Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

haben -- um sie für moderne Facaden an weltlichen Gebäuden zu gebrauchen.
Kein Wunder daher, daß er das Aeußere eines Regierungsgebäudes nach einer
Reminiscenz an den Längenschnitt eines gothischen Hauptschiffes gestaltet (vergl.
Grenzboten 1863, I. 414) und seine Privathäuser durch mit Rundbogenfriesen
verbundene -- oder auch durch horizontalabschließende Streifen rahmenartig ge¬
bildete -- Lisenen scheitrecht abtheilt: eine an sich arme Form, die nur Sinn
und Wirkung hat, wo sie theils als Verstärkung der Mauer das Widerlager
für die Bunde der Dachconstruction oder die inneren Gewölbebögen abgiebt,
theils am Aeußeren der dccorative Nachklang des Jnnenbaues ist.

Mit einer solchen Anwendung jener Stilelcmente verletzt diese Bauart zu¬
gleich das erste architektonische Gesetz: daß sich nämlich in der äußeren
Form die Zweckbestimmung sowohl als die innere Anordnung des Gebäudes
deutlich auszusprechen habe. Sie entlehnt Formen, in welchen sich der Cha¬
rakter unseres privaten und öffentlichen Lebens nicht wiedergeben läßt (wie ihr
denn dafür schon die erste Bedingung, die der wagrechten Gliederung fehlt) und
verläugnet in ihren in die Höhe ausgerecktem Facaden die innere Raumeinthei¬
lung. In demselben verkehrten Sinne ist ihre Ornamentation gehalten. Ihre
Hauptzüge bilden der Spitzbogen, der decorativ nur da auftreten sollte, wo er
zugleich in der Strenge seines constructiver Princips durchgeführt ist, gothisches
Maßwerk, das für sich, abgetrennt von dem aufstrebenden durchbrochenen Ge¬
rüst des Systems, ausdruckslos ist, und der Rosettenschmuck, der vervielfältigt
nur an den Lakunarien und neutralen Füllungen sinnvoll und wirksam ist.

Doch damit nicht genug. Diese Architektur verletzt auch, wie schon bemerkt, die
eigenen Gesetze derFormen, die sie aus früheren Stilen herbeigeschleppt
hat; denn sie gebraucht sie losgelöst von ihrem structiven Princip, wie eine
vom Kern abgezogene Hülle. Sie will neu sein und quält daher die verschie¬
denartigsten Formen zu einer Verbindung und Gestalt zusammen, für deren
Abenteuerlichkeit sich allerdings in der ganzen Geschichte der Kunst kaum ein
zweites Beispiel wird auftreiben lassen. Um diese Wirkungen zu erreichen, ver¬
schmäht sie auch entlegene und ausländische Formen nicht, die sich nur durch den
Zwang des structiven Bedürfnisses erklären, von ihr aber decorativ verwendet
werden (z. B. der Tudorbogen am Nationalmuseum). Ja, sie nimmt, um eine
unpassende Mannigfaltigkeit in die Bekrönung ihrer Gebäude zu bringen, selbst
zu ländlichen Dachkränzen mit hölzernen Dachsparren ihre Zuflucht: ein naiv
liebenswürdiger Abschluß für das Prachtkleid, mit dem sich der Bau brüstet,
wie etwa der breitkrämpige Bauernhut für die schlanke Zierlichkeit des Fracks.

