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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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in einen politischen Wirkungskreis als Gesandter in Mainz und ging nun rasch
in dem großen Gange der Ereignisse der folgenden Jahre bis zum leitenden
Staatsminister vorwärts; während Gneisenau 1760 geboren, zwar auch das
Kind eines deutschen Reichsritters war, aber nur mit dem Unterschied, daß die¬
ser Ritter Lieutenant in der gegen Friedrich den Großen aufgestellten Reichs¬
armee ist und die Wiege unsres Helden im Marschquartier Schild" aufstellte,
wo Mutter und Kind blieben, während er weiter zog. Die Mutter, selbst flüch¬
tig, verlor das Kind vom Wagen und nur eine glückliche Hand hob es aus
dem Wagengeleise auf. Die Mutter starb bald nach der Geburt, der Knabe
blieb auf Gnadenbrod in Schilda und erreichte hier das neunte Jahr, ehe ihm
eine andere Erziehung ward, als die, welche Mutter Natur gewährt. 1769
führte ihn ein günstiges Geschick in das Haus seines Großvaters mütterlicher
Seits. Hier blieb er bis zum Jahr 1777, in einem ganz katholischen und
ernsten Hause wurde er dem geistlosen aber strengen und formellen Unterricht
der Jesuiten übergeben. -- Im letztgenannten Jahre starb der Großvater und unser
Gneisenau wird Student in Erfurt, konnte sich hier nicht halten, nahm östrei¬
chische Kriegsdienste, verließ diese und trat 178" in das anspachische Militär,
das an England vermiethet in Amerika eine reiche Zukunft versprach; aber
als Gneisenau endlich 1782 dort ankam, ging der Krieg zu Ende und er mußte
im folgenden Jahre zurückkehren, ohne eine andere militärische Erfahrung ge¬
macht zu haben, als die, welche ihm der Blick in die dortigen Verhältnisse ver¬
schaffte. Aber diese Erfahrung war nicht unbedeutend, da sie ihn nicht nur mit
den Ideen und Institutionen eines freien Volks bekannt machte, sondern auch
die Kraft erkennen ließ, welche der Staat in einem bewaffneten Volk und welche
ein Heer in der entwickelten Persönlichkeit des Soldaten findet. Das waren
Gedanken, die später fruchtbringend in Preußen wirken sollten. 1783--86 ver¬
lebte Gneisenau idyllisch in Anspach als Jnfanterielieutenant, fand aber hierbei
keine Befriedigung. Er suchte größere Verhältnisse. 1786 wurde er Prcmierlieute-
nant in einem der zur Ausübung des leichten und Tirailleurbienstes vom Kö¬
nig von Preußen neu errichteten Füsiliervataillons in Löwenberg in Schlesien.
Hier beginnt nun ein zwanzigjähriges Garnisonleben von 1786 bis 1806, in wel¬
chem er 1790 Hauptmann wird, 179S eine Compagnie und somit zum ersten
Mal ein leidliches Auskommen erhält, 1796 heirathet, 1804 ein Gut kauft,
ohne die entsprechenden Mittel zu besitzen und nun schwankt, ob er Soldat
bleiben oder ganz Landwirth werden soll. -- Die großen Ereignisse der fran¬
zösischen Revolution und die daraus folgenden Kriege hatten, mit Ausnahme
einiger Märsche, ihn noch nicht persönlich in Anspruch genommen. Da trat die
große Katastrophe von 1806 ein, welche keinen preußischen Soldaten unberührt
ließ und welche bestimmt war, Gneisenau zu den leitenden Elementen des Staats
zu berufen. -- Während Stein mit 47 Jahren schon seinen Ruf als Staats-


in einen politischen Wirkungskreis als Gesandter in Mainz und ging nun rasch
in dem großen Gange der Ereignisse der folgenden Jahre bis zum leitenden
Staatsminister vorwärts; während Gneisenau 1760 geboren, zwar auch das
Kind eines deutschen Reichsritters war, aber nur mit dem Unterschied, daß die¬
ser Ritter Lieutenant in der gegen Friedrich den Großen aufgestellten Reichs¬
armee ist und die Wiege unsres Helden im Marschquartier Schild« aufstellte,
wo Mutter und Kind blieben, während er weiter zog. Die Mutter, selbst flüch¬
tig, verlor das Kind vom Wagen und nur eine glückliche Hand hob es aus
dem Wagengeleise auf. Die Mutter starb bald nach der Geburt, der Knabe
blieb auf Gnadenbrod in Schilda und erreichte hier das neunte Jahr, ehe ihm
eine andere Erziehung ward, als die, welche Mutter Natur gewährt. 1769
führte ihn ein günstiges Geschick in das Haus seines Großvaters mütterlicher
Seits. Hier blieb er bis zum Jahr 1777, in einem ganz katholischen und
ernsten Hause wurde er dem geistlosen aber strengen und formellen Unterricht
der Jesuiten übergeben. — Im letztgenannten Jahre starb der Großvater und unser
Gneisenau wird Student in Erfurt, konnte sich hier nicht halten, nahm östrei¬
chische Kriegsdienste, verließ diese und trat 178» in das anspachische Militär,
das an England vermiethet in Amerika eine reiche Zukunft versprach; aber
als Gneisenau endlich 1782 dort ankam, ging der Krieg zu Ende und er mußte
im folgenden Jahre zurückkehren, ohne eine andere militärische Erfahrung ge¬
macht zu haben, als die, welche ihm der Blick in die dortigen Verhältnisse ver¬
schaffte. Aber diese Erfahrung war nicht unbedeutend, da sie ihn nicht nur mit
den Ideen und Institutionen eines freien Volks bekannt machte, sondern auch
die Kraft erkennen ließ, welche der Staat in einem bewaffneten Volk und welche
ein Heer in der entwickelten Persönlichkeit des Soldaten findet. Das waren
Gedanken, die später fruchtbringend in Preußen wirken sollten. 1783—86 ver¬
lebte Gneisenau idyllisch in Anspach als Jnfanterielieutenant, fand aber hierbei
keine Befriedigung. Er suchte größere Verhältnisse. 1786 wurde er Prcmierlieute-
nant in einem der zur Ausübung des leichten und Tirailleurbienstes vom Kö¬
nig von Preußen neu errichteten Füsiliervataillons in Löwenberg in Schlesien.
