Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

das Treiben jener naturwüchsigen, aber für ihn inhaltslosen Menschen zu einem
volleren energischeren Ausdruck zusammenfaßt, die Aufregung eines wenn auch
kleinen Ereignisses den stärkeren Wellenschlag des Innern auch in die äußere
Erscheinung wirft. Ist von jenen Münchener Genremalern, welche sich an die
gewöhnlichsten Vorgänge des Alltaglebens halten, H. v. Rhomberg der be¬
deutendste, so fern in seinen Bildern wenigstens der Reiz einer gewissen mit
flotter Hand wiedergegebenen Naturwahrheit ist: so haben von den Letzteren,
die es auf einen bewegteren Inhalt und lebendigeren Ausdruck absehen,
C. v. Enhuber und R. S. Zi um ermann das meiste Talent und Ge¬
schick. Der Leser kennt wohl zum Theil die Gegenstände und den Charakter
ihrer Darstellungen, die öfters vervielfältigt sind. Ihr Interesse beruht meistens
auf den komischen, seltener auf den ernsten Conflicten, welche dieses kleine Le¬
ben mit sich führt, oder aus der Schilderung seiner verschiedenen Typen in
einer Situation, welche ihre Eigenheit zu einem scharfen Ausdrucke zuspitzt.
Da es hierbei den Künstlern auf ihre geistreiche und charakteristische Auffassung
ankommt, so liegt die Bedeutung des Bildes ebenso sehr in dem Gegenstande,
als in der Behandlung. Bei Zimmermann z. B. behäbige Lar diente, die,
nachdem sie sich im städtischen Gasthofe gütlich gethan haben, über die theure
Zeche erschrecken; oder die am Schrannentag im "protzigen" Bewußtsein der
gefüllten Taschen Eins draufgehen lassen; allerlei Leute, die sich in einer Leih¬
bibliothek für die magere Realität ihres Lebens in Romanen einen idealen Trost
suchen; Bauern unter dem Druck eines verlegenen Respects in Prungemächern;
andrerseits ein verirrter Sohn, den die bekümmerte Mutter mit Hilfe des Pfaf¬
fen vom Kartenspiel und aus der Gesellschaft böser Gesellen holt, oder guter
Leute Kind herabgekommen und mit zerstörten Mienen unter vagirenden Musi¬
kanten. Enhuber sucht in derlei Kreisen mehr die Widersprüche und Unge¬
reimtheiten, welche, in einer reichen Gruppe verschiedener Individuen verschieden
ausbrechend, mit Humor und Witz sich fassen lassen: ein Schneider, welcher der
bösen Frau zum Kartenspiel mit befreundeten Philistern durchgebrannt ist und
nun, da sie keifend hereinstürzt, seine Flucht unter den Tisch fortsetzt, während
Bäcker, Schuster und Barbier vergeblich ihn zu verstecken suchen, der Triumph
also einer bösen Sieben über gemüthliche Pantoffelhelden; allerlei malerisch ver¬
lumpte oder festtäglich ausgeputzte kleine Leute im belaubten sonnenbeschienenen
Hof vor dem alten Amtshause, im kritischen Moment ihres Zusammenstoßes
mit den Mächten des Landgerichts: als Hauptgruppe ein schon glücklich abge¬
fertigtes Brautpaar mit seiner Sippschaft im Gegensatz zum vom schlechten Ge¬
wissen zusammengekrümmten Vagabunden, den der Gerichtsdiener unhcildrohend
herbeiwiukt; oder endlich, um auch einmal umgekehrt die bergluftsüchtigen Städ¬
ter dem Gelächter preiszugeben, Vergnügungsreisende im bayerischen Hochge¬
birge unter der grauen Decke eines unermüdlichen den Münchener Sommer"


das Treiben jener naturwüchsigen, aber für ihn inhaltslosen Menschen zu einem
volleren energischeren Ausdruck zusammenfaßt, die Aufregung eines wenn auch
kleinen Ereignisses den stärkeren Wellenschlag des Innern auch in die äußere
Erscheinung wirft. Ist von jenen Münchener Genremalern, welche sich an die
gewöhnlichsten Vorgänge des Alltaglebens halten, H. v. Rhomberg der be¬
deutendste, so fern in seinen Bildern wenigstens der Reiz einer gewissen mit
flotter Hand wiedergegebenen Naturwahrheit ist: so haben von den Letzteren,
die es auf einen bewegteren Inhalt und lebendigeren Ausdruck absehen,
C. v. Enhuber und R. S. Zi um ermann das meiste Talent und Ge¬
schick. Der Leser kennt wohl zum Theil die Gegenstände und den Charakter
ihrer Darstellungen, die öfters vervielfältigt sind. Ihr Interesse beruht meistens
auf den komischen, seltener auf den ernsten Conflicten, welche dieses kleine Le¬
ben mit sich führt, oder aus der Schilderung seiner verschiedenen Typen in
einer Situation, welche ihre Eigenheit zu einem scharfen Ausdrucke zuspitzt.