Wie sollte man auch ein Verständniß für die in der Architektur wirkenden
Gesetze da erwarten dürfen, wo nicht einmal ihre Grundbedingungen
beachtet sind. Zu diesen gehört doch wohl ein gewisses Verhältniß der Gebäude-
sorm nach den drei Dimensionen der Höhe, Tiefe und Breite; eine rhythmische


haben — um sie für moderne Facaden an weltlichen Gebäuden zu gebrauchen.
Kein Wunder daher, daß er das Aeußere eines Regierungsgebäudes nach einer
Reminiscenz an den Längenschnitt eines gothischen Hauptschiffes gestaltet (vergl.
Grenzboten 1863, I. 414) und seine Privathäuser durch mit Rundbogenfriesen
verbundene — oder auch durch horizontalabschließende Streifen rahmenartig ge¬
bildete — Lisenen scheitrecht abtheilt: eine an sich arme Form, die nur Sinn
und Wirkung hat, wo sie theils als Verstärkung der Mauer das Widerlager
für die Bunde der Dachconstruction oder die inneren Gewölbebögen abgiebt,
theils am Aeußeren der dccorative Nachklang des Jnnenbaues ist.

Mit einer solchen Anwendung jener Stilelcmente verletzt diese Bauart zu¬
gleich das erste architektonische Gesetz: daß sich nämlich in der äußeren
Form die Zweckbestimmung sowohl als die innere Anordnung des Gebäudes
deutlich auszusprechen habe. Sie entlehnt Formen, in welchen sich der Cha¬
rakter unseres privaten und öffentlichen Lebens nicht wiedergeben läßt (wie ihr
denn dafür schon die erste Bedingung, die der wagrechten Gliederung fehlt) und
verläugnet in ihren in die Höhe ausgerecktem Facaden die innere Raumeinthei¬
lung. In demselben verkehrten Sinne ist ihre Ornamentation gehalten. Ihre
Hauptzüge bilden der Spitzbogen, der decorativ nur da auftreten sollte, wo er
zugleich in der Strenge seines constructiver Princips durchgeführt ist, gothisches
Maßwerk, das für sich, abgetrennt von dem aufstrebenden durchbrochenen Ge¬
rüst des Systems, ausdruckslos ist, und der Rosettenschmuck, der vervielfältigt
nur an den Lakunarien und neutralen Füllungen sinnvoll und wirksam ist.

Doch damit nicht genug. Diese Architektur verletzt auch, wie schon bemerkt, die
eigenen Gesetze derFormen, die sie aus früheren Stilen herbeigeschleppt
hat; denn sie gebraucht sie losgelöst von ihrem structiven Princip, wie eine
vom Kern abgezogene Hülle. Sie will neu sein und quält daher die verschie¬
denartigsten Formen zu einer Verbindung und Gestalt zusammen, für deren
Abenteuerlichkeit sich allerdings in der ganzen Geschichte der Kunst kaum ein
zweites Beispiel wird auftreiben lassen. Um diese Wirkungen zu erreichen, ver¬
schmäht sie auch entlegene und ausländische Formen nicht, die sich nur durch den
Zwang des structiven Bedürfnisses erklären, von ihr aber decorativ verwendet
werden (z. B. der Tudorbogen am Nationalmuseum). Ja, sie nimmt, um eine
unpassende Mannigfaltigkeit in die Bekrönung ihrer Gebäude zu bringen, selbst
zu ländlichen Dachkränzen mit hölzernen Dachsparren ihre Zuflucht: ein naiv
liebenswürdiger Abschluß für das Prachtkleid, mit dem sich der Bau brüstet,
wie etwa der breitkrämpige Bauernhut für die schlanke Zierlichkeit des Fracks.

Wie sollte man auch ein Verständniß für die in der Architektur wirkenden
Gesetze da erwarten dürfen, wo nicht einmal ihre Grundbedingungen
beachtet sind. Zu diesen gehört doch wohl ein gewisses Verhältniß der Gebäude-
sorm nach den drei Dimensionen der Höhe, Tiefe und Breite; eine rhythmische


