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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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hindern lassen. Jeder Versuch in der Richtung kann indessen nur beweisen,
daß der Reichsrath in seiner gegenwärtigen Zusammensetzung nicht im Stande
ist, eine irgendwie auf die Gesammtverfassung bezügliche Frage auch nur einen
Schritt weiter zu fördern. Dies hat sich bereits in der ersten Zeit der Session
sehr klar bei der Jnterpellation wegen eines Ministerverantwortlichkeitsgesetzes
ergeben. Es ist vollkommen erklärlich und gerechtfertigt, daß das Abgeordneten¬
haus in dieser Angelegenheit dringlich war, da ohne ein Ministerverantwort¬
lichkeitsgesetz alle Bemühungen, die verschiedenen Organe des Staatswesens zu
einem harmonischen Zusammenwirken zu stimmen, vergeblich sein werden. Den¬
noch wird man Herrn v. Schmerling darin Recht geben müssen, daß im ge¬
genwärtigen Stadium der Verfassungsentwickelung von Einbringung eines Mi-
nisterverantwortlichkeitsgesctzes nicht die Rede sein kann. Die etwas cavaliöre
Behandlung der Frage war zwar für den Vcrfassungsminister par exekllonos
nicht recht geziemend. Die ganze Abschweifung über die Ministerverantwort-
lichkeii im Allgemeinen war außerdem höchst überflüssig. Indessen wenn Herr
v. Schmerling das Bedürfniß hat, sich seinen Freunden von der Opposition
gegenüber Blößen zu geben, so ist das seine Sache; jedenfalls wird das Ge¬
wicht der reellen Gründe, die gegen die augenblickliche Vorlage eines Minister-
verantwortlichkcitsgesetzes sprechen, durch die Einwendungen, die man seinen
allgemeinen Bemerkungen entgegensetzen kann, nicht gemindert. Schon wenn
es sich um die erste Frage handelt: wem sollen die Minister verantwortlich
sein? stößt man auf Schwierigkeiten. Nur dem engeren, oder nur dem weiteren
Reichsrathe, oder je nach den besonderen Fällen entweder dem einen oder dem
andern? Man möchte geneigt sein, das Letztere anzunehmen. Denn wollte
man statuiren. daß nur dem weiteren Reichsrathe gegenüber eine Verantwor¬
tungspflicht bestehe, so würde das Ministerium in den wichtigsten Angelegen¬
heiten, sobald sie nur nicht die Verhältnisse des Gesammtstaates berühren, un¬
verantwortlich sein, oder es müßte für alle Fälle, in denen die Verantwort¬
lichkeit der Minister in Anspruch genommen wird, die Kompetenz des weiteren
Reichsraths auf das verfassungsmäßig unzweifelhaft in den Wirkungskreis der
engeren Versammlung fallende Gebiet erweitert werden. Dies würde aber zu
einer beispiellosen Verwirrung, zu einer völligen Verschiebung der Befugnisse
aller constituirten Körperschaften führen. Gesetzt z. B. eine starke Partei hätte
ein Interesse daran, den engeren Reichsrath möglichst zu schwächen, so brauchte
sie nur unter Anführung irgendeines Scheingrundes in diesem oder jenem Acte
des Ministeriums eine Verfassungsvcrletzung zu sehen, um allmälig den weite¬
ren Reichsrath zu einer Oberinstanz über alle verfassungsmäßig aus, " seiner
Sphäre liegenden Gegenstände zu erheben. Ein derartiges Zurückdrängen des
engeren durch den weiteren Reichsrath würden wir allerdings als eine wün-
schenswerthe, ja nothwendige Entwickelung der Verfassung ansehen; aber es


hindern lassen. Jeder Versuch in der Richtung kann indessen nur beweisen,
daß der Reichsrath in seiner gegenwärtigen Zusammensetzung nicht im Stande
ist, eine irgendwie auf die Gesammtverfassung bezügliche Frage auch nur einen
Schritt weiter zu fördern. Dies hat sich bereits in der ersten Zeit der Session
sehr klar bei der Jnterpellation wegen eines Ministerverantwortlichkeitsgesetzes
ergeben. Es ist vollkommen erklärlich und gerechtfertigt, daß das Abgeordneten¬
haus in dieser Angelegenheit dringlich war, da ohne ein Ministerverantwort¬
lichkeitsgesetz alle Bemühungen, die verschiedenen Organe des Staatswesens zu
einem harmonischen Zusammenwirken zu stimmen, vergeblich sein werden. Den¬
noch wird man Herrn v. Schmerling darin Recht geben müssen, daß im ge¬
genwärtigen Stadium der Verfassungsentwickelung von Einbringung eines Mi-
nisterverantwortlichkeitsgesctzes nicht die Rede sein kann. Die etwas cavaliöre
Behandlung der Frage war zwar für den Vcrfassungsminister par exekllonos
nicht recht geziemend. Die ganze Abschweifung über die Ministerverantwort-
lichkeii im Allgemeinen war außerdem höchst überflüssig. Indessen wenn Herr
v. Schmerling das Bedürfniß hat, sich seinen Freunden von der Opposition
gegenüber Blößen zu geben, so ist das seine Sache; jedenfalls wird das Ge¬
wicht der reellen Gründe, die gegen die augenblickliche Vorlage eines Minister-
verantwortlichkcitsgesetzes sprechen, durch die Einwendungen, die man seinen
allgemeinen Bemerkungen entgegensetzen kann, nicht gemindert. Schon wenn
es sich um die erste Frage handelt: wem sollen die Minister verantwortlich
sein? stößt man auf Schwierigkeiten. Nur dem engeren, oder nur dem weiteren
Reichsrathe, oder je nach den besonderen Fällen entweder dem einen oder dem
andern? Man möchte geneigt sein, das Letztere anzunehmen. Denn wollte
man statuiren. daß nur dem weiteren Reichsrathe gegenüber eine Verantwor¬
tungspflicht bestehe, so würde das Ministerium in den wichtigsten Angelegen¬
heiten, sobald sie nur nicht die Verhältnisse des Gesammtstaates berühren, un¬
verantwortlich sein, oder es müßte für alle Fälle, in denen die Verantwort¬
lichkeit der Minister in Anspruch genommen wird, die Kompetenz des weiteren
Reichsraths auf das verfassungsmäßig unzweifelhaft in den Wirkungskreis der
engeren Versammlung fallende Gebiet erweitert werden. Dies würde aber zu
einer beispiellosen Verwirrung, zu einer völligen Verschiebung der Befugnisse
aller constituirten Körperschaften führen. Gesetzt z. B. eine starke Partei hätte
ein Interesse daran, den engeren Reichsrath möglichst zu schwächen, so brauchte
sie nur unter Anführung irgendeines Scheingrundes in diesem oder jenem Acte
des Ministeriums eine Verfassungsvcrletzung zu sehen, um allmälig den weite¬
ren Reichsrath zu einer Oberinstanz über alle verfassungsmäßig aus, " seiner
Sphäre liegenden Gegenstände zu erheben. Ein derartiges Zurückdrängen des
engeren durch den weiteren Reichsrath würden wir allerdings als eine wün-
schenswerthe, ja nothwendige Entwickelung der Verfassung ansehen; aber es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/399>, abgerufen am 23.07.2024.