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Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band.

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klingt nun aller Wesen unharmonische Menge durcheinander". So ist die Prosa
des Jahrhunderts die Schattenseite jener großen Bestrebungen, und der Aus¬
druck "modern", wie er, einerseits bezogen auf das neue Ideal und die
neue Weltanschauung der Stolz des Zeitalters ist, bezeichnet andrerseits seine
Armseligkeit gegenüber der Kunst. Er bedeutet in diesem Sinne alle die Er¬
scheinungen, welche das an den classischen Werken gebildete Auge verletze" und
abstoßen: das schwächliche Ringen nach neuen eigenthümlichen Formen, das
Gefallen am leeren Reiz einer glatten bunten Schönheit und am spielenden
Ausdruck geistreicher Einfälle; das sentimentale Schwärmen in erhitzten Empfin¬
dungen, die Verwechslung des Mächtigen mit dem Gräßlichen; in der Behand¬
lung aber die Lüge einer blos äußerlichen Meisterschaft. Doch der Leser kennt
die Merkmale des Modernen und zu lang ist das Register, sie alle aufzuzählen.
Sie fassen sich in der subjectiven Willkür zusammen, welche losgelöst vom
Grunde des allgemeinen Lebens alle Unbefangenheit verloren hat, daher die
Erscheinung in ihrer Erfüllthcit nicht zu nehmen weiß und ihr dafür die küm¬
merliche Seele ihrer eigenen Einfälle leiht; welche andrerseits eitel auf den
großen die Zeit erfüllenden Inhalt, vom Bande einer bildenden Tradition
vollends losgerissen, zu übermüthig und zu schwach, um eine gründliche Schule
durchzumachen, jenen Inhalt voll und lebendig herauszugeflalten unfähig ist,
über die Unzulänglichkeit ihrer Mittel und Kräfte aber durch eine gesuchte und
übertriebene Erregtheit des Ausdrucks oder eine süßliche und gelenkte Zierlichkeit
der Form zu täuschen sucht. --

Die Kunst, sofern sie diesen Charakter des Modernen vorwiegend an sich
trägt, ist immer nur das Abbild der noch unentwickelten Anschauung des Pu¬
blikums. Sie ist daher besonders in jenen Anstalten vertreten, welche sich
eigens die Aufgabe gestellt haben -- um es kurz mit dem rechten Worte zu
bezeichnen --, die bildende Kunst unter die Leute zu bringen: in den Kunst-
Vereinen. Die gute Absicht dieser Institute soll nicht bestritten werden; der
Zweck, die Werke der Künstler zu sammeln, um sie dem großen Publikum zur
Betrachtung sowohl als zum leichteren Erwerb zu übermitteln, so zwischen die¬
sem und jenen ein engeres Band zu knüpfen, die Einen in ihrer Production
zu fördern, den Kunstsinn des anderen zu bilden, ist an sich nicht zu verwerfen.
Doch ist schon die Absicht ein Beweis für die Noth der Zeit, welche den
Mangel des natürlichen Wechselverhältnisses von Kunst und Leben empfindet
und dafür nach einem Ersatz sucht: so bringt die praktische Ausführung die
Übeln Folgen einer solchen Abhilfe vollends zu Tage. Indem die Kunst zum
Publikum herabsteigt, buhlt sie um seinen Beifall und bequemt sich seinen
Launen; Publikum, in dem stolzen Gefühle gesucht zu sein, weiß sich der Herr und
sieht sich mit Gönnermiene die Arbeit des Künstlers darauf an, wie weit sie
seinen Ansprüchen entgegen kommt. Selbstverständlich kann der Verein keine


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klingt nun aller Wesen unharmonische Menge durcheinander". So ist die Prosa
des Jahrhunderts die Schattenseite jener großen Bestrebungen, und der Aus¬
druck „modern", wie er, einerseits bezogen auf das neue Ideal und die
neue Weltanschauung der Stolz des Zeitalters ist, bezeichnet andrerseits seine
Armseligkeit gegenüber der Kunst. Er bedeutet in diesem Sinne alle die Er¬
scheinungen, welche das an den classischen Werken gebildete Auge verletze» und
abstoßen: das schwächliche Ringen nach neuen eigenthümlichen Formen, das
Gefallen am leeren Reiz einer glatten bunten Schönheit und am spielenden
Ausdruck geistreicher Einfälle; das sentimentale Schwärmen in erhitzten Empfin¬
dungen, die Verwechslung des Mächtigen mit dem Gräßlichen; in der Behand¬
lung aber die Lüge einer blos äußerlichen Meisterschaft. Doch der Leser kennt
die Merkmale des Modernen und zu lang ist das Register, sie alle aufzuzählen.
Sie fassen sich in der subjectiven Willkür zusammen, welche losgelöst vom
Grunde des allgemeinen Lebens alle Unbefangenheit verloren hat, daher die
Erscheinung in ihrer Erfüllthcit nicht zu nehmen weiß und ihr dafür die küm¬
merliche Seele ihrer eigenen Einfälle leiht; welche andrerseits eitel auf den
großen die Zeit erfüllenden Inhalt, vom Bande einer bildenden Tradition
vollends losgerissen, zu übermüthig und zu schwach, um eine gründliche Schule
durchzumachen, jenen Inhalt voll und lebendig herauszugeflalten unfähig ist,
über die Unzulänglichkeit ihrer Mittel und Kräfte aber durch eine gesuchte und
übertriebene Erregtheit des Ausdrucks oder eine süßliche und gelenkte Zierlichkeit
der Form zu täuschen sucht. —