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0364" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/282605"/>
          <p xml:id="ID_1014" prev="#ID_1013"> haben &#x2014; um sie für moderne Facaden an weltlichen Gebäuden zu gebrauchen.<lb/>
Kein Wunder daher, daß er das Aeußere eines Regierungsgebäudes nach einer<lb/>
Reminiscenz an den Längenschnitt eines gothischen Hauptschiffes gestaltet (vergl.<lb/>
Grenzboten 1863, I. 414) und seine Privathäuser durch mit Rundbogenfriesen<lb/>
verbundene &#x2014; oder auch durch horizontalabschließende Streifen rahmenartig ge¬<lb/>
bildete &#x2014; Lisenen scheitrecht abtheilt: eine an sich arme Form, die nur Sinn<lb/>
und Wirkung hat, wo sie theils als Verstärkung der Mauer das Widerlager<lb/>
für die Bunde der Dachconstruction oder die inneren Gewölbebögen abgiebt,<lb/>
theils am Aeußeren der dccorative Nachklang des Jnnenbaues ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1015"> Mit einer solchen Anwendung jener Stilelcmente verletzt diese Bauart zu¬<lb/>
gleich das erste architektonische Gesetz: daß sich nämlich in der äußeren<lb/>
Form die Zweckbestimmung sowohl als die innere Anordnung des Gebäudes<lb/>
deutlich auszusprechen habe. Sie entlehnt Formen, in welchen sich der Cha¬<lb/>
rakter unseres privaten und öffentlichen Lebens nicht wiedergeben läßt (wie ihr<lb/>
denn dafür schon die erste Bedingung, die der wagrechten Gliederung fehlt) und<lb/>
verläugnet in ihren in die Höhe ausgerecktem Facaden die innere Raumeinthei¬<lb/>
lung. In demselben verkehrten Sinne ist ihre Ornamentation gehalten. Ihre<lb/>
Hauptzüge bilden der Spitzbogen, der decorativ nur da auftreten sollte, wo er<lb/>
zugleich in der Strenge seines constructiver Princips durchgeführt ist, gothisches<lb/>
Maßwerk, das für sich, abgetrennt von dem aufstrebenden durchbrochenen Ge¬<lb/>
rüst des Systems, ausdruckslos ist, und der Rosettenschmuck, der vervielfältigt<lb/>
nur an den Lakunarien und neutralen Füllungen sinnvoll und wirksam ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1016"> Doch damit nicht genug. Diese Architektur verletzt auch, wie schon bemerkt, die<lb/>
eigenen Gesetze derFormen, die sie aus früheren Stilen herbeigeschleppt<lb/>
hat; denn sie gebraucht sie losgelöst von ihrem structiven Princip, wie eine<lb/>
vom Kern abgezogene Hülle. Sie will neu sein und quält daher die verschie¬<lb/>
denartigsten Formen zu einer Verbindung und Gestalt zusammen, für deren<lb/>
Abenteuerlichkeit sich allerdings in der ganzen Geschichte der Kunst kaum ein<lb/>
zweites Beispiel wird auftreiben lassen. Um diese Wirkungen zu erreichen, ver¬<lb/>
schmäht sie auch entlegene und ausländische Formen nicht, die sich nur durch den<lb/>
Zwang des structiven Bedürfnisses erklären, von ihr aber decorativ verwendet<lb/>
werden (z. B. der Tudorbogen am Nationalmuseum). Ja, sie nimmt, um eine<lb/>
unpassende Mannigfaltigkeit in die Bekrönung ihrer Gebäude zu bringen, selbst<lb/>
zu ländlichen Dachkränzen mit hölzernen Dachsparren ihre Zuflucht: ein naiv<lb/>
liebenswürdiger Abschluß für das Prachtkleid, mit dem sich der Bau brüstet,<lb/>
wie etwa der breitkrämpige Bauernhut für die schlanke Zierlichkeit des Fracks.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1017" next="#ID_1018"> Wie sollte man auch ein Verständniß für die in der Architektur wirkenden<lb/>
Gesetze da erwarten dürfen, wo nicht einmal ihre Grundbedingungen<lb/>
