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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Die Verlegenheiten, die dem Reiche aus dem gespannten Verhältnisse mit
Ungarn erwachsen, sind zu augenscheinlich und zu peinlich, um nicht allen Par-
teien die Ausgleichung als eine Nothwendigkeit erscheinen zu lassen. Nur sind
leider die Ansichten über die Mittel zur Herstellung des Friedens ebenso ver¬
schieden, als die Hoffnungen, die sich an diese oder jene Art der Beilegung des
Conflictes knüpfen. Die reactioncire Partei, so wenig sie sonst mit den Ungarn
svmpathisirt, hofft doch von ihnen die Zerstörung des schmerlingschen Verfassungs-
werkes; sie wünscht selbstverständlich nicht den Eintritt der Ungarn, sondern die
Rückkehr zum Octoberdiplom. Daß mit dieser Lösung (-- abgesehen von den
Tendenzen der ungarischen Nationalpartei, die ganz andere Pläne, als die Wieder¬
herstellung des Octoberdiploms verfolgt --) gar nichts gewonnen sein würde, läßt
sich kaum bezweifeln, aber das Verzichten auf die parlamentarische Reichseinheit
könnte der Anfang eines völligen Zerfallens der Monarchie sein. Nicht minder,
aber aus anderen Beweggründen als die Reactionäre. sind die gemäßigt Libe¬
ralen, oder vielleicht besser gesagt die principiellen Vertreter der Reichseinhcit
von der Nothwendigkeit einer Ausgleichung durchdrungen, und mögen auch über
den Grad der den Ungarn zu machenden Zugeständnisse Meinungsverschieden¬
heiten vorhanden sein, so wird doch darüber, daß ohne den Zutritt derselben
die Verfassung keinen Bestand haben kann, unter aufrichtigen Constitutionellen
kein Zweifel bestehn.

Reichseinheit und Constitution stehen und fallen mit einander, wer keine
Constitution für den Gesammtstaat will, erstrebt für die Länder diesseits der
Leytha die Rückkehr zum Absolutismus. Diejenigen aber, welche durch mög¬
lichst schroffes Auftreten gegen Ungarn, durch Drohungen, durch Contuma-
cirung die Magyaren zur Nachgiebigkeit und zur Beschickung des Reichsrathes
zu zwingen hofften, werden jetzt wohl zu der Einsicht gekommen sein, daß
diese Mittel nicht zum Ziele führen, da gerade durch ihre Anwendung dem
Verhältniß Oestreichs zu Ungarn derselbe Charakter starrer und unfrucht¬
barer Unbeweglichkeit aufgedrückt ist, der nach allen Richtungen hin im östrei¬
chischen Staatswesen zur Erscheinung kommt. Es hat sich hier nur der Grund¬
irrthum der neueren östreichischen Politik wiederholt, die, freilich oft mehr aus
Ratlosigkeit als aus Berechnung, die Stärkung der Monarchie überall von
dem natürlichen Verlauf der Dinge erwartet, während die Dinge, ihrem natür¬
lichen Laufe überlassen, gerade gegen die Wünsche der östreichischen Politik
arbeiten. Wenn man in Ungarn davon überzeugt ist, daß die Spannung
zwischen Wien und Pesth gefährlicher für Oestreich als für Ungarn ist, weshalb
sollte man sich denn beeilen, dieselbe durch ein Entgegenkommen gegen Oestreich
zu beendigen? Die Ungarn stehen fest auf ihrem Rechtsboden; auf diesem er¬
warten sie den Kampf und werden sich schwerlich aus demselben herauslocken
lassen. Ohne vorhergegangene Anerkennung dieses Nechtsbodens hat die Re-


Wrenzboten I. 1866. 48

Die Verlegenheiten, die dem Reiche aus dem gespannten Verhältnisse mit
Ungarn erwachsen, sind zu augenscheinlich und zu peinlich, um nicht allen Par-
teien die Ausgleichung als eine Nothwendigkeit erscheinen zu lassen. Nur sind
leider die Ansichten über die Mittel zur Herstellung des Friedens ebenso ver¬
schieden, als die Hoffnungen, die sich an diese oder jene Art der Beilegung des
Conflictes knüpfen. Die reactioncire Partei, so wenig sie sonst mit den Ungarn
svmpathisirt, hofft doch von ihnen die Zerstörung des schmerlingschen Verfassungs-
werkes; sie wünscht selbstverständlich nicht den Eintritt der Ungarn, sondern die
Rückkehr zum Octoberdiplom. Daß mit dieser Lösung (— abgesehen von den
Tendenzen der ungarischen Nationalpartei, die ganz andere Pläne, als die Wieder¬
herstellung des Octoberdiploms verfolgt —) gar nichts gewonnen sein würde, läßt
sich kaum bezweifeln, aber das Verzichten auf die parlamentarische Reichseinheit
könnte der Anfang eines völligen Zerfallens der Monarchie sein. Nicht minder,
aber aus anderen Beweggründen als die Reactionäre. sind die gemäßigt Libe¬
ralen, oder vielleicht besser gesagt die principiellen Vertreter der Reichseinhcit
von der Nothwendigkeit einer Ausgleichung durchdrungen, und mögen auch über
den Grad der den Ungarn zu machenden Zugeständnisse Meinungsverschieden¬
heiten vorhanden sein, so wird doch darüber, daß ohne den Zutritt derselben
die Verfassung keinen Bestand haben kann, unter aufrichtigen Constitutionellen
kein Zweifel bestehn.

