Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Bedeutung ist ihm keinen Augenblick zweifelhaft. Aber um so ärgerlicher
"hebt sich die Frage: woher kommt diese Bedeutung? Als gewissenhafter
Mann will er dem Leser darüber doch Mittheilung machen. Seine Citate gehn
kaum über den Anfang dieses Jahrhunderts, nur wenige Jahre über Göthes
westöstlichen Divan zurück? die alten Wörterbücher verweigern jede Auskunft.
Und doch ist das Wort interessant, die Bedeutung sehr auffallend. Der Bearbei-
ter eilt wieder zu seiner Bibliothek -- wohl ihm. wenn er eine ausgiebige
Büchersammlung zur Hand hat -- er schlägt in Commersbüchern des vorigen
Jahrhunderts nach, er durchsucht alte Predigten und Tractätlein bis in das
sechzehnte Jahrhundert hinauf, er findet nirgend eine Spur dieses Wortes.
Wahrscheinlich ist die allbekannte Bedeutung neue Erfindung, erst von unsern
Großvätern erdacht, aber kein Mensch weiß warum und bei welcher Gelegenheit.
Nach langem Nachschlagen ist Lexikograph wahrscheinlich zu dem Bekenntniß
genöthigt, daß er hierüber nichts Sicheres beibringen kann. Mißvergnügt und
kummervoll arbeitet er weiter. Bei Katzenpfote fällt ihm vielleicht noch zu
rechter Zeit ein, daß in der Seemannssprache das Wort auch eine kleine kurze
Welle bezeichnet, aber dafür hat er keine Belegstelle. Er denkt nach, ob bei
einem bekannten Autor an irgendeiner Stelle das Wort vorkommen könnte,
denn die Uebersetzer Marryats darf er nicht füglich als Autorität einführen, er
eilt wieder zu seinen Büchern und sucht vielleicht lange vergeblich.

Nun aber kommt sogleich wieder ein Wort, welches ihm alles Behagen zu
nehmen droht und dies Wort heißt Katzen ritt er. Allerdings er hat einige
Belegstellen' aus alter Zeit dafür, nach denen es so viel als Thierbändiger
oder Gladiator bedeutet. Aus einem undeutlichen Citat kann er ferner schließen,
daß es noch eine andere, häßliche Bedeutung gehabt hat. Dunkel aber ist ihm
als hätte er das Wort vor Jahren einmal in einer niederdeutschen Chronik
gefunden/ Nach langem Suchen entdeckt er es wieder bei dem mürrischen
Stralsunder Chronisten Berckmann. Dort liest er, daß im Anfang des fünfzehnten
Jahrhunderts zu Stralsund ein Mann am Schandpfahl mit einer Katze im
Beisein des Raths gekämpft habe und nach erlangtem Siege vom Bürgermeister
zum Katzenritter geschlagen worden sei; und er fragt vor diesem neuen Räthsel
wieder erstaunt: was bedeutet das? --

Ist er endlich mit all diesen und andern Sorgen um Katze und Genossen
ins Reine gekommen, so umfaßt, was der Leser davon empfangt, den Raum
weniger Spalten, er aber hat vielleicht Tage, ja Wochen lang darüber gesonnen
und gearbeitet.

Und das sind nur einige von den kleinen Leiden dieser wissenschaftlichen
Thätigkeit, es giebt größere. Kein Gelehrter fühlt lebhafter als der Verfasser
eines Wörterbuchs, wiesehr alle Menschenarbeit an dem großen Strom unseres
Lebens nur Stückwerk ist, keiner hat mehr die Tugenden eines Forschers, Ge"


Äreiljboten I. 18us, 5

Die Bedeutung ist ihm keinen Augenblick zweifelhaft. Aber um so ärgerlicher
»hebt sich die Frage: woher kommt diese Bedeutung? Als gewissenhafter
Mann will er dem Leser darüber doch Mittheilung machen. Seine Citate gehn
kaum über den Anfang dieses Jahrhunderts, nur wenige Jahre über Göthes
westöstlichen Divan zurück? die alten Wörterbücher verweigern jede Auskunft.
Und doch ist das Wort interessant, die Bedeutung sehr auffallend. Der Bearbei-
ter eilt wieder zu seiner Bibliothek — wohl ihm. wenn er eine ausgiebige
Büchersammlung zur Hand hat — er schlägt in Commersbüchern des vorigen
Jahrhunderts nach, er durchsucht alte Predigten und Tractätlein bis in das
sechzehnte Jahrhundert hinauf, er findet nirgend eine Spur dieses Wortes.
Wahrscheinlich ist die allbekannte Bedeutung neue Erfindung, erst von unsern
Großvätern erdacht, aber kein Mensch weiß warum und bei welcher Gelegenheit.
Nach langem Nachschlagen ist Lexikograph wahrscheinlich zu dem Bekenntniß
genöthigt, daß er hierüber nichts Sicheres beibringen kann. Mißvergnügt und
kummervoll arbeitet er weiter. Bei Katzenpfote fällt ihm vielleicht noch zu
rechter Zeit ein, daß in der Seemannssprache das Wort auch eine kleine kurze
Welle bezeichnet, aber dafür hat er keine Belegstelle. Er denkt nach, ob bei
einem bekannten Autor an irgendeiner Stelle das Wort vorkommen könnte,
denn die Uebersetzer Marryats darf er nicht füglich als Autorität einführen, er
eilt wieder zu seinen Büchern und sucht vielleicht lange vergeblich.