beachtet sind. Zu diesen gehört doch wohl ein gewisses Verhältniß der Gebäude-<lb/>
sorm nach den drei Dimensionen der Höhe, Tiefe und Breite; eine rhythmische</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0364] haben — um sie für moderne Facaden an weltlichen Gebäuden zu gebrauchen. Kein Wunder daher, daß er das Aeußere eines Regierungsgebäudes nach einer Reminiscenz an den Längenschnitt eines gothischen Hauptschiffes gestaltet (vergl. Grenzboten 1863, I. 414) und seine Privathäuser durch mit Rundbogenfriesen verbundene — oder auch durch horizontalabschließende Streifen rahmenartig ge¬ bildete — Lisenen scheitrecht abtheilt: eine an sich arme Form, die nur Sinn und Wirkung hat, wo sie theils als Verstärkung der Mauer das Widerlager für die Bunde der Dachconstruction oder die inneren Gewölbebögen abgiebt, theils am Aeußeren der dccorative Nachklang des Jnnenbaues ist. Mit einer solchen Anwendung jener Stilelcmente verletzt diese Bauart zu¬ gleich das erste architektonische Gesetz: daß sich nämlich in der äußeren Form die Zweckbestimmung sowohl als die innere Anordnung des Gebäudes deutlich auszusprechen habe. Sie entlehnt Formen, in welchen sich der Cha¬ rakter unseres privaten und öffentlichen Lebens nicht wiedergeben läßt (wie ihr denn dafür schon die erste Bedingung, die der wagrechten Gliederung fehlt) und verläugnet in ihren in die Höhe ausgerecktem Facaden die innere Raumeinthei¬ lung. In demselben verkehrten Sinne ist ihre Ornamentation gehalten. Ihre Hauptzüge bilden der Spitzbogen, der decorativ nur da auftreten sollte, wo er zugleich in der Strenge seines constructiver Princips durchgeführt ist, gothisches Maßwerk, das für sich, abgetrennt von dem aufstrebenden durchbrochenen Ge¬ rüst des Systems, ausdruckslos ist, und der Rosettenschmuck, der vervielfältigt nur an den Lakunarien und neutralen Füllungen sinnvoll und wirksam ist. Doch damit nicht genug. Diese Architektur verletzt auch, wie schon bemerkt, die eigenen Gesetze derFormen, die sie aus früheren Stilen herbeigeschleppt hat; denn sie gebraucht sie losgelöst von ihrem structiven Princip, wie eine vom Kern abgezogene Hülle. Sie will neu sein und quält daher die verschie¬ denartigsten Formen zu einer Verbindung und Gestalt zusammen, für deren Abenteuerlichkeit sich allerdings in der ganzen Geschichte der Kunst kaum ein zweites Beispiel wird auftreiben lassen. Um diese Wirkungen zu erreichen, ver¬ schmäht sie auch entlegene und ausländische Formen nicht, die sich nur durch den Zwang des structiven Bedürfnisses erklären, von ihr aber decorativ verwendet werden (z. B. der Tudorbogen am Nationalmuseum). Ja, sie nimmt, um eine unpassende Mannigfaltigkeit in die Bekrönung ihrer Gebäude zu bringen, selbst zu ländlichen Dachkränzen mit hölzernen Dachsparren ihre Zuflucht: ein naiv liebenswürdiger Abschluß für das Prachtkleid, mit dem sich der Bau brüstet, wie etwa der breitkrämpige Bauernhut für die schlanke Zierlichkeit des Fracks. Wie sollte man auch ein Verständniß für die in der Architektur wirkenden Gesetze da erwarten dürfen, wo nicht einmal ihre Grundbedingungen beachtet sind. Zu diesen gehört doch wohl ein gewisses Verhältniß der Gebäude- sorm nach den drei Dimensionen der Höhe, Tiefe und Breite; eine rhythmische

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/364
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/364>, abgerufen am 23.07.2024.