Reichseinheit und Constitution stehen und fallen mit einander, wer keine
Constitution für den Gesammtstaat will, erstrebt für die Länder diesseits der
Leytha die Rückkehr zum Absolutismus. Diejenigen aber, welche durch mög¬
lichst schroffes Auftreten gegen Ungarn, durch Drohungen, durch Contuma-
cirung die Magyaren zur Nachgiebigkeit und zur Beschickung des Reichsrathes
zu zwingen hofften, werden jetzt wohl zu der Einsicht gekommen sein, daß
diese Mittel nicht zum Ziele führen, da gerade durch ihre Anwendung dem
Verhältniß Oestreichs zu Ungarn derselbe Charakter starrer und unfrucht¬
barer Unbeweglichkeit aufgedrückt ist, der nach allen Richtungen hin im östrei¬
chischen Staatswesen zur Erscheinung kommt. Es hat sich hier nur der Grund¬
irrthum der neueren östreichischen Politik wiederholt, die, freilich oft mehr aus
Ratlosigkeit als aus Berechnung, die Stärkung der Monarchie überall von
dem natürlichen Verlauf der Dinge erwartet, während die Dinge, ihrem natür¬
lichen Laufe überlassen, gerade gegen die Wünsche der östreichischen Politik
arbeiten. Wenn man in Ungarn davon überzeugt ist, daß die Spannung
zwischen Wien und Pesth gefährlicher für Oestreich als für Ungarn ist, weshalb
sollte man sich denn beeilen, dieselbe durch ein Entgegenkommen gegen Oestreich
zu beendigen? Die Ungarn stehen fest auf ihrem Rechtsboden; auf diesem er¬
warten sie den Kampf und werden sich schwerlich aus demselben herauslocken
lassen. Ohne vorhergegangene Anerkennung dieses Nechtsbodens hat die Re-


Wrenzboten I. 1866. 48
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[0401] Die Verlegenheiten, die dem Reiche aus dem gespannten Verhältnisse mit Ungarn erwachsen, sind zu augenscheinlich und zu peinlich, um nicht allen Par- teien die Ausgleichung als eine Nothwendigkeit erscheinen zu lassen. Nur sind leider die Ansichten über die Mittel zur Herstellung des Friedens ebenso ver¬ schieden, als die Hoffnungen, die sich an diese oder jene Art der Beilegung des Conflictes knüpfen. Die reactioncire Partei, so wenig sie sonst mit den Ungarn svmpathisirt, hofft doch von ihnen die Zerstörung des schmerlingschen Verfassungs- werkes; sie wünscht selbstverständlich nicht den Eintritt der Ungarn, sondern die Rückkehr zum Octoberdiplom. Daß mit dieser Lösung (— abgesehen von den Tendenzen der ungarischen Nationalpartei, die ganz andere Pläne, als die Wieder¬ herstellung des Octoberdiploms verfolgt —) gar nichts gewonnen sein würde, läßt sich kaum bezweifeln, aber das Verzichten auf die parlamentarische Reichseinheit könnte der Anfang eines völligen Zerfallens der Monarchie sein. Nicht minder, aber aus anderen Beweggründen als die Reactionäre. sind die gemäßigt Libe¬ ralen, oder vielleicht besser gesagt die principiellen Vertreter der Reichseinhcit von der Nothwendigkeit einer Ausgleichung durchdrungen, und mögen auch über den Grad der den Ungarn zu machenden Zugeständnisse Meinungsverschieden¬ heiten vorhanden sein, so wird doch darüber, daß ohne den Zutritt derselben die Verfassung keinen Bestand haben kann, unter aufrichtigen Constitutionellen kein Zweifel bestehn. Reichseinheit und Constitution stehen und fallen mit einander, wer keine Constitution für den Gesammtstaat will, erstrebt für die Länder diesseits der Leytha die Rückkehr zum Absolutismus. Diejenigen aber, welche durch mög¬ lichst schroffes Auftreten gegen Ungarn, durch Drohungen, durch Contuma- cirung die Magyaren zur Nachgiebigkeit und zur Beschickung des Reichsrathes zu zwingen hofften, werden jetzt wohl zu der Einsicht gekommen sein, daß diese Mittel nicht zum Ziele führen, da gerade durch ihre Anwendung dem Verhältniß Oestreichs zu Ungarn derselbe Charakter starrer und unfrucht¬ barer Unbeweglichkeit aufgedrückt ist, der nach allen Richtungen hin im östrei¬ chischen Staatswesen zur Erscheinung kommt. Es hat sich hier nur der Grund¬ irrthum der neueren östreichischen Politik wiederholt, die, freilich oft mehr aus Ratlosigkeit als aus Berechnung, die Stärkung der Monarchie überall von dem natürlichen Verlauf der Dinge erwartet, während die Dinge, ihrem natür¬ lichen Laufe überlassen, gerade gegen die Wünsche der östreichischen Politik arbeiten. Wenn man in Ungarn davon überzeugt ist, daß die Spannung zwischen Wien und Pesth gefährlicher für Oestreich als für Ungarn ist, weshalb sollte man sich denn beeilen, dieselbe durch ein Entgegenkommen gegen Oestreich zu beendigen? Die Ungarn stehen fest auf ihrem Rechtsboden; auf diesem er¬ warten sie den Kampf und werden sich schwerlich aus demselben herauslocken lassen. Ohne vorhergegangene Anerkennung dieses Nechtsbodens hat die Re- Wrenzboten I. 1866. 48

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/401>, abgerufen am 23.07.2024.