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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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und es auf ein Flickwerk abgesehen hat, das durch seine seltsamen Verknü¬
pfungen überraschen soll, daß eine solche Kunst für die Vollendung der Arbeit
kein Auge hat? Da sie weder den Fleiß noch die Einsicht zu einem in sich
durchgeführten, belebten und gegliederten Ganzen aufbringen kann, so ist ihr
auch mit der oberflächlichen, mangelhaften Ausführung genug gethan. Nach
dem Kopf und der Phantasie des Meisters richtet sich die Hand des Gehilfen.
Ais die Kunst, welche unmittelbares Bedürfniß in die Freiheit der Form zu
erheben hat, beruht die Architektur durchaus aus einem lebendigen Ineinander¬
greifen von Kunst und Handwerk. Sobald sie aber von dem festen Boden
des allgemeinen Lebens und der geschichtlichen Ueberlieferung, andrerseits von
den Bedingungen des Stoffs! und den Grundsätzen gewisser Hauptformen sich
losreißt; sobald sie mit abenteuerlicher Neuerungssucht aus dieser Verschlingung
steh löst, um aus Bruchstücken der verschiedensten Stile eine Maske zusammen¬
zusetzen: sobald ist auch jene innere Einheit mit dem Handwerk zerrissen und
wie die Kunst unter der hohlen und lügnerischen Form zu Grunde geht, so
verfällt die technische Ausführung unter den plumpen und rohen Händen
des sich selbst überlassenen Tagelöhners.

Doch damit nicht genug. Auch das ist unzweifelhaft, daß solche monu¬
mentale Bauten in die Länge einen zersetzenden oder erschlaffenden Einfluß aus
die Bildung und Gesittung des Volkes üben müssen. Was die feste Stätte
für das öffentliche Leben abzugeben hat, dessen Erscheinung auch muß in großen
ernsten Zügen das Gepräge der Macht und Tüchtigkeit tragen. Daher hat die
Kunst mit ausdrucksvollen sicherem Formenspiel sowohl die nackte, blos daS
Bedürfniß aussprechende Gestalt zu bekleiden, als den Geist des Gemeinlebens
im organischen, wie aus innerer Kraft gegliederten Bau wiederklingen zu lassen.
So tritt dem Auge des Volkes im Gesetz des Aufbaues die innere Bedeutung,
der ernste Zweck würdig entgegen, während es zugleich über die Noth und
Spannung der Wirklichkeit durch die getragene festliche Stimmung der äußern
Erscheinung emporgehoben wird. Wie gleichgiltig aber oder frivol muß seine
Anschauung auch in öffentlichen Dingen endlich werden, wenn die Monumente,
^e sein Gemeinleben in sich fassen, ihren Zweck hinter einer Maske willkürlicher
Formen verstecken und mit falschem Schmuck die Sinne zu täuschen suchen.

Auf diese allgemeinen Wirkungen einer solchen Architektur die Rede zu
dungen, schien uns deshalb nicht überflüssig, weil es im Beamtenthum wie in
Wissenschaft noch immer Leute genug giebt, welche die Kunst als eine Sache
persönlichen Geschmacks und der Willkür betrachten, die mit den realen
Mächten, welche unsere Zeit umtreiben. nichts zu schaffen habe und daher dem
Belieben und den Einfällen des Einzelnen überlassen bleiben könne. Eine
Meinung, die schon ein oberflächlicher Blick auf die Geschichte über den Haufen
^"'se; mußte doch selbst das Christenthum, dessen Stifter vom religiösen Genius


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und es auf ein Flickwerk abgesehen hat, das durch seine seltsamen Verknü¬
pfungen überraschen soll, daß eine solche Kunst für die Vollendung der Arbeit
kein Auge hat? Da sie weder den Fleiß noch die Einsicht zu einem in sich
durchgeführten, belebten und gegliederten Ganzen aufbringen kann, so ist ihr
auch mit der oberflächlichen, mangelhaften Ausführung genug gethan. Nach
dem Kopf und der Phantasie des Meisters richtet sich die Hand des Gehilfen.
Ais die Kunst, welche unmittelbares Bedürfniß in die Freiheit der Form zu
erheben hat, beruht die Architektur durchaus aus einem lebendigen Ineinander¬
greifen von Kunst und Handwerk. Sobald sie aber von dem festen Boden
des allgemeinen Lebens und der geschichtlichen Ueberlieferung, andrerseits von
den Bedingungen des Stoffs! und den Grundsätzen gewisser Hauptformen sich
losreißt; sobald sie mit abenteuerlicher Neuerungssucht aus dieser Verschlingung
steh löst, um aus Bruchstücken der verschiedensten Stile eine Maske zusammen¬
zusetzen: sobald ist auch jene innere Einheit mit dem Handwerk zerrissen und
wie die Kunst unter der hohlen und lügnerischen Form zu Grunde geht, so
verfällt die technische Ausführung unter den plumpen und rohen Händen
des sich selbst überlassenen Tagelöhners.

Doch damit nicht genug. Auch das ist unzweifelhaft, daß solche monu¬
mentale Bauten in die Länge einen zersetzenden oder erschlaffenden Einfluß aus
die Bildung und Gesittung des Volkes üben müssen. Was die feste Stätte
für das öffentliche Leben abzugeben hat, dessen Erscheinung auch muß in großen
ernsten Zügen das Gepräge der Macht und Tüchtigkeit tragen. Daher hat die
Kunst mit ausdrucksvollen sicherem Formenspiel sowohl die nackte, blos daS
Bedürfniß aussprechende Gestalt zu bekleiden, als den Geist des Gemeinlebens
im organischen, wie aus innerer Kraft gegliederten Bau wiederklingen zu lassen.
So tritt dem Auge des Volkes im Gesetz des Aufbaues die innere Bedeutung,
der ernste Zweck würdig entgegen, während es zugleich über die Noth und
Spannung der Wirklichkeit durch die getragene festliche Stimmung der äußern
Erscheinung emporgehoben wird. Wie gleichgiltig aber oder frivol muß seine
Anschauung auch in öffentlichen Dingen endlich werden, wenn die Monumente,
^e sein Gemeinleben in sich fassen, ihren Zweck hinter einer Maske willkürlicher
Formen verstecken und mit falschem Schmuck die Sinne zu täuschen suchen.

Auf diese allgemeinen Wirkungen einer solchen Architektur die Rede zu
dungen, schien uns deshalb nicht überflüssig, weil es im Beamtenthum wie in
Wissenschaft noch immer Leute genug giebt, welche die Kunst als eine Sache
persönlichen Geschmacks und der Willkür betrachten, die mit den realen
Mächten, welche unsere Zeit umtreiben. nichts zu schaffen habe und daher dem
Belieben und den Einfällen des Einzelnen überlassen bleiben könne. Eine
Meinung, die schon ein oberflächlicher Blick auf die Geschichte über den Haufen
^"'se; mußte doch selbst das Christenthum, dessen Stifter vom religiösen Genius


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/361>, abgerufen am 23.07.2024.