Nun aber kommt sogleich wieder ein Wort, welches ihm alles Behagen zu
nehmen droht und dies Wort heißt Katzen ritt er. Allerdings er hat einige
Belegstellen' aus alter Zeit dafür, nach denen es so viel als Thierbändiger
oder Gladiator bedeutet. Aus einem undeutlichen Citat kann er ferner schließen,
daß es noch eine andere, häßliche Bedeutung gehabt hat. Dunkel aber ist ihm
als hätte er das Wort vor Jahren einmal in einer niederdeutschen Chronik
gefunden/ Nach langem Suchen entdeckt er es wieder bei dem mürrischen
Stralsunder Chronisten Berckmann. Dort liest er, daß im Anfang des fünfzehnten
Jahrhunderts zu Stralsund ein Mann am Schandpfahl mit einer Katze im
Beisein des Raths gekämpft habe und nach erlangtem Siege vom Bürgermeister
zum Katzenritter geschlagen worden sei; und er fragt vor diesem neuen Räthsel
wieder erstaunt: was bedeutet das? —

Ist er endlich mit all diesen und andern Sorgen um Katze und Genossen
ins Reine gekommen, so umfaßt, was der Leser davon empfangt, den Raum
weniger Spalten, er aber hat vielleicht Tage, ja Wochen lang darüber gesonnen
und gearbeitet.

Und das sind nur einige von den kleinen Leiden dieser wissenschaftlichen
Thätigkeit, es giebt größere. Kein Gelehrter fühlt lebhafter als der Verfasser
eines Wörterbuchs, wiesehr alle Menschenarbeit an dem großen Strom unseres
Lebens nur Stückwerk ist, keiner hat mehr die Tugenden eines Forschers, Ge«