Die Kunst, sofern sie diesen Charakter des Modernen vorwiegend an sich
trägt, ist immer nur das Abbild der noch unentwickelten Anschauung des Pu¬
blikums. Sie ist daher besonders in jenen Anstalten vertreten, welche sich
eigens die Aufgabe gestellt haben — um es kurz mit dem rechten Worte zu
bezeichnen —, die bildende Kunst unter die Leute zu bringen: in den Kunst-
Vereinen. Die gute Absicht dieser Institute soll nicht bestritten werden; der
Zweck, die Werke der Künstler zu sammeln, um sie dem großen Publikum zur
Betrachtung sowohl als zum leichteren Erwerb zu übermitteln, so zwischen die¬
sem und jenen ein engeres Band zu knüpfen, die Einen in ihrer Production
zu fördern, den Kunstsinn des anderen zu bilden, ist an sich nicht zu verwerfen.
Doch ist schon die Absicht ein Beweis für die Noth der Zeit, welche den
Mangel des natürlichen Wechselverhältnisses von Kunst und Leben empfindet
und dafür nach einem Ersatz sucht: so bringt die praktische Ausführung die
Übeln Folgen einer solchen Abhilfe vollends zu Tage. Indem die Kunst zum
Publikum herabsteigt, buhlt sie um seinen Beifall und bequemt sich seinen
Launen; Publikum, in dem stolzen Gefühle gesucht zu sein, weiß sich der Herr und
sieht sich mit Gönnermiene die Arbeit des Künstlers darauf an, wie weit sie
seinen Ansprüchen entgegen kommt. Selbstverständlich kann der Verein keine


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[0311] klingt nun aller Wesen unharmonische Menge durcheinander". So ist die Prosa des Jahrhunderts die Schattenseite jener großen Bestrebungen, und der Aus¬ druck „modern", wie er, einerseits bezogen auf das neue Ideal und die neue Weltanschauung der Stolz des Zeitalters ist, bezeichnet andrerseits seine Armseligkeit gegenüber der Kunst. Er bedeutet in diesem Sinne alle die Er¬ scheinungen, welche das an den classischen Werken gebildete Auge verletze» und abstoßen: das schwächliche Ringen nach neuen eigenthümlichen Formen, das Gefallen am leeren Reiz einer glatten bunten Schönheit und am spielenden Ausdruck geistreicher Einfälle; das sentimentale Schwärmen in erhitzten Empfin¬ dungen, die Verwechslung des Mächtigen mit dem Gräßlichen; in der Behand¬ lung aber die Lüge einer blos äußerlichen Meisterschaft. Doch der Leser kennt die Merkmale des Modernen und zu lang ist das Register, sie alle aufzuzählen. Sie fassen sich in der subjectiven Willkür zusammen, welche losgelöst vom Grunde des allgemeinen Lebens alle Unbefangenheit verloren hat, daher die Erscheinung in ihrer Erfüllthcit nicht zu nehmen weiß und ihr dafür die küm¬ merliche Seele ihrer eigenen Einfälle leiht; welche andrerseits eitel auf den großen die Zeit erfüllenden Inhalt, vom Bande einer bildenden Tradition vollends losgerissen, zu übermüthig und zu schwach, um eine gründliche Schule durchzumachen, jenen Inhalt voll und lebendig herauszugeflalten unfähig ist, über die Unzulänglichkeit ihrer Mittel und Kräfte aber durch eine gesuchte und übertriebene Erregtheit des Ausdrucks oder eine süßliche und gelenkte Zierlichkeit der Form zu täuschen sucht. — Die Kunst, sofern sie diesen Charakter des Modernen vorwiegend an sich trägt, ist immer nur das Abbild der noch unentwickelten Anschauung des Pu¬ blikums. Sie ist daher besonders in jenen Anstalten vertreten, welche sich eigens die Aufgabe gestellt haben — um es kurz mit dem rechten Worte zu bezeichnen —, die bildende Kunst unter die Leute zu bringen: in den Kunst- Vereinen. Die gute Absicht dieser Institute soll nicht bestritten werden; der Zweck, die Werke der Künstler zu sammeln, um sie dem großen Publikum zur Betrachtung sowohl als zum leichteren Erwerb zu übermitteln, so zwischen die¬ sem und jenen ein engeres Band zu knüpfen, die Einen in ihrer Production zu fördern, den Kunstsinn des anderen zu bilden, ist an sich nicht zu verwerfen. Doch ist schon die Absicht ein Beweis für die Noth der Zeit, welche den Mangel des natürlichen Wechselverhältnisses von Kunst und Leben empfindet und dafür nach einem Ersatz sucht: so bringt die praktische Ausführung die Übeln Folgen einer solchen Abhilfe vollends zu Tage. Indem die Kunst zum Publikum herabsteigt, buhlt sie um seinen Beifall und bequemt sich seinen Launen; Publikum, in dem stolzen Gefühle gesucht zu sein, weiß sich der Herr und sieht sich mit Gönnermiene die Arbeit des Künstlers darauf an, wie weit sie seinen Ansprüchen entgegen kommt. Selbstverständlich kann der Verein keine 37*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 24, 1865, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341801_282240/311>, abgerufen am 23.07.2024.