Da es hierbei den Künstlern auf ihre geistreiche und charakteristische Auffassung
ankommt, so liegt die Bedeutung des Bildes ebenso sehr in dem Gegenstande,
als in der Behandlung. Bei Zimmermann z. B. behäbige Lar diente, die,
nachdem sie sich im städtischen Gasthofe gütlich gethan haben, über die theure
Zeche erschrecken; oder die am Schrannentag im „protzigen" Bewußtsein der
gefüllten Taschen Eins draufgehen lassen; allerlei Leute, die sich in einer Leih¬
bibliothek für die magere Realität ihres Lebens in Romanen einen idealen Trost
suchen; Bauern unter dem Druck eines verlegenen Respects in Prungemächern;
andrerseits ein verirrter Sohn, den die bekümmerte Mutter mit Hilfe des Pfaf¬
fen vom Kartenspiel und aus der Gesellschaft böser Gesellen holt, oder guter
Leute Kind herabgekommen und mit zerstörten Mienen unter vagirenden Musi¬
kanten. Enhuber sucht in derlei Kreisen mehr die Widersprüche und Unge¬
reimtheiten, welche, in einer reichen Gruppe verschiedener Individuen verschieden
ausbrechend, mit Humor und Witz sich fassen lassen: ein Schneider, welcher der
bösen Frau zum Kartenspiel mit befreundeten Philistern durchgebrannt ist und
nun, da sie keifend hereinstürzt, seine Flucht unter den Tisch fortsetzt, während
Bäcker, Schuster und Barbier vergeblich ihn zu verstecken suchen, der Triumph
also einer bösen Sieben über gemüthliche Pantoffelhelden; allerlei malerisch ver¬
lumpte oder festtäglich ausgeputzte kleine Leute im belaubten sonnenbeschienenen
Hof vor dem alten Amtshause, im kritischen Moment ihres Zusammenstoßes
mit den Mächten des Landgerichts: als Hauptgruppe ein schon glücklich abge¬
fertigtes Brautpaar mit seiner Sippschaft im Gegensatz zum vom schlechten Ge¬
wissen zusammengekrümmten Vagabunden, den der Gerichtsdiener unhcildrohend
herbeiwiukt; oder endlich, um auch einmal umgekehrt die bergluftsüchtigen Städ¬
ter dem Gelächter preiszugeben, Vergnügungsreisende im bayerischen Hochge¬
birge unter der grauen Decke eines unermüdlichen den Münchener Sommer«


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0316" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/282557"/>
          <p xml:id="ID_865" prev="#ID_864" next="#ID_866"> das Treiben jener naturwüchsigen, aber für ihn inhaltslosen Menschen zu einem<lb/>
volleren energischeren Ausdruck zusammenfaßt, die Aufregung eines wenn auch<lb/>
kleinen Ereignisses den stärkeren Wellenschlag des Innern auch in die äußere<lb/>
Erscheinung wirft. Ist von jenen Münchener Genremalern, welche sich an die<lb/>
gewöhnlichsten Vorgänge des Alltaglebens halten, H. v. Rhomberg der be¬<lb/>
deutendste, so fern in seinen Bildern wenigstens der Reiz einer gewissen mit<lb/>
flotter Hand wiedergegebenen Naturwahrheit ist: so haben von den Letzteren,<lb/>
die es auf einen bewegteren Inhalt und lebendigeren Ausdruck absehen,<lb/>
C. v. Enhuber und R. S. Zi um ermann das meiste Talent und Ge¬<lb/>
