerweise die Grundlage einer preußisch-
östreichischen Allianz in der Rückkehr zum Absolutismus oder etwa zum October-
diplom sucht, wünscht man in Preußen der constitutionellen Entwickelung Oest¬
reichs gerade im eigenen Interesse den besten Erfolg. Denn es ist doch sehr
klar, daß Preußen auf die Dauer sich nur mit einem verfassungsmäßigen Oest¬
reich auseinandersetzen kann, weil nur das Oestreich des Februarpatentes im
Stande ist, seine Kräfte nach einer Richtung hin zu entwickeln, in der ein
Conflict mit Preußen nicht zu erwarten ist. Das alte Oestreich muß, zumal
da es in Italien völlig auf eine unfruchtbare Defensive zurückgeworfen ist, seine
Kraft in der rivalisirenden Gegenstellung gegen Preußen suchen: das neue Oehl>
reich, sobald es sich erst so weit gefunden haben wird, um die Richtung und
den Umfang seiner Aufgaben zu übersehen, wird, man möchte sagen ganz un¬
willkürlich, in ein gutes Einvernehmen mit Preußen treten, dessen Eifersucht es
dann nicht zu fürchten hat, dessen Freundschaft ihm aber von hohem Werthe sein
muß. Man hat in Preußen allerdings ernste Zweifel, ob die Kräfte des östrei¬
chischen Staates der schweren Aufgabe gewachsen sein werden, aber man wünscht,
daß sie es seien. Man ist zu tief durchdrungen von der Ueberzeugung, daß


miitelstaatliches Rcformproject bereitwilliger gemacht, ihre Kräfte dem Aufbau
des Gesammtstaates zu widmen? Allerdings liebt man in Ungarn die Bundes-
reformprojecte; aber doch nur deshalb, weil man sich klar des Widerspruchs
bewußt ist, in dem dieselben mit der angestrebten organischen Neichseinheit
stehen und weil man daher von ihnen ein Aufgeben der.Gesammtstaatsidee hofft ;
das haben wir im Jahre 1863 gesehen. Und vor allem ist es wunderbar, daß
man in Oestreich einer Macht die Fähigkeit zu helfen und zu stützen zutraut,
die ihrerseits ganz auf Oestreichs Schutz angewiesen ist, die ohne fremde Pro¬
tektion gar nicht existiren kann. Daher kann sich auch Herr Fröbel eine östrei¬
chisch-mittelstaatliche Politik nicht anders denken, als in engster Verbindung mit
Frankreich, das dem Bunde die Kraft gewähren soll, die er in sich selbst nicht
besitzt! — Oestreich bedarf der Unterstützung Deutschlands, das heißt nichts
anderes, als Oestreich bedarf der Unterstützung Preußens; jede andere Aus¬
legung dieses Satzes ist verkehrt. Es ist sehr zu bedauern, daß gerade in den
parlamentarischen, liberalen Kreisen Oestreichs, die das Wohl des Reiches in
der aufrichtigen Durchführung der Verfassung sehen, eine einsichtsvolle Wür¬
digung der deutschen Verhältnisse so schwer Eingang findet und namentlich die
Abneigung gegen Preußen durch dessen Erfolge gesteigert worden ist. Zum Theil
liegt dem wohl der Verdacht zu Grunde, als ob in Preußen die öffentliche
Meinung der östreichischen Verfassungsentwickelung gegenüber eine feindselige
Stellung einnehme. Dieser Verdacht ist aber nicht begründet. Abgesehen von
der äußersten radicalen Partei, die einen Zerfall Oestreichs wünscht, und von
der Kreuzzeitungspartei, die in ihrer eingewurzelten Antipathie gegen alles, waS
liberal und constitutionell heißt, seltsamerweise die Grundlage einer preußisch-
östreichischen Allianz in der Rückkehr zum Absolutismus oder etwa zum October-
diplom sucht, wünscht man in Preußen der constitutionellen Entwickelung Oest¬
reichs gerade im eigenen Interesse den besten Erfolg. Denn es ist doch sehr
klar, daß Preußen auf die Dauer sich nur mit einem verfassungsmäßigen Oest¬
reich auseinandersetzen kann, weil nur das Oestreich des Februarpatentes im
Stande ist, seine Kräfte nach einer Richtung hin zu entwickeln, in der ein
Conflict mit Preußen nicht zu erwarten ist. Das alte Oestreich muß, zumal
da es in Italien völlig auf eine unfruchtbare Defensive zurückgeworfen ist, seine
Kraft in der rivalisirenden Gegenstellung gegen Preußen suchen: das neue Oehl>
reich, sobald es sich erst so weit gefunden haben wird, um die Richtung und
den Umfang seiner Aufgaben zu übersehen, wird, man möchte sagen ganz un¬
willkürlich, in ein gutes Einvernehmen mit Preußen treten, dessen Eifersucht es
dann nicht zu fürchten hat, dessen Freundschaft ihm aber von hohem Werthe sein
muß. Man hat in Preußen allerdings ernste Zweifel, ob die Kräfte des östrei¬
chischen Staates der schweren Aufgabe gewachsen sein werden, aber man wünscht,
daß sie es seien. Man ist zu tief durchdrungen von der Ueberzeugung, daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/408>, abgerufen am 23.07.2024.