Hier beginnt nun ein zwanzigjähriges Garnisonleben von 1786 bis 1806, in wel¬
chem er 1790 Hauptmann wird, 179S eine Compagnie und somit zum ersten
Mal ein leidliches Auskommen erhält, 1796 heirathet, 1804 ein Gut kauft,
ohne die entsprechenden Mittel zu besitzen und nun schwankt, ob er Soldat
bleiben oder ganz Landwirth werden soll. — Die großen Ereignisse der fran¬
zösischen Revolution und die daraus folgenden Kriege hatten, mit Ausnahme
einiger Märsche, ihn noch nicht persönlich in Anspruch genommen. Da trat die
große Katastrophe von 1806 ein, welche keinen preußischen Soldaten unberührt
ließ und welche bestimmt war, Gneisenau zu den leitenden Elementen des Staats
zu berufen. — Während Stein mit 47 Jahren schon seinen Ruf als Staats-


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[0376] in einen politischen Wirkungskreis als Gesandter in Mainz und ging nun rasch in dem großen Gange der Ereignisse der folgenden Jahre bis zum leitenden Staatsminister vorwärts; während Gneisenau 1760 geboren, zwar auch das Kind eines deutschen Reichsritters war, aber nur mit dem Unterschied, daß die¬ ser Ritter Lieutenant in der gegen Friedrich den Großen aufgestellten Reichs¬ armee ist und die Wiege unsres Helden im Marschquartier Schild« aufstellte, wo Mutter und Kind blieben, während er weiter zog. Die Mutter, selbst flüch¬ tig, verlor das Kind vom Wagen und nur eine glückliche Hand hob es aus dem Wagengeleise auf. Die Mutter starb bald nach der Geburt, der Knabe blieb auf Gnadenbrod in Schilda und erreichte hier das neunte Jahr, ehe ihm eine andere Erziehung ward, als die, welche Mutter Natur gewährt. 1769 führte ihn ein günstiges Geschick in das Haus seines Großvaters mütterlicher Seits. Hier blieb er bis zum Jahr 1777, in einem ganz katholischen und ernsten Hause wurde er dem geistlosen aber strengen und formellen Unterricht der Jesuiten übergeben. — Im letztgenannten Jahre starb der Großvater und unser Gneisenau wird Student in Erfurt, konnte sich hier nicht halten, nahm östrei¬ chische Kriegsdienste, verließ diese und trat 178» in das anspachische Militär, das an England vermiethet in Amerika eine reiche Zukunft versprach; aber als Gneisenau endlich 1782 dort ankam, ging der Krieg zu Ende und er mußte im folgenden Jahre zurückkehren, ohne eine andere militärische Erfahrung ge¬ macht zu haben, als die, welche ihm der Blick in die dortigen Verhältnisse ver¬ schaffte. Aber diese Erfahrung war nicht unbedeutend, da sie ihn nicht nur mit den Ideen und Institutionen eines freien Volks bekannt machte, sondern auch die Kraft erkennen ließ, welche der Staat in einem bewaffneten Volk und welche ein Heer in der entwickelten Persönlichkeit des Soldaten findet. Das waren Gedanken, die später fruchtbringend in Preußen wirken sollten. 1783—86 ver¬ lebte Gneisenau idyllisch in Anspach als Jnfanterielieutenant, fand aber hierbei keine Befriedigung. Er suchte größere Verhältnisse. 1786 wurde er Prcmierlieute- nant in einem der zur Ausübung des leichten und Tirailleurbienstes vom Kö¬ nig von Preußen neu errichteten Füsiliervataillons in Löwenberg in Schlesien. Hier beginnt nun ein zwanzigjähriges Garnisonleben von 1786 bis 1806, in wel¬ chem er 1790 Hauptmann wird, 179S eine Compagnie und somit zum ersten Mal ein leidliches Auskommen erhält, 1796 heirathet, 1804 ein Gut kauft, ohne die entsprechenden Mittel zu besitzen und nun schwankt, ob er Soldat bleiben oder ganz Landwirth werden soll. — Die großen Ereignisse der fran¬ zösischen Revolution und die daraus folgenden Kriege hatten, mit Ausnahme einiger Märsche, ihn noch nicht persönlich in Anspruch genommen. Da trat die große Katastrophe von 1806 ein, welche keinen preußischen Soldaten unberührt ließ und welche bestimmt war, Gneisenau zu den leitenden Elementen des Staats zu berufen. — Während Stein mit 47 Jahren schon seinen Ruf als Staats-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/376>, abgerufen am 23.07.2024.