Äreiljboten I. 18us, 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0039" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/282280"/>
          <p xml:id="ID_91" prev="#ID_90"> Die Bedeutung ist ihm keinen Augenblick zweifelhaft. Aber um so ärgerlicher<lb/>
»hebt sich die Frage: woher kommt diese Bedeutung? Als gewissenhafter<lb/>
Mann will er dem Leser darüber doch Mittheilung machen. Seine Citate gehn<lb/>
kaum über den Anfang dieses Jahrhunderts, nur wenige Jahre über Göthes<lb/>
westöstlichen Divan zurück? die alten Wörterbücher verweigern jede Auskunft.<lb/>
Und doch ist das Wort interessant, die Bedeutung sehr auffallend. Der Bearbei-<lb/>
ter eilt wieder zu seiner Bibliothek &#x2014; wohl ihm. wenn er eine ausgiebige<lb/>
Büchersammlung zur Hand hat &#x2014; er schlägt in Commersbüchern des vorigen<lb/>
Jahrhunderts nach, er durchsucht alte Predigten und Tractätlein bis in das<lb/>
sechzehnte Jahrhundert hinauf, er findet nirgend eine Spur dieses Wortes.<lb/>
Wahrscheinlich ist die allbekannte Bedeutung neue Erfindung, erst von unsern<lb/>
Großvätern erdacht, aber kein Mensch weiß warum und bei welcher Gelegenheit.<lb/>
Nach langem Nachschlagen ist Lexikograph wahrscheinlich zu dem Bekenntniß<lb/>
genöthigt, daß er hierüber nichts Sicheres beibringen kann. Mißvergnügt und<lb/>
kummervoll arbeitet er weiter. Bei Katzenpfote fällt ihm vielleicht noch zu<lb/>
rechter Zeit ein, daß in der Seemannssprache das Wort auch eine kleine kurze<lb/>
Welle bezeichnet, aber dafür hat er keine Belegstelle. Er denkt nach, ob bei<lb/>
einem bekannten Autor an irgendeiner Stelle das Wort vorkommen könnte,<lb/>
denn die Uebersetzer Marryats darf er nicht füglich als Autorität einführen, er<lb/>
eilt wieder zu seinen Büchern und sucht vielleicht lange vergeblich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_92"> Nun aber kommt sogleich wieder ein Wort, welches ihm alles Behagen zu<lb/>
nehmen droht und dies Wort heißt Katzen ritt er. Allerdings er hat einige<lb/>
Belegstellen' aus alter Zeit dafür, nach denen es so viel als Thierbändiger<lb/>
oder Gladiator bedeutet. Aus einem undeutlichen Citat kann er ferner schließen,<lb/>
daß es noch eine andere, häßliche Bedeutung gehabt hat. Dunkel aber ist ihm<lb/>
als hätte er das Wort vor Jahren einmal in einer niederdeutschen Chronik<lb/>
gefunden/ Nach langem Suchen entdeckt er es wieder bei dem mürrischen<lb/>
Stralsunder Chronisten Berckmann. Dort liest er, daß im Anfang des fünfzehnten<lb/>
Jahrhunderts zu Stralsund ein Mann am Schandpfahl mit einer Katze im<lb/>
Beisein des Raths gekämpft habe und nach erlangtem Siege vom Bürgermeister<lb/>
zum Katzenritter geschlagen worden sei; und er fragt vor diesem neuen Räthsel<lb/>
wieder erstaunt: was bedeutet das? &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_93"> Ist er endlich mit all diesen und andern Sorgen um Katze und Genossen<lb/>
ins Reine gekommen, so umfaßt, was der Leser davon empfangt, den Raum<lb/>
weniger Spalten, er aber hat vielleicht Tage, ja Wochen lang darüber gesonnen<lb/>
und gearbeitet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_94" next="#ID_95"> Und das sind nur einige von den kleinen Leiden dieser wissenschaftlichen<lb/>
Thätigkeit, es giebt größere. Kein Gelehrter fühlt lebhafter als der Verfasser<lb/>
eines Wörterbuchs, wiesehr alle Menschenarbeit an dem großen Strom unseres<lb/>
Lebens nur Stückwerk ist, keiner hat mehr die Tugenden eines Forschers, Ge«</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Äreiljboten I. 18us, 5</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0039] Die Bedeutung ist ihm keinen Augenblick zweifelhaft. Aber um so ärgerlicher »hebt sich die Frage: woher kommt diese Bedeutung? Als gewissenhafter Mann will er dem Leser darüber doch Mittheilung machen. Seine Citate gehn kaum über den Anfang dieses Jahrhunderts, nur wenige Jahre über Göthes westöstlichen Divan zurück? die alten Wörterbücher verweigern jede Auskunft. Und doch ist das Wort interessant, die Bedeutung sehr auffallend. Der Bearbei- ter eilt wieder zu seiner Bibliothek — wohl ihm. wenn er eine ausgiebige Büchersammlung zur Hand hat — er schlägt in Commersbüchern des vorigen Jahrhunderts nach, er durchsucht alte Predigten und Tractätlein bis in das sechzehnte Jahrhundert hinauf, er findet nirgend eine Spur dieses Wortes. Wahrscheinlich ist die allbekannte Bedeutung neue Erfindung, erst von unsern Großvätern erdacht, aber kein Mensch weiß warum und bei welcher Gelegenheit. Nach langem Nachschlagen ist Lexikograph wahrscheinlich zu dem Bekenntniß genöthigt, daß er hierüber nichts Sicheres beibringen kann. Mißvergnügt und kummervoll arbeitet er weiter. Bei Katzenpfote fällt ihm vielleicht noch zu rechter Zeit ein, daß in der Seemannssprache das Wort auch eine kleine kurze Welle bezeichnet, aber dafür hat er keine Belegstelle. Er denkt nach, ob bei einem bekannten Autor an irgendeiner Stelle das Wort vorkommen könnte, denn die Uebersetzer Marryats darf er nicht füglich als Autorität einführen, er eilt wieder zu seinen Büchern und sucht vielleicht lange vergeblich. Nun aber kommt sogleich wieder ein Wort, welches ihm alles Behagen zu nehmen droht und dies Wort heißt Katzen ritt er. Allerdings er hat einige Belegstellen' aus alter Zeit dafür, nach denen es so viel als Thierbändiger oder Gladiator bedeutet. Aus einem undeutlichen Citat kann er ferner schließen, daß es noch eine andere, häßliche Bedeutung gehabt hat. Dunkel aber ist ihm als hätte er das Wort vor Jahren einmal in einer niederdeutschen Chronik gefunden/ Nach langem Suchen entdeckt er es wieder bei dem mürrischen Stralsunder Chronisten Berckmann. Dort liest er, daß im Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts zu Stralsund ein Mann am Schandpfahl mit einer Katze im Beisein des Raths gekämpft habe und nach erlangtem Siege vom Bürgermeister zum Katzenritter geschlagen worden sei; und er fragt vor diesem neuen Räthsel wieder erstaunt: was bedeutet das? — Ist er endlich mit all diesen und andern Sorgen um Katze und Genossen ins Reine gekommen, so umfaßt, was der Leser davon empfangt, den Raum weniger Spalten, er aber hat vielleicht Tage, ja Wochen lang darüber gesonnen und gearbeitet. Und das sind nur einige von den kleinen Leiden dieser wissenschaftlichen Thätigkeit, es giebt größere. Kein Gelehrter fühlt lebhafter als der Verfasser eines Wörterbuchs, wiesehr alle Menschenarbeit an dem großen Strom unseres Lebens nur Stückwerk ist, keiner hat mehr die Tugenden eines Forschers, Ge« Äreiljboten I. 18us, 5

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/39
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/39>, abgerufen am 23.07.2024.