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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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Schatten bringen und so jene wunderbare malerische Wirkung erzeugen, welche
den Renaissancebauten für unsere Phantasie einen so großen Reiz giebt.

Daß also die neue Architektur der Antike diese Formen, dann insbesondre
ihre Gesimsbildung und die Art ihrer Decoration entnimmt, hindert sie nicht,
in der Composition ihrer Gebäude, in der Anordnung und Vertheilung der
Räume in eigenthümlicher Weise schöpferisch zu sein. Sie machte an sich
selber und unbewußt die große fruchtbare, Entdeckung, daß die antiken Formen
mustergiltig für jede Baukunst sind, welche auf dieser Welt zu Hause ist und
einem Leben die Stätte bereiten soll, das auf harmonische Entwicklung von
Geist und Sinnlichkeit sich richtet. Dachten jene italienischen Meister, welche
sich in Rom dem Studium der classischen Bauwerke ganz lüngaben, die schon
genannten Brunellesco und Bramante. dann ein Alberti. der den Vitruv er-
"euerte, ein Cronaca, der antike Krönungsgesimse an neuen Palästen geradezu
nachbildete, ein Peruzzi, der über die römischen Alterthümer schrieb -- sollten
diese Meister die Absicht gehabt haben. durch jenes Studium eine neue Bau.
weise finden zu wollen? Sicher nicht. So naiv gingen sie in die alte Anschau-
ungsweise ein. daß Alberti von christlichen Kirchen nur noch wie von Götter¬
tempeln sprach, daß Bramante, wie bemerkt, die Idee zu seiner Peterskirche
von einer römischen Ruine empfing. Aber indem sie die classische Kunst nur
Wiederherzustellen meinten und dennoch für die Zwecke ihres Zeitalters aus
eigener Phantasie neue Pläne der Raumgestaltung fanden, da gab sich ein
eigenthümliches Schaffen von selbst, und ungesucht wie gewachsen, erhob sich
"me neue Architektur aus dem Boden. Wer die Antike blos nachahmt, ver.
steht sie nicht; von seinem nüchternen, geistlosen Sinn läßt sich ihr Wesen nicht
fassen. Die Renaissance verstand das Alterthum, wenn auch so manche Seite
seines Lebens, welche erst die heutige Forschung aufgedeckt hat. ihr noch ver-
schlössen blieb. wenn es zum Theil auch späte Formen waren. an denen sie sich
begeisterte; sie verstand es. weil sie es in die Phantasie aufnahm und in dieser
gleichsam neugestaltete, weil sie es wiederlebte und wieder empfand. Aus dem
Vitruv. zu dessen eingehendem Studium noch unter Paul dem Dritten eine
Anzahl von Künstlern . Literaten und Edelleuten, an der Spitze der Cardinal
Tarnest, eine Art Akademie bildeten -- aus dem trockenen Buch des nüchter¬
nen Baumeisters hätten sich sicher die antiken Formen nicht wiederbeleben lassen,
Wenn nicht in ihnen selbst eine Lebenskraft war. welche die Renaissance durch
°'n tieferes Verständniß zu entbinden verstand. Dadurch also, daß diese für
die neuen Zwecke und die Anschauung ihrer Zeit mit Freiheit und Verständniß
^gleich jene Formen zu gebrauchen wußte, ward ihre Baukunst groß und
schöpferisch.

Der Ufer weiß, weshalb wir von der Renaissance bei Gelegenheit der modernen
Architektur reden. Weil wir hu ihr eine gleiche Stellung einnehmen, wie sie


Schatten bringen und so jene wunderbare malerische Wirkung erzeugen, welche
den Renaissancebauten für unsere Phantasie einen so großen Reiz giebt.