schick. Der Leser kennt wohl zum Theil die Gegenstände und den Charakter<lb/>
ihrer Darstellungen, die öfters vervielfältigt sind. Ihr Interesse beruht meistens<lb/>
auf den komischen, seltener auf den ernsten Conflicten, welche dieses kleine Le¬<lb/>
ben mit sich führt, oder aus der Schilderung seiner verschiedenen Typen in<lb/>
einer Situation, welche ihre Eigenheit zu einem scharfen Ausdrucke zuspitzt.<lb/>
Da es hierbei den Künstlern auf ihre geistreiche und charakteristische Auffassung<lb/>
ankommt, so liegt die Bedeutung des Bildes ebenso sehr in dem Gegenstande,<lb/>
als in der Behandlung. Bei Zimmermann z. B. behäbige Lar diente, die,<lb/>
nachdem sie sich im städtischen Gasthofe gütlich gethan haben, über die theure<lb/>
Zeche erschrecken; oder die am Schrannentag im &#x201E;protzigen" Bewußtsein der<lb/>
gefüllten Taschen Eins draufgehen lassen; allerlei Leute, die sich in einer Leih¬<lb/>
bibliothek für die magere Realität ihres Lebens in Romanen einen idealen Trost<lb/>
suchen; Bauern unter dem Druck eines verlegenen Respects in Prungemächern;<lb/>
andrerseits ein verirrter Sohn, den die bekümmerte Mutter mit Hilfe des Pfaf¬<lb/>
fen vom Kartenspiel und aus der Gesellschaft böser Gesellen holt, oder guter<lb/>
Leute Kind herabgekommen und mit zerstörten Mienen unter vagirenden Musi¬<lb/>
kanten. Enhuber sucht in derlei Kreisen mehr die Widersprüche und Unge¬<lb/>
reimtheiten, welche, in einer reichen Gruppe verschiedener Individuen verschieden<lb/>
ausbrechend, mit Humor und Witz sich fassen lassen: ein Schneider, welcher der<lb/>
bösen Frau zum Kartenspiel mit befreundeten Philistern durchgebrannt ist und<lb/>
nun, da sie keifend hereinstürzt, seine Flucht unter den Tisch fortsetzt, während<lb/>
Bäcker, Schuster und Barbier vergeblich ihn zu verstecken suchen, der Triumph<lb/>
also einer bösen Sieben über gemüthliche Pantoffelhelden; allerlei malerisch ver¬<lb/>
lumpte oder festtäglich ausgeputzte kleine Leute im belaubten sonnenbeschienenen<lb/>
Hof vor dem alten Amtshause, im kritischen Moment ihres Zusammenstoßes<lb/>
mit den Mächten des Landgerichts: als Hauptgruppe ein schon glücklich abge¬<lb/>
fertigtes Brautpaar mit seiner Sippschaft im Gegensatz zum vom schlechten Ge¬<lb/>
wissen zusammengekrümmten Vagabunden, den der Gerichtsdiener unhcildrohend<lb/>
herbeiwiukt; oder endlich, um auch einmal umgekehrt die bergluftsüchtigen Städ¬<lb/>
ter dem Gelächter preiszugeben, Vergnügungsreisende im bayerischen Hochge¬<lb/>
