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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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zur Antike, oder vielmehr, da das neunzehnte Jahrhundert seiner Denkart wie
seinem Lebenszuschnitt nach mit dem sechzehnten in innerem und dem nächsten
geschichtlichen Zusammenhange steht, eine noch nähere, die der innigsten Wahl¬
verwandtschaft. Wir haben in diesen Blättern bei Gelegenheit der Münchener
Ausstellung von 1863 dieses Verhältniß der Gegenwart zur Renaissance näher
besprochen und gehen deshalb hier nicht darauf ein. Zudem, von dem beiden
Epochen gemeinsamen Charakter der Weltanschauung nicht zu reden, liegt ja
auf der Hand, daß in beiden die Baubedürfnisse dieselben sind. Was aber von
den Formen der Antike galt, daß sie nämlich zu immer giltigen Mustern ge¬
worden: dasselbe gilt von ihrer Erneuerung und Anwendung durch die Renais¬
sance, insbesondere von dem unerschöpflichen Reichthum neuer Combinationen,
in welchen sie von dieser den Charakter des neuen Lebens empfangen haben.
Und mehr noch-, wenn die classischen Formen insofern in sich abgeschlossen sind,
als sie wohl zu neuen Bildungen sich verbinden lassen, jedoch eben ihrer Voll¬
endung halber eine wirklich gelungene Umgestaltung ausschließen: so läßt da¬
gegen ihre Verbindung nach dem Vorbilde der Renaissance auch jetzt noch
der Phantasie einen unbegrenzten Spielraum. Worin endlich' diese unserer Zeit
eigenthümliches Muster sein kann, das ist einerseits ihr feines Gefühl für Raum¬
eintheilung und Rythmus der Verhältnisse, andrerseits die wunderbare Schön¬
heit ihrer das ganze organische Leben umfassenden Ornamentation. Ob wir
ihrem Vorgange folgend eine neue Bauweise finden werden -- wer wird da¬
ran denken? Der einsichtige und phantasievolle Baumeister gewiß ebensowenig,
als jene Architekten des Cinquecento. So viel aber ist gewiß, daß wir auf
diesem Wege sowohl die Zwecke unseres Zeitalters erfüllen als ihnen den echten
künstlerischen Ausdruck geben. Eine Architektur, die dies zu Stande bringt, ist
immer eigenthümlich. Und wenn die Renaissance nicht selten in überquellendem
Trieb nach Schmuck und Pracht die ernsten gehaltenen Formen der Antike als
bloße Decorationsstücke mit vollen Händen auf ihre Bauten ausstreut: so können
wir ja darin eine eigene Phantasie bewähren, daß wir ihren Reichthum auf
die maßvolle Ordnung und die klare Gesetzmäßigkeit der antiken Bauweise zu-
zurückzuführen suchen und sie in die Zucht der nun tiefer erschlossenen griechischen
Kunst nehmen.

So ausführlich wäre diesmal die Rede nicht auf die Architektur der Re¬
naissance gekommen, wenn nicht jene Hoffnungen, deren oben gedacht ist, für
München eine vielleicht glänzende Erneuerung derselben in Aussicht stellte".
Die Bauausgaben, welche dort in diesem Augenblicke sich darbieten, lassen sich
günstiger nicht treffen. Ein Ständehaus, eine polytechnische Schule, eine pro"
testantische Kirche: so gilt es, den Raum für die größten Interessen des moder¬
nen Lebens künstlerisch zu gestalten. Nur Eines fehlt noch : die Kunst selber.

Dieser und zwar dem Zweig derselben, den unser Jahrhundert zu voller


zur Antike, oder vielmehr, da das neunzehnte Jahrhundert seiner Denkart wie
seinem Lebenszuschnitt nach mit dem sechzehnten in innerem und dem nächsten
geschichtlichen Zusammenhange steht, eine noch nähere, die der innigsten Wahl¬
verwandtschaft. Wir haben in diesen Blättern bei Gelegenheit der Münchener
Ausstellung von 1863 dieses Verhältniß der Gegenwart zur Renaissance näher
besprochen und gehen deshalb hier nicht darauf ein. Zudem, von dem beiden
Epochen gemeinsamen Charakter der Weltanschauung nicht zu reden, liegt ja
auf der Hand, daß in beiden die Baubedürfnisse dieselben sind. Was aber von
den Formen der Antike galt, daß sie nämlich zu immer giltigen Mustern ge¬
worden: dasselbe gilt von ihrer Erneuerung und Anwendung durch die Renais¬
sance, insbesondere von dem unerschöpflichen Reichthum neuer Combinationen,
in welchen sie von dieser den Charakter des neuen Lebens empfangen haben.
Und mehr noch-, wenn die classischen Formen insofern in sich abgeschlossen sind,
als sie wohl zu neuen Bildungen sich verbinden lassen, jedoch eben ihrer Voll¬
endung halber eine wirklich gelungene Umgestaltung ausschließen: so läßt da¬
gegen ihre Verbindung nach dem Vorbilde der Renaissance auch jetzt noch
der Phantasie einen unbegrenzten Spielraum. Worin endlich' diese unserer Zeit
eigenthümliches Muster sein kann, das ist einerseits ihr feines Gefühl für Raum¬
eintheilung und Rythmus der Verhältnisse, andrerseits die wunderbare Schön¬
heit ihrer das ganze organische Leben umfassenden Ornamentation. Ob wir
ihrem Vorgange folgend eine neue Bauweise finden werden — wer wird da¬
ran denken? Der einsichtige und phantasievolle Baumeister gewiß ebensowenig,
als jene Architekten des Cinquecento. So viel aber ist gewiß, daß wir auf
diesem Wege sowohl die Zwecke unseres Zeitalters erfüllen als ihnen den echten
künstlerischen Ausdruck geben. Eine Architektur, die dies zu Stande bringt, ist
immer eigenthümlich. Und wenn die Renaissance nicht selten in überquellendem
Trieb nach Schmuck und Pracht die ernsten gehaltenen Formen der Antike als
bloße Decorationsstücke mit vollen Händen auf ihre Bauten ausstreut: so können
wir ja darin eine eigene Phantasie bewähren, daß wir ihren Reichthum auf
die maßvolle Ordnung und die klare Gesetzmäßigkeit der antiken Bauweise zu-
zurückzuführen suchen und sie in die Zucht der nun tiefer erschlossenen griechischen
Kunst nehmen.