Daß also die neue Architektur der Antike diese Formen, dann insbesondre
ihre Gesimsbildung und die Art ihrer Decoration entnimmt, hindert sie nicht,
in der Composition ihrer Gebäude, in der Anordnung und Vertheilung der
Räume in eigenthümlicher Weise schöpferisch zu sein. Sie machte an sich
selber und unbewußt die große fruchtbare, Entdeckung, daß die antiken Formen
mustergiltig für jede Baukunst sind, welche auf dieser Welt zu Hause ist und
einem Leben die Stätte bereiten soll, das auf harmonische Entwicklung von
Geist und Sinnlichkeit sich richtet. Dachten jene italienischen Meister, welche
sich in Rom dem Studium der classischen Bauwerke ganz lüngaben, die schon
genannten Brunellesco und Bramante. dann ein Alberti. der den Vitruv er-
»euerte, ein Cronaca, der antike Krönungsgesimse an neuen Palästen geradezu
nachbildete, ein Peruzzi, der über die römischen Alterthümer schrieb — sollten
diese Meister die Absicht gehabt haben. durch jenes Studium eine neue Bau.
weise finden zu wollen? Sicher nicht. So naiv gingen sie in die alte Anschau-
ungsweise ein. daß Alberti von christlichen Kirchen nur noch wie von Götter¬
tempeln sprach, daß Bramante, wie bemerkt, die Idee zu seiner Peterskirche
von einer römischen Ruine empfing. Aber indem sie die classische Kunst nur
Wiederherzustellen meinten und dennoch für die Zwecke ihres Zeitalters aus
eigener Phantasie neue Pläne der Raumgestaltung fanden, da gab sich ein
eigenthümliches Schaffen von selbst, und ungesucht wie gewachsen, erhob sich
«me neue Architektur aus dem Boden. Wer die Antike blos nachahmt, ver.
steht sie nicht; von seinem nüchternen, geistlosen Sinn läßt sich ihr Wesen nicht
fassen. Die Renaissance verstand das Alterthum, wenn auch so manche Seite
seines Lebens, welche erst die heutige Forschung aufgedeckt hat. ihr noch ver-
schlössen blieb. wenn es zum Theil auch späte Formen waren. an denen sie sich
begeisterte; sie verstand es. weil sie es in die Phantasie aufnahm und in dieser
gleichsam neugestaltete, weil sie es wiederlebte und wieder empfand. Aus dem
Vitruv. zu dessen eingehendem Studium noch unter Paul dem Dritten eine
Anzahl von Künstlern . Literaten und Edelleuten, an der Spitze der Cardinal
Tarnest, eine Art Akademie bildeten — aus dem trockenen Buch des nüchter¬
nen Baumeisters hätten sich sicher die antiken Formen nicht wiederbeleben lassen,
Wenn nicht in ihnen selbst eine Lebenskraft war. welche die Renaissance durch
°'n tieferes Verständniß zu entbinden verstand. Dadurch also, daß diese für
die neuen Zwecke und die Anschauung ihrer Zeit mit Freiheit und Verständniß
^gleich jene Formen zu gebrauchen wußte, ward ihre Baukunst groß und
schöpferisch.

Der Ufer weiß, weshalb wir von der Renaissance bei Gelegenheit der modernen
Architektur reden. Weil wir hu ihr eine gleiche Stellung einnehmen, wie sie


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[0371] Schatten bringen und so jene wunderbare malerische Wirkung erzeugen, welche den Renaissancebauten für unsere Phantasie einen so großen Reiz giebt. Daß also die neue Architektur der Antike diese Formen, dann insbesondre ihre Gesimsbildung und die Art ihrer Decoration entnimmt, hindert sie nicht, in der Composition ihrer Gebäude, in der Anordnung und Vertheilung der Räume in eigenthümlicher Weise schöpferisch zu sein. Sie machte an sich selber und unbewußt die große fruchtbare, Entdeckung, daß die antiken Formen mustergiltig für jede Baukunst sind, welche auf dieser Welt zu Hause ist und einem Leben die Stätte bereiten soll, das auf harmonische Entwicklung von Geist und Sinnlichkeit sich richtet. Dachten jene italienischen Meister, welche sich in Rom dem Studium der classischen Bauwerke ganz lüngaben, die schon genannten Brunellesco und Bramante. dann ein Alberti. der den Vitruv er- »euerte, ein Cronaca, der antike Krönungsgesimse an neuen Palästen geradezu nachbildete, ein Peruzzi, der über die römischen Alterthümer schrieb — sollten diese Meister die Absicht gehabt haben. durch jenes Studium eine neue Bau. weise finden zu wollen? Sicher nicht. So naiv gingen sie in die alte Anschau- ungsweise ein. daß Alberti von christlichen Kirchen nur noch wie von Götter¬ tempeln sprach, daß Bramante, wie bemerkt, die Idee zu seiner Peterskirche von einer römischen Ruine empfing. Aber indem sie die classische Kunst nur Wiederherzustellen meinten und dennoch für die Zwecke ihres Zeitalters aus eigener Phantasie neue Pläne der Raumgestaltung fanden, da gab sich ein eigenthümliches Schaffen von selbst, und ungesucht wie gewachsen, erhob sich «me neue Architektur aus dem Boden. Wer die Antike blos nachahmt, ver. steht sie nicht; von seinem nüchternen, geistlosen Sinn läßt sich ihr Wesen nicht fassen. Die Renaissance verstand das Alterthum, wenn auch so manche Seite seines Lebens, welche erst die heutige Forschung aufgedeckt hat. ihr noch ver- schlössen blieb. wenn es zum Theil auch späte Formen waren. an denen sie sich begeisterte; sie verstand es. weil sie es in die Phantasie aufnahm und in dieser gleichsam neugestaltete, weil sie es wiederlebte und wieder empfand. Aus dem Vitruv. zu dessen eingehendem Studium noch unter Paul dem Dritten eine Anzahl von Künstlern . Literaten und Edelleuten, an der Spitze der Cardinal Tarnest, eine Art Akademie bildeten — aus dem trockenen Buch des nüchter¬ nen Baumeisters hätten sich sicher die antiken Formen nicht wiederbeleben lassen, Wenn nicht in ihnen selbst eine Lebenskraft war. welche die Renaissance durch °'n tieferes Verständniß zu entbinden verstand. Dadurch also, daß diese für die neuen Zwecke und die Anschauung ihrer Zeit mit Freiheit und Verständniß ^gleich jene Formen zu gebrauchen wußte, ward ihre Baukunst groß und schöpferisch. Der Ufer weiß, weshalb wir von der Renaissance bei Gelegenheit der modernen Architektur reden. Weil wir hu ihr eine gleiche Stellung einnehmen, wie sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/371>, abgerufen am 23.07.2024.