birge unter der grauen Decke eines unermüdlichen den Münchener Sommer«</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0316] das Treiben jener naturwüchsigen, aber für ihn inhaltslosen Menschen zu einem volleren energischeren Ausdruck zusammenfaßt, die Aufregung eines wenn auch kleinen Ereignisses den stärkeren Wellenschlag des Innern auch in die äußere Erscheinung wirft. Ist von jenen Münchener Genremalern, welche sich an die gewöhnlichsten Vorgänge des Alltaglebens halten, H. v. Rhomberg der be¬ deutendste, so fern in seinen Bildern wenigstens der Reiz einer gewissen mit flotter Hand wiedergegebenen Naturwahrheit ist: so haben von den Letzteren, die es auf einen bewegteren Inhalt und lebendigeren Ausdruck absehen, C. v. Enhuber und R. S. Zi um ermann das meiste Talent und Ge¬ schick. Der Leser kennt wohl zum Theil die Gegenstände und den Charakter ihrer Darstellungen, die öfters vervielfältigt sind. Ihr Interesse beruht meistens auf den komischen, seltener auf den ernsten Conflicten, welche dieses kleine Le¬ ben mit sich führt, oder aus der Schilderung seiner verschiedenen Typen in einer Situation, welche ihre Eigenheit zu einem scharfen Ausdrucke zuspitzt. Da es hierbei den Künstlern auf ihre geistreiche und charakteristische Auffassung ankommt, so liegt die Bedeutung des Bildes ebenso sehr in dem Gegenstande, als in der Behandlung. Bei Zimmermann z. B. behäbige Lar diente, die, nachdem sie sich im städtischen Gasthofe gütlich gethan haben, über die theure Zeche erschrecken; oder die am Schrannentag im „protzigen" Bewußtsein der gefüllten Taschen Eins draufgehen lassen; allerlei Leute, die sich in einer Leih¬ bibliothek für die magere Realität ihres Lebens in Romanen einen idealen Trost suchen; Bauern unter dem Druck eines verlegenen Respects in Prungemächern; andrerseits ein verirrter Sohn, den die bekümmerte Mutter mit Hilfe des Pfaf¬ fen vom Kartenspiel und aus der Gesellschaft böser Gesellen holt, oder guter Leute Kind herabgekommen und mit zerstörten Mienen unter vagirenden Musi¬ kanten. Enhuber sucht in derlei Kreisen mehr die Widersprüche und Unge¬ reimtheiten, welche, in einer reichen Gruppe verschiedener Individuen verschieden ausbrechend, mit Humor und Witz sich fassen lassen: ein Schneider, welcher der bösen Frau zum Kartenspiel mit befreundeten Philistern durchgebrannt ist und nun, da sie keifend hereinstürzt, seine Flucht unter den Tisch fortsetzt, während Bäcker, Schuster und Barbier vergeblich ihn zu verstecken suchen, der Triumph also einer bösen Sieben über gemüthliche Pantoffelhelden; allerlei malerisch ver¬ lumpte oder festtäglich ausgeputzte kleine Leute im belaubten sonnenbeschienenen Hof vor dem alten Amtshause, im kritischen Moment ihres Zusammenstoßes mit den Mächten des Landgerichts: als Hauptgruppe ein schon glücklich abge¬ fertigtes Brautpaar mit seiner Sippschaft im Gegensatz zum vom schlechten Ge¬ wissen zusammengekrümmten Vagabunden, den der Gerichtsdiener unhcildrohend herbeiwiukt; oder endlich, um auch einmal umgekehrt die bergluftsüchtigen Städ¬ ter dem Gelächter preiszugeben, Vergnügungsreisende im bayerischen Hochge¬ birge unter der grauen Decke eines unermüdlichen den Münchener Sommer«

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/316
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/316>, abgerufen am 23.07.2024.