So ausführlich wäre diesmal die Rede nicht auf die Architektur der Re¬
naissance gekommen, wenn nicht jene Hoffnungen, deren oben gedacht ist, für
München eine vielleicht glänzende Erneuerung derselben in Aussicht stellte».
Die Bauausgaben, welche dort in diesem Augenblicke sich darbieten, lassen sich
günstiger nicht treffen. Ein Ständehaus, eine polytechnische Schule, eine pro«
testantische Kirche: so gilt es, den Raum für die größten Interessen des moder¬
nen Lebens künstlerisch zu gestalten. Nur Eines fehlt noch : die Kunst selber.

Dieser und zwar dem Zweig derselben, den unser Jahrhundert zu voller


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[0372] zur Antike, oder vielmehr, da das neunzehnte Jahrhundert seiner Denkart wie seinem Lebenszuschnitt nach mit dem sechzehnten in innerem und dem nächsten geschichtlichen Zusammenhange steht, eine noch nähere, die der innigsten Wahl¬ verwandtschaft. Wir haben in diesen Blättern bei Gelegenheit der Münchener Ausstellung von 1863 dieses Verhältniß der Gegenwart zur Renaissance näher besprochen und gehen deshalb hier nicht darauf ein. Zudem, von dem beiden Epochen gemeinsamen Charakter der Weltanschauung nicht zu reden, liegt ja auf der Hand, daß in beiden die Baubedürfnisse dieselben sind. Was aber von den Formen der Antike galt, daß sie nämlich zu immer giltigen Mustern ge¬ worden: dasselbe gilt von ihrer Erneuerung und Anwendung durch die Renais¬ sance, insbesondere von dem unerschöpflichen Reichthum neuer Combinationen, in welchen sie von dieser den Charakter des neuen Lebens empfangen haben. Und mehr noch-, wenn die classischen Formen insofern in sich abgeschlossen sind, als sie wohl zu neuen Bildungen sich verbinden lassen, jedoch eben ihrer Voll¬ endung halber eine wirklich gelungene Umgestaltung ausschließen: so läßt da¬ gegen ihre Verbindung nach dem Vorbilde der Renaissance auch jetzt noch der Phantasie einen unbegrenzten Spielraum. Worin endlich' diese unserer Zeit eigenthümliches Muster sein kann, das ist einerseits ihr feines Gefühl für Raum¬ eintheilung und Rythmus der Verhältnisse, andrerseits die wunderbare Schön¬ heit ihrer das ganze organische Leben umfassenden Ornamentation. Ob wir ihrem Vorgange folgend eine neue Bauweise finden werden — wer wird da¬ ran denken? Der einsichtige und phantasievolle Baumeister gewiß ebensowenig, als jene Architekten des Cinquecento. So viel aber ist gewiß, daß wir auf diesem Wege sowohl die Zwecke unseres Zeitalters erfüllen als ihnen den echten künstlerischen Ausdruck geben. Eine Architektur, die dies zu Stande bringt, ist immer eigenthümlich. Und wenn die Renaissance nicht selten in überquellendem Trieb nach Schmuck und Pracht die ernsten gehaltenen Formen der Antike als bloße Decorationsstücke mit vollen Händen auf ihre Bauten ausstreut: so können wir ja darin eine eigene Phantasie bewähren, daß wir ihren Reichthum auf die maßvolle Ordnung und die klare Gesetzmäßigkeit der antiken Bauweise zu- zurückzuführen suchen und sie in die Zucht der nun tiefer erschlossenen griechischen Kunst nehmen. So ausführlich wäre diesmal die Rede nicht auf die Architektur der Re¬ naissance gekommen, wenn nicht jene Hoffnungen, deren oben gedacht ist, für München eine vielleicht glänzende Erneuerung derselben in Aussicht stellte». Die Bauausgaben, welche dort in diesem Augenblicke sich darbieten, lassen sich günstiger nicht treffen. Ein Ständehaus, eine polytechnische Schule, eine pro« testantische Kirche: so gilt es, den Raum für die größten Interessen des moder¬ nen Lebens künstlerisch zu gestalten. Nur Eines fehlt noch : die Kunst selber. Dieser und zwar dem Zweig derselben, den unser Jahrhundert zu voller

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/372>, abgerufen am 23.07.2024.