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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Anzahl Gelehrter bei der Lectüre deutscher Schriftsteller ausgezogen, dann durch
diesjährige Thätigkeit der Brüder Grimm, zumal Jacobs, sehr vermehrt, sie
bilden, nach dem Alphabet geordnet, gewissermaßen den Grundschatz des Wörter¬
buchs. Aber der Bearbeiter sucht für seine Buchstaben "och außerdem zu
sammeln, was ihm irgend erreichbar ist -- aus dem letzten Heft ist ersichtlich,
daß Hildebrand viele Jahre selbständig für das K zusammengetragen haben
muß. -- Dennoch, wie groß scheinbar die Fülle der Citate ist, fast bei jedem
Worte wird dem Bearbeiter fühlbar, daß sie manche Bedeutungen des Wortes,
vielleicht gerade die allergewöhnlichsten gar nicht enthalten, denn man ver¬
zeichnet bei der Lectüre am liebsten auffallende Wörter und Redensarten und
übergeht die landläufigen. So wird der Bearbeiter häufig in die Lage gesetzt,
bevor er die für ein bestimmtes Wort vorhandenen Zettel verarbeitet, noch
selbst in den Quellen neue Belegstellen zu suchen. Wer zu erfahren wünscht,
ob dies zeitraubend ist, kann sich die gemüthliche Aufgabe stellen z. B. das
Wort Kater in Luthers oder Goethes Werken auszusuchen.

Bei allen Stammwörtern des Wörterbuchs ist die Beifügung des ent¬
sprechenden Wortes aus andern indogermanischen Sprachen eingeführt. Da
niemand alle Vvcabcln im Kopf haben kann, so wird dafür ein Nachschlagen
in etwa zehn Wörterbüchern nothwendig, eine Arbeit, welche hübsche Zeit in
Anspruch nimmt und doch nur wenige Druckzeilen füllt. Dann werden die
ältern deutschen Wörterbücher durchmustert und sorgfältig wird geprüft, was
sie über das einzelne Wort zu melden wissen, das Merkwürdige wird auf¬
gezeichnet. Darauf werden die Zettel durchgelesen und geordnet, der Bearbeiter
sucht sich ein Bild zu machen von der Geschichte des Wortes, die älteste oder
Grundbedeutung wird vorangestellt, die abgeleiteten planmäßig nacheinander
gesetzt. Das macht ihm oft nicht geringe Sorge, Vieles bleibt unsicher, über¬
all empfindet er den Mangel an Vollständigkeit in seinen Quellen -- den Citaten,
vielleicht muß er tagelang sinnen, die beschlossene Ordnung wiederholt umwerfen,
bevor er sich genügt. Je großer seine Sprachkenntnisse, je behender sein Scharf¬
blick, um so schneller wird ihm die Arbeit von statten gehn, aber auch die
stärkste Kraft und der beste Takt werden ihn nicht vor Unsicherheit bewahren.
Woher kommt z. B. dem Wort Katze die Nebenbedeutung einer ledernen Geld¬
tasche, welche um den Leib geschlungen wird? war diese ursprünglich aus
Katzenfellen, frägt er sich grübelnd und hat solche Verwendung des Katzenfelles
vielleicht einen abergläubischen Grund, der erwähnt werden sollte? Der Be¬
arbeiter eilt zu seinem Bücherschrank und sucht nach der socialen Stellung, welche
die Katze in unserer alten Mythologie eingenommen hat. Endlich nach langem
Sinnen und Suchen hat er das wichtige Stammwort Katze vollendet, er denkt
vielleichteinwenig beiden leichterverständlichenKompvsiten dieses Wortes auszuruhen.
Da tritt ihm sogleich das allbekannte Wort K a tzen ja um er drohend entgegen.


Anzahl Gelehrter bei der Lectüre deutscher Schriftsteller ausgezogen, dann durch
diesjährige Thätigkeit der Brüder Grimm, zumal Jacobs, sehr vermehrt, sie
bilden, nach dem Alphabet geordnet, gewissermaßen den Grundschatz des Wörter¬
buchs. Aber der Bearbeiter sucht für seine Buchstaben »och außerdem zu
sammeln, was ihm irgend erreichbar ist — aus dem letzten Heft ist ersichtlich,
daß Hildebrand viele Jahre selbständig für das K zusammengetragen haben
muß. — Dennoch, wie groß scheinbar die Fülle der Citate ist, fast bei jedem
Worte wird dem Bearbeiter fühlbar, daß sie manche Bedeutungen des Wortes,
vielleicht gerade die allergewöhnlichsten gar nicht enthalten, denn man ver¬
zeichnet bei der Lectüre am liebsten auffallende Wörter und Redensarten und
übergeht die landläufigen. So wird der Bearbeiter häufig in die Lage gesetzt,
bevor er die für ein bestimmtes Wort vorhandenen Zettel verarbeitet, noch
selbst in den Quellen neue Belegstellen zu suchen. Wer zu erfahren wünscht,
ob dies zeitraubend ist, kann sich die gemüthliche Aufgabe stellen z. B. das
Wort Kater in Luthers oder Goethes Werken auszusuchen.

Bei allen Stammwörtern des Wörterbuchs ist die Beifügung des ent¬
sprechenden Wortes aus andern indogermanischen Sprachen eingeführt. Da
niemand alle Vvcabcln im Kopf haben kann, so wird dafür ein Nachschlagen
in etwa zehn Wörterbüchern nothwendig, eine Arbeit, welche hübsche Zeit in
Anspruch nimmt und doch nur wenige Druckzeilen füllt. Dann werden die
ältern deutschen Wörterbücher durchmustert und sorgfältig wird geprüft, was
sie über das einzelne Wort zu melden wissen, das Merkwürdige wird auf¬
gezeichnet. Darauf werden die Zettel durchgelesen und geordnet, der Bearbeiter
sucht sich ein Bild zu machen von der Geschichte des Wortes, die älteste oder
Grundbedeutung wird vorangestellt, die abgeleiteten planmäßig nacheinander
gesetzt. Das macht ihm oft nicht geringe Sorge, Vieles bleibt unsicher, über¬
all empfindet er den Mangel an Vollständigkeit in seinen Quellen — den Citaten,
vielleicht muß er tagelang sinnen, die beschlossene Ordnung wiederholt umwerfen,
bevor er sich genügt. Je großer seine Sprachkenntnisse, je behender sein Scharf¬
blick, um so schneller wird ihm die Arbeit von statten gehn, aber auch die
stärkste Kraft und der beste Takt werden ihn nicht vor Unsicherheit bewahren.
Woher kommt z. B. dem Wort Katze die Nebenbedeutung einer ledernen Geld¬
tasche, welche um den Leib geschlungen wird? war diese ursprünglich aus
Katzenfellen, frägt er sich grübelnd und hat solche Verwendung des Katzenfelles
vielleicht einen abergläubischen Grund, der erwähnt werden sollte? Der Be¬
arbeiter eilt zu seinem Bücherschrank und sucht nach der socialen Stellung, welche
die Katze in unserer alten Mythologie eingenommen hat. Endlich nach langem
Sinnen und Suchen hat er das wichtige Stammwort Katze vollendet, er denkt
vielleichteinwenig beiden leichterverständlichenKompvsiten dieses Wortes auszuruhen.
Da tritt ihm sogleich das allbekannte Wort K a tzen ja um er drohend entgegen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/38>, abgerufen am 